Szenekenner
Registriert seit: 16.11.2006
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166 km Rennrad
Der Start ist traumhaft. Wir schweben durch die Nacht am Genfer See vorbei. Um Windschatten kümmert sich kein Mensch und so fahre auch ich zumindest die ersten topfebenen Kilometer immer mal im Pulk. Doch nach 20 km ist Schluß. Wir biegen links ab und nehmen den ersten großen Anstieg in Angriff. Ich habe weder Tacho noch Pulsmesser dabei und richte mich nur nach meinem Gefühl und genieße die Stimmung, die Nacht und das Radfahren. Lediglich die gefahrenen Höhenmeter und die Rennzeit lese ich auf meiner Polar ab. Wir sind allein, zum Glück nur ein illegales Begeleitfahrzeug, das immer mal überholt und dessen Insassen dann alle Radler anfeuern. Aber auch dies nur am Anfang. Der erste Paß ist kein Problem, es geht auf französisches Gebiet, die Straße fällt leicht auf vielen Kilometern, so das man eigentlich viel schneller fahren könnte, aber ich bremse mich immer wieder. Das Rennen ist noch lang. Um zwei Uhr eine SMS. Schade, nicht von Karin, sondern vom französischen Netzbetreiber.
Nach knapp drei Stunden und hinter der zweiten Kontrolle steigt meine Batterielampe aus. Entweder sind die Akkus schon runter oder dich habe doch etwas viel Iso-Brühe drüber gekleckert. Ich muss ab sofort mit Dynamo fahren – 3 Watt weniger an Leistung auf der Straße. Die Beleuchtung der anderen variiert zwischen 10 W Flakbeleuchtung mit 3 Akkus und einer LED-Funzel auf dem Helm. Mit meiner Lösung sehe ich sehr gut, bin nicht allzusehr gehandicapt und letztendlich froh, dann doch mit einem Storm produzierenden Vorderrad gefahren zu sein. Allerdings haben die großen Gruppen, die an mir an und zu vorbeifliegen in der Summe wesentlich besseres Licht und können so auch schneller fahren. Aber ich bin Single und dies ist mein Wettkampf und den stehe ich alleine durch.
Immer wieder haben wir einen wunderbaren Ausblick auf die Ebene, einmal halte ich kurz an, um andächtig in der warmen Nacht auf die glitzernden Lichtpunkte der tief unten liegenden Dörfer zu sehen. An den Verpflegungsstellen gibt es das Nötige: Iso, Wasser, Tee, Riegel, Gel und Knabberzeug. Ich trinke viel, und muß ebenso oft was los werden. Gut daß ich im Fahren pinkeln kann J. Bei km 100 ein Unfall mit Rettungssanitätern, an dem ich vorbeifahre. Sieht nicht gut aus. Eine nicht ungefährliche Abfahrt erfordert Steuerkünste. Irgendwann kommt dann ein toter Punkt. Keine Ablenkung außer den permanenten Steigungen. Dann bist Du allein mit der Nacht, vielen roten Blinklichtern und deinem Hintern.
Gegen Morgen wird es kühl. Ich krame Armlinge und Regencape aus und wappne mich für die Abfahrten.
Endlich Dämmerung. Der Geist kann sich wieder mit anderen Dingen beschäftigen. Bei mir im Feld fahren etliche Frauen, aber es ist schwer herauszufinden, ob es Single oder Starterinnen in der Couple-Wertung sind. An der letzten Verpflege suche ich die WCs auf. Soviel Zeit muß sein. Es ist halb sechs. Ich rufe Karin und Sebastian an, damit die wissen, wo ich bin. Kaum sitze ich auf dem Rad schießt das erste Peloton der 5er Teams, bestimmt 40 Mann stark, an mir vorbei. Die haben mir schon 2 Stunden abgenommen. Wahnsinn. Aber die Strecke kann man auch schnell fahren und schließlich sind die nach dem Rennrad fertig. Die ganze Zeit bis zum Ende der ersten Etappe überholen mich noch kleinere und größere Gruppen, aber ich lasse mich da nicht irre machen.
Der Höhenmesser hat schon längst die geplanten 2100 HM überschritten. Immer wieder geht es noch eine Steigung hoch. Bei 2400 HM endlich die erste Wechselzone. Ich bin zwar mit 7:15 deutlich langsamer als geplant, aber noch locker drauf. Von 253 gestarteten männlichen Singles ist das die 212. Zeit, also nicht so prickelnd, aber das weiß ich zum einen zu diesem Zeitpunkt nicht, zum anderen wäre es mir egal. Sicher wäre es, vor allem im Pulk, deutlich schneller gegangen, aber dies ist mein Rennen und es wird ein langes Rennen. Immerhin liegt die längst Etappe hinter mir.
Gut gelaunt rolle ich in die Wechselzone hinein.
68 km Mountainbike
Sebastian und Karin haben Marmeladenbrötchen mit in die Wechselzone gebracht. Was Salziges wäre mir nach den vielen süßen Gels und Riegeln lieber. Aber auch ein Brötchen hat was. Das Trikot und den Helm lasse ich an und wechsele nur die Schuhe. Ein schneller Wechsel, aber ohne Hast.
Gleich auf den ersten Metern müssen Treppen hochgeschoben werden. Dies sollte mir Warnung sein. Auf verschlungenen Wegen geht es durch Chaux de Fonds. Gut, dass das Bike so viel Gänge hat. Auch auf dem Mountainbike muß ich Körner sparen und lasse während der ganzen Etappe immer wieder Leute vorbei.
Die erste kleine Abfahrt ist ein deutlicher Warnschuß: Kurz hintereinander liegende Bodenwellen schlagen brutal in den Lenker und bedeuten Schwerstarbeit. Unglaubliche Schläge gehen durch das ganze Rad. Wenn das so weitergeht, gute Nacht.
Die erste längere Steigung. Der Höhenmesser kriecht. Es wird steil. Noch steiler. Der Boden ist durch den Regen von gestern aufgeweicht. Schließlich geht es nicht mehr zu fahren. Wir drücken die Räder durch 10 cm tiefen Matsch nach oben. Die Reifen setzen sich zu, der Lehm hängt an den Bremsen, macht das Rad schwer und läßt die Räder blockieren. Mit hämmernden Puls stehe ich mehrfach in der Steigung und muß ausruhen. Unglaublich. An dieser Stelle geben schon die ersten auf, sogar etliche Teamfahrer. Endlich sind wir oben. 300 HM von 1800. Wie soll das weitergehen? Ich befreie die Räder mit Stöcken und Fingern notdürftig vom Schlamm und schmeiße voller Verzweiflung dicke Lehmbatzen in den Wald. Gut, dass die Schaltung noch geht. Kieselsteine kleben fest und spritzen in alle Richtungen weg. Bis die Räder wieder sauber sind vergeht noch einige Zeit. Kaum rolle ich wieder einigermaßen, geht es schon wieder durch den Schlamm. Alles von vorne. Es ist zum Mäusemelken. Trotzdem muss ich auch noch ein drittes Mal absteigen und dem Lehm von Bremsen und Schaltung kratzen.
Die Abfahrt ist die Hölle. Diese Bodenwellen und Wurzeln vermitteln das Gefühlt, einen Preßlufthammer reiten zu müssen. Einige lassen Luft aus den Reifen, ein Sportfreund hat schon 3 Schläuche verbraucht und keinen mehr in Reserve, als ich anhalte und ihn frage, ob alles in Ordnung ist. Ich habe nur einen Reserveschlauch dabei und zudem ein billiges Giant Hardtail. Ob das hält, weiß ich noch nicht. Und der Höhenmesser kriecht immer noch. Endlich die erste Verpflegung.
Ab sofort sind zumindest die Bergaufpassagen gut fahrbar. Zum höchsten Punkt des Wettkampfs, dem unbewaldeten Chasseral, geht es eine asphaltierte Straße hoch. Ich fühle mich wieder gut. Auch die Arme scheinen im Hinblick auf das kommende Schwimmen noch locker. Kleine Unterhaltung mit anderen. Ich muss immer wieder um Verständigung in Hochdeutsch bitten. Am Gipfel leider keine Aussicht, da das Tal Wolkenverhangen ist. Immerhin sind wir jetzt bei 1500 HM, ein Ende der Kletterei ist in Sicht. Oben lassen wieder viele wieder Luft aus den Reifen. Erneut Bodenwellen, die altbekannten Schläge. Es gibt kein Tempo, bei dem es nicht weh tut. Links und rechts donnern die Schnellen an mir vorbei. Unglaublich. Wie machen die das nur? Doch das schlimmste kommt abfahrtstechnisch noch: Steilste Waldwege, gespickt mich schmierigen Felsbrocken aus Jura-Kalkschiefer. Entweder Du fährst Schrittempo, dann kann man noch bremsen und rutscht „nur“ einen halben Meter weiter bergab. Ober man macht es so wie die meisten: Man brüllt „links“ oder „rechts“ und rauscht fast ungebremst an den Angsthasen wie mir vorbei. Das ist kein Fahren mehr, sondern Steuern unter Ausschaltung des Denkens. Etliche Fast-Unfälle unterwegs, auch mich verschlägt es drei mal. So was kann man nicht fahren. Und so was will ich nie wieder fahren.
Zweite Verpflege. Dann wieder Steigung, die letzten 300 HM, Abfahrt zum Mittagessen nach Magglingen. Ein schnelle Portion Nudeln mit Soße bei einsetzendem leichten Nieselregen schmecken klasse. Durch den Regen geht wenigstens die Schlammkruste etwas runter. Dann weiter. Ich sehe aus wie ein Schwein, also kann das nicht schaden. Nach 5:39 Stunden bin ich an Wechsel zwei zum Schwimmen und habe immerhin 12 Plätze gutgemacht. Karin erkennt mich kaum. Ich bin froh diese Hölle unverletzt überlebt zu haben und freue mich jetzt erst mal aufs Schwimmen.
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Keine Panik!
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