Szenekenner
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Wenn der Betreuer schlapp macht
Samstag Morgen. Die Familie macht sich auf den Weg zum Frankfurter Struwwelpeterlauf. Wir parken das Auto ein Stück entfernt, der Zwerg fährt mit dem Rad, die Eltern gehen zu Fuß. Alle sind guter Dinge.
Als wir endlich an Ort und Stelle sind, sind wir auch gleichzeitig mitten drin im Gewühl. Ohje, denke ich, das kann der kleine Dicke ja leider gar nicht haben. Beim Einchecken erfahren wir, dass es keine Startnummern und somit auch keine Zeiterfassung gibt. Super, denke ich, und sage unserem Sohn auch gleich, dass das ja ganz toll ist und dass es ja auch nur darum geht, dass alle Kinder Spaß haben und das Laufen mal ausprobieren und und und. Und auch, wenn wir nicht drüber reden, wissen der Kurze und ich natürlich genau, dass er das alles ganz anders sieht.
Als wir fast eine Viertelstunde vorm Start langsam zur Startlinie schlendern, stehen die Kleinen bereits dichtgedrängt in vier Reihen hintereinander. Dem Kurzen wird schon ganz klamm ums Herz, denn er hält Mamas Hand ganz fest und drückt sich immer enger an ihr Bein. Wir stellen uns in die letzte Reihe und ich hocke mich neben das Kind. Papa ist schon Richtung Festhalle, in der der Zieleinlauf sein wird. Neben uns steht ein Mädchen an der Hand einer Helferin und weint bitterlich. Als der nächste Junge auf Papas Arm anfängt zu schluchzen, ist es auch um die Fassung unseres Kindes geschehen. Es drückt seinen Kopf an meine Schulter und erste dicke Kullertränchen laufen über die kleinen Wangen. Ich biete sofort an, dass wir gehen: "Wenn du nicht möchtest," versuche ich ihn zu beruhigen, "brauchst du nicht. Wir können einfach gehen und zugucken. Das macht gar nichts, alles ok!" "Nein, Mama," meint er unter Tränen, "ich will ja laufen, ich will ja!" So verbringen wir die nächsten elendlangen zehn Minuten: ich in der Hocke, er stehend und um Haltung bemüht. Die nette Helferin mit dem weinenden Kind an der Hand verwickelt uns in ein Gespräch. Gemeinsam überlegen wir, ob der Zwerg vielleicht noch ein bisschen weiter nach vorn gehen soll. Denn, und da bin ich mir ganz sicher, nach dem Rennen, wenn die Tränen versiegt sind, wird im Zweifelsfall geschimpft, dass er an irgendwelchen Kindern nicht vorbeigekommen ist, weil´s so voll war. Der Junior zappelt so viel auf der Stelle, dass ich frage, ob er mal Pipi muss. Nein, muss er nicht. Er ist einfach nur fürchterlich aufgeregt. Bei jedem Tränchen biete ich erneut an, dass wir einfach gehen können. Aber nichts zu machen, er will bleiben.
Als es noch zehn Sekunden bis zum Startschuss sind, lässt der Filius meine Hand los und schiebt sich außen etwas nach vorn. Als bei fünf Sekunden angefangen wird, runterzuzählen, guckt er nur noch nach vorn und ich versuche den Startbereich zu verlassen und vor zu laufen. Als der Startschuss fällt, kann ich ihn noch gut erkennen: in einer ganzen Meute Kinder, die fast alle bereits ihre blauen Finisher-Shirts tragen, hüpft ein Blondschopf im knallroten Radtrikot. Es ist so voll, dass ich einfach nicht nach vorn komme. Auf einmal steht da sogar noch eine Trommelband, die ich vorher nicht bemerkt hatte, und zwei Schlagbäume müssen auch noch umlaufen werden. Einmal sehe ich noch von Weitem etwas Blondes aufblitzen, das war´s.
Als ich im Zielbereich meine Männer finde, bin ich erst mal beruhigt: keine Schürfwunden, keine Tränen, Vater und Sohn die Coolness in Personen. "War ganz gut," meint mein Mann, "Dritter oder Vierter ist er. Ich hab´s nicht genau gesehen." "Nee," raune ich ihm leise zu , "es war ganz schrecklich. Der macht sich immer so einen Stress, ich versteh´ das gar nicht. So ein Druck ganz ohne Grund. Ich weiß dann immer gar nicht, was ich machen soll. Und vor allem tut er mir dann so fürchterlich leid!" Mein Mann ist erstaunt. "Also, im Ziel," sagt der Kindsvater, "hat der Dicke nur gesagt, er wäre mit ganz vorn gewesen. Und dann hat er gemeint, er hätte Durst, und wir haben was zu trinken geholt."
Ja, liebe Leserinnen und Leser, und dann habe ich mich auf irgendeine Treppe gesetzt und auch mal ein paar Tränen vergossen. Mein Mann hat mir über die Wange gestreichelt und lachend gemeint: "Also, den Ehrgeiz, den hat er nicht von mir." "Ich weiß", habe ich mit Kloß im Hals und kleinlaut gesagt, "ich bin genauso. Wäre nur schön gewesen, er wäre da anders und etwas entspannter."
Und der Einzige, den die Aufregung in diesem Moment völlig kalt lässt, ist der kleine Dicke. Der guckt nur groß und nimmt ein paar kräftige Schlucke Isoplörre aus der Flasche.
Geändert von Pantone (31.10.2011 um 12:14 Uhr).
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