Erich Kästner - Das Gebet keiner Jungfrau
Das Gebet keiner Jungfrau
Ich koennte gleich das Telefon ermorden!
Nun hat er, sagt er, wieder keine Zeit.
Ein ganzer Mensch bin ich nur noch zu zweit.
Ach, eine Haelfte ist aus mir geworden.
Ich glaube fast, er will mich manchmal kraenken.
Es schmeichelt ihm vielleicht, dass er es kann?
Wenn ich dann traurig bin, sieht er mich an,
als wuerde ich ihm etwas Huebsches schenken.
Dass er mich lieb hat, ist hoechst unwahrscheinlich.
Ich habe ihn einmal darnach gefragt.
Das war im Bett. Und er hat nichts gesagt.
Er gab mir Kuesse. Denn es war ihm peinlich.
Es waer schon schoener, wenn es schoener waere
und wenn er mich so liebte, wie ich ihn.
Er liebt mich nicht. Obwohl es erst so schien.
Mein Koerper geht bei seinem in die Lehre.
Mama sagt oft, ich moege mich benehmen.
Sie ahnt etwas. Und redet gern von Scham.
Ich wollte alles so, wie alles kam!
Man kann sich doch nicht nur pro forma schaemen.
Er ist schon Dreissig und kennt viele Damen.
Er trifft sie manchmal. Und erinnert sich.
Und eines Tages trifft er dann auch mich.
Und gruesst. Und weiss schon nicht mehr meinen Namen.
Zwei Dutzend Kinder moecht ich von ihm haben.
Da lacht er nur und sagt, ich kriegte keins.
Er weiss Bescheid. Und kaeme wirklich eins,
muesst ich es ja vor der Geburt begraben.
Ich hab ihn lieb und will, dass es so bliebe.
Es bleibt nicht so, und naechstens ist es aus.
Dann weine ich. Und geh nicht aus dem Haus.
Und nehme acht Pfund ab. Das ist die Liebe.
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Das Leben ist ein Zeichnen ohne die Korrekturmöglichkeiten des Radiergummis.
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