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Gefangen im Chanson der Liebe
Die ersten Kilometer sind immer die schlimmsten. So auch an diesem Feiertag in der Nähe von Neu-Anspach. Auf den ersten 15 Kilometern der RTF stelle ich Folgendes fest: ich habe meine zweite Trinkflasche nicht dabei, die Tasche unter dem Sattel ist nicht richtig fest gemacht und die Beinlinge sind zu warm. Nachdem ich das alles korrigiert habe, könnte es nun endlich los gehen. Dann springt mir bei Kilometer 16 die Kette ab. Das fängt ja gut an. Eine Gruppe von - wie passend - ungefähr 16 Leuten fährt vorbei. Dass nicht einer fragt, ob ich irgendwas brauche, führe ich darauf zurück, dass ich vermutlich gnadenloses Selbstbewusstsein und unglaubliche Mechanik-Kompetenz ausstrahle. Vor lauter Mentaltraining bin ich mittlerweile Meisterin im Sich-die-Dinge-schön-reden. Trotzdem genügt das nicht so ganz, es bleibt ein kleiner Fleck schlechter Laune auf meinem sonnigen Gemüt, dem ich den Garaus machen will. Und so kommt es zum entscheidenden Fehler des Tages:
Am Vorabend hatte ich mit meinem Sohn im Fernsehen eine Sachsendung für Kinder gesehen. Dort wurde erklärt, dass Singen gesund ist, glücklich macht und alles mögliche andere auch. Zu diesem Zwecke fällt mir sofort ein Lied ein: "Pour un flirt avec toi". Ein Gassenhauer aus dem Jahre 1971. Bedauerlicherweise war ich im Alter von 5 Jahren der französichen Sprache kein Stück mächtig. Ich singe die nächsten 107 Kilometer lang somit lediglich "Pour un flirt avec toi" sowie die Textzeile "rappel-di-du" - so, wie mir das Ganze eben im Gedächtnis geblieben ist. Das führt zwar nicht zu viel Abwechselung auf der Strecke, entspannt aber ungemein. Und das sogar so sehr, dass ich mich verfahre. Schafft ja auch nicht jeder. Irgendwann geht es mir allerdings mächtig auf den Keks. Es soll ja wirklich Leute geben, die sich während eines Marathons von Xavier Naidoo die Ohren in Endlos-Schleife mit "Dieser Weg wird keiner leichter sein" volldudeln lassen. Als sei das Laufen nicht schon schlimm genug.
Nach 123 Kilometern und 1.600 Höhenmetern bin ich am Ziel und rappel-di-du im Kopf. Ich dusche schleunigst und hetze nach Hause. Dann google ich den Text, drucke ihn mir aus und werde ihn in den nächsten Tagen auswendig lernen.
Jetzt, einen Tag später, verblasst die Melodie so langsam in meinem Köpfchen. Nur eben, als mein Mann in der Küche gepfiffen hat, kam alles wieder hoch: rappel-di-du. Naja, wir wollten sowieso gleich laufen gehen. Da passt das schon.
Geändert von Pantone (08.06.2012 um 14:09 Uhr).
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