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Alt 01.02.2012, 17:05   #92
bellamartha
Szenekenner
 
Benutzerbild von bellamartha
 
Registriert seit: 30.05.2010
Beiträge: 6.157
Jetzt doch noch mal...

...zum eigentlichen Thema.
Vielleicht, weil widersprüchliche Geschichten manchmal interessant sind.
Meine Eltern haben mich nicht religiös erzogen, ich wurde aber wie meine Mutter katholisch getauft und als ich klein war, nahm sie mich ab und an in die Kirche mit. Heute geht sie selbst nur noch mal in den Dom zu Speyer, wenn da was besonderes ist. Trotzdem ist sie vermutlich nicht ungläubig wie mein Vater, der evangelisch ist. Als es in Richtung Erstkommunion ging, ging ich gerne und regelmäßig mit meinen Bruder in die Kirche. Als ich ca. 12 Jahre alt war, lud mich eine Freundin aus dem Leichtathletik Verein ein, mit in eine Art Kirchengruppe zu kommen. Ich ging mit und landete, wie ich heute sagen würde, in einer katholischen Sekte, der Legion Mariens, eine katholische Laienbewegung, wie sie sich selbst nennt, Lieblingskind des verstorbenen Papstes. Es wurde immer eine Stunde gebetet (Rosenkranz, auf dem harten Boden kniend) und über Glauben und Gott und Maria gesprochen und eine Stunde mit den sehr netten Leiterinnen (es war eine Jugendgruppe der LM) gespielt und getobt. Weil Rituale schon immer mein Ding waren, hat mir die Rosenkranzbeterei nix gemacht, Ausdauer war auch immer schon meins. Unangenehm war mir die Missioniererei, denn wir sollten zwei Dinge tun: stetig andere Kinder ansprechen, ob sie auch kommen wollen und an alle möglichen Menschen solche Marien-Anhänger (Medaillen nennen sie die glaube ich) verteilen und am besten täglich andere Menschen auf Gott und Maria ansprechen. Dazu wurden wir durchaus auch aufgefordert, an Türen zu klingeln oder in Altenheime zu gehen und mit den alten Menschen zu beten. Jede Woche wurde abgefragt, wen wir angesprochen hätten, ob Freundinnen kommen würden, mit wem wir über Gott gesprochen hätten. Es war ein Alptraum für mich, denn ich war früher extrem schüchtern und habe niemals andere Leute angesprochen. Ich habe also ständig gelogen, mir Geschichten ausgedacht, mit wem ich gesprochen hätte und warum diese oder jene Freundin nicht kommen könnten.

Ich wollte dort nicht mehr hingehen, kam aber nicht mehr weg. Zum einen, weil ich auch dafür zu scheu war und mich nicht zu sagen traute, dass ich mich nicht wohl fühlte. Zum anderen, weil der Gipfel die jährliche Veranstaltung war, die sie "Weihe" oder so nannten. Da kamen viele von dem Clübchen zusammen, fast alles Erwachsene, und ein Marienaltar wurde aufgebaut (den gab's auch bei unseren wöchentlichen Treffen) und man trat nach vorne, vor diesen Altar, vor eine große Marienstatue und legte eine Art Gelübde ab. Ich werde den Wortlaut (vielleicht aber auch nur Teile davon, ich weiß nicht mehr) nie mehr vergessen: "Ich bin ganz dein, meine Königin, meine Mutter und alles was ich habe ist dein!" Und ich dachte: "Jetzt bin ich wieder für ein ganzes Jahr hier gefangen."
Ich weiß nicht mehr, wie ich es hinbekommen habe, mich endlich abzuseilen. Es war ein quälend langer Prozess, so kam es mir zumindest damals vor, als ich so jung war, dass jeder Tag eine Ewigkeit ist.

Als Jugendliche lebte ich ungezügelt und wild und interessierte mich für (extrem) linke Politik, Feminismus und Jugendpressearbeit. War ich als Kind und jüngere Jugendliche noch offen für Religion, entfernte ich mich nun immer weiter davon. Die total beknackte Legion Mariens hat sicherlich ihren Teil dazu beigetragen.
Sehr früh bin ich aus der Kirche ausgetreten, ich glaube mit 16 oder 17 Jahren, das war wie eine Befreiung und bis heute eine der wenigen Entscheidungen, die ich niemals in Frage gestellt habe.
Heute bin ich so weit von Kirche, aber auch von Religiösität und Glauben entfernt, wie man es nur sein kann.
Je älter ich werde, desto radikaler lehne ich das ab. Ich bin da regelrecht intolerant, kann es kaum akzeptieren, dass andere Menschen es anders sehen und gläubig sind. Wenn es Menschen sind, die ich mag und die mir nahe stehen, verdränge ich es. Die meisten Nichtgläubigen lehnen die Kirche ab oder institutionalisierte Religion oder Verbrechen, die im Namen von Religionen begangen werden. Für mich ist aber der Glaube an Gott an sich (welchen auch immer) so absurd wie die Halluzinationen der Schizophrenen in unserer Klinik.

Das Absurdeste aber ist: Schon früh, als ich als Kind in die Kirche ging, habe ich gezweifelt. Ich habe mir GEWÜNSCHT zu glauben, habe aber nicht geglaubt. Einen einzigen Satz aus dem Glaubensbekenntnis habe ich voller Inbrunst gebetet: "Und sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund!" Sprich mit mir und ich zweifle nie mehr an dir, war mein Gedanke. Stellt euch aber mal vor, in unserer Welt spricht Gott tatsächlich, im wörtlichen Sinne, mit einem Menschen? Wo landet er? Bei uns in der Psychiatrie auf der Akutstation mit der Diagnose paranoide Schizophrenie mit religiösem Wahn. Wie absurd, in einer Gesellschaft, die sich auf christliche Werte beruft, in der Staat und Kirche angeblich getrennt sind, Kinder aber Religionsunterricht in staatlichen Schulen bekommen und Politiker bei der Vereidigung sich auf christliche Werte berufen. Und einer, mit dem Gott gesprochen hat, wird verrückt genannt. Gut, dass er mich nicht erhöhen konnte, weil es ihn nicht gibt.

Lange Geschichte, spannendes Thema mit viel Zündstoff.
Ich halte mich hier hübsch zurück, weil ich eine Bombenlegerin bin, wenn's um dieses Thema geht.
Amen!
Schöne Grüße,
J.
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