Zitat:
Zitat von qbz
Weshalb "kurzfristig". Die heutigen Branchengiganten sind in der Regel deutlich grösser und mächtiger als alle früheren. Das kann man als systemisches Gesetz bezeichnen, bekannt als die wachsende Konzentration und Akkumulation von Kapital über die ökonomischen Krisenmechanismen.
|
Nach jeder Krise wachsen die Überlebenden und werden dominanter. Aber das ist kein systemisches Endgesetz, sondern nur eine Zwischenphase. Die nächste Technologie- oder Marktverschiebung spült neue Gewinner nach oben. Google, Tesla, BYD, die es vor 20 Jahren noch gar nicht gab. Und beim Zahlungsverkehr läuft halt deutlich mehr über Mastercard, Visa, Apple, Paypal, etc. Aber auch die werden sich nicht ewig halten. Kapitalismus bedeutet: Konzentration nach der Krise,
aber auch ständige Rotation. Die Großen von heute sind selten die Großen von übermorgen.
Zitat:
Piketty bewies empirisch, dass in den westlichen Gesellschaften in den vergangenen Jahrzehnten tendentiell eine Refeudalisierung stattfand und die Durchlässigkeit und Chancen abnahmen.
|
Das ist nicht richtig. Piketty hat gezeigt, dass Vermögen sich in den letzten Jahrzehnten stärker konzentriert sind – besonders in den USA. Aber das ist nicht gleichzusetzen mit einem starren System wie im Feudalismus. Wie geschrieben, rotieren die Unternehmenseliten ständig: Kapitalismus kann Vermögen konzentrieren, aber er sorgt gleichzeitig für permanente Bewegung bei den Playern. Piketty misst Bestände, ich spreche von Dynamik. Ok, Sozialisten mögen Dynamik nicht. Das ist aber ein Problem.
Nix is fix.
Zitat:
Sicher, es gibt kein Automatismus im Sinne eines Gesetzes, aufgrund dessen bei Wirtschaftskrisen eine faschistische Macht die Dominanz erhält. Das hängt davon ab, ob Demokratien durch Wirtschaftskrisen an Stabilität verlieren. Neben dem europäischen Faschismus bestätigen z.B. die zahlreichen Militärdiktaturen in Lateinamerika im 20. Jahrhundert die Tendenz, dass halt wirtschaftliche Krisen die Wahrscheinlichkeit für autoritäre Systeme und Diktaturen erhöhen.
|
Ich stimme Dir zu, dass Wirtschaftskrisen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Gesellschaften autoritär werden. Aber das ist kein Naturgesetz, sondern hängt von der Stärke der Institutionen ab. Westliche Demokratien haben seit 1945 zig Krisen durchgestanden, ohne in Faschismus oder Militärdiktatur abzurutschen – weil Kapitalismus Krisen bereinigt und der Sozialstaat sie abfedert. Am heftigsten krachte es tatsächlich dort, wo Systeme nicht marktwirtschaftlich reagieren konnten: Sozialistische Staaten und zentral gesteuerte Ökonomien. Dort werden Krisen nicht bereinigt, sondern gestaut – bis sie unkontrollierbar explodieren.
Kapitalismus ist also nicht perfekt, aber immer noch mit Abstand die beste Lösung. Deswegen sollte man sich schleunigst die Hosentaschen zunähen, wenn mal wieder das Lied vom "diesmal gibt es aber eine besser Form von Sozialismus". Ansonsten bekommt man die derart vollgehauen, dass man nicht wieder hochkommt
Zitat:
Nein, je weniger regulierende Eingriffe und Gesetze, welche die Chancengleichheiten und soziale Sicherheiten fördern / unterstützen, umso grösser werden die Unterschiede und der Reichtum weniger, was empirisch nachgewiesen worden ist z.B. von Piketty. Du überträgst IMHO einfach die simple Metapher vom Tellerwäscher auf die ganze Gesellschaft.
|
Stimmt, weniger Eingriffe bedeuten mehr Ungleichheit. Aber das heißt nicht automatisch weniger Chancen. In den USA ist der Reichtum stärker konzentriert, gleichzeitig sind 70 % der Milliardäre Selfmade. In Europa ist die Ungleichheit kleiner, aber auch die Durchlässigkeit. Bei uns dominieren alte Vermögen. Mit anderen Worten: Europa stabilisiert, Amerika rotiert. Zur Wahl steht letztendlich: mehr Risiko und mehr Aufstiegschancen dort, mehr Sicherheit und mehr Stillstand hier.
Ohne diese Dynamik wird der Kuchen sehr wahrscheinlich immer kleiner. Das nun wieder wäre der Traum von Ulrike Hermann. Mein Fall ist das nicht. Ich weiss die Freiheiten, die ich seit 1989 habe extremst zu schätzen. Die Welt davon will ich auf keinen Fall zurück. Auch nicht in Teilen.