H&A Frenchman 2025 - Langdistanz
Ich erzähle niemandem etwas von meinen Plänen, bereite mich aber äußerst akribische vor. 4 lange Race Pace Einheiten in den Wochen 5 - 2 vor dem Wettkampf. Je 140 bis 170 km TT und 20 bis 30 km laufen. Verpflegung testen bis zum geht nicht mehr. Und dann bin ich sicher. Wenn die Bedingungen einigermaßen mitspielen, kann ich es schaffen. Auf ein langes Tapern verzichte ich dieses Mal. Danach fühle ich mich immer so träge. Also nur die Woche vor dem Wettkampf etwas ruhiger.
Und gestern war es dann so weit. Knapp 700 Athleten stehen am Strand des Lac d‘Hourtin-Carcans und warten. Da kommt er. Der Super-Fremchman (einfach mal googeln oder auf Instagram schauen, echt toll, wie er das aufzieht) kommt mit seinem Boot an und springt auf den Strand. Die letzten Rituale vor dem Start - Peng. Er hat den Startschuss gegeben. Wir stürmen ins Wasser. Knapp 1900 m raus in den See und zurück. Erst mal raus aus dem Getummel, ein paar Füße suchen. Nach 800 m schaue ich zu, ersten Mal auf die Uhr - Was? Unter 01:40/100 m, das ist zu schnell. Ich will rausnehmen aber um mich sind überall Schwimmer. Die Gruppe zieht mich mit. Und so vergeht Meter um Meter. Ah, da ist die Wendeboje. Einmal drum herum und zurück. Ich fürchte, dass die Strömung uns hier langsamer macht. Aber! Nein. Wir schwimmen weiter konstant um 01:40/100 m. Nach 3900 m und etwas weniger als 01:05 h kann ich den Boden greifen.
Aus dem Wasser waten, Neo öffnen und abstreifen, Badekappe und Brille absetzen und in den Ärmel stopfen. Weiter geht es in die schier endlos lange Wechselzone. Mein Wechselbeutel hängt in der letzten Ecke. Erst die Flasche mit Kohlenhydraten aus dem Wechselbeutel, dann den Neo aus, Helm, Startnummernband und weiter zu, Rad. Raus aus T1 und los geht es. Zwei Runden a 90 km liegen vor mir.
Die ersten km der Runde sind leicht wellig. Ich fahre erst mal nach Gefühl. Die Beine sind direkt voll da und fühlen sich stark an. Als die Strecke flacher wird, der Blick auf die Uhr. 280 W im Schnitt. Viel zu viel. Ich nehme, etwas raus. Immer wieder muss ich mir sagen:
„Nicht mehr als 245 W“
„Bleib ruhig“
„Halte Dich an den Plan“
So pendelt sich die Leistung dann auch bei 245 W ein. Die Straßen sind unfassbar schlecht. Extrem grober Belag, Schlaglöcher, kleine Steinchen, Bodenwellen und Aufgerissener Asphalt. Ich überhole die Leute vor mir. Niemand überholt mich. Bin ich so ein schlechter Schwimmer denke ich mit einem Schmunzeln. So vergeht die Zeit wie im Flug. Die ersten 60 km bin ich viel schneller als erwartet. Alle 5 km verpflegen, alle 40 km das Trinksystem nachfüllen. Dann geht es in den Gegenwind.
Uh… Jetzt weiß ich warum ich bisher so schnell war. Der Wind ist echt übel. Ich trete deutlich über 260 W und fahre trotzdem nur ca. 38 km/h.
„Nicht mehr als 245 W“
„Bleib ruhig“
„Halte Dich an den Plan“
„Du hast genug Zeit rausgefahren“
„Es passt noch alles“
Bei km 80 kommt die Erlösung. Das erste (und einzige) Mal werde ich überholt. Joey lese ich auf der Startnummer. „Let‘s work together Joey. You go to the fron the next 15 km, then I take over.“ Ich kriege nur einen Daumen und ordne mich mit gebührendem Abstand ein. Bei km 95 übernehme ich wie versprochen. Nach ca. 110 km kommt Joey ungefragt wieder nach vorne. Läuft denke ich mir. Da ist die nächste Verpflegungsstation. Ich brauche unbedingt Wasser. Ich gebe etwas Gas, um Joey nicht zu verlieren. Und da passiert es. Gerade als ich das Wasser gegriffen habe, höre ich die Pfeife. Scheiße. Blaue Karte. Ok, 5 Minuten Warten in T2. Ich bin etwas verärgert. Es war in einer Steigung und an der Verpflegungsstation aber akzeptiere es. Ich war unachtsam, bin zu dicht aufgefahren. Damit muss ich leben. So fahren Joey und ich zusammen weiter. Nach km 125 gehe ich nach vorne.
Km 150. Wieder in den Gegenwind. Ich hoffe, dass Joey bald mal wieder übernimmt, aber: Nein. Bei km 160 Ich stelle fest, dass er zwischendurch etwas zurückgefallen ist und werde etwas langsamer. Er kämpft sich zurück, bleibt aber hinter mir. So fahre ich auch die letzten 20 km an der Spitze, passe aber gut auf, dass ich es nicht übertreibe. Nicht mehr als 245 W, die letzten 10 km eher 235 - 240.
Nach 04:25 h erreichen wir T2. Ich fühle mich erstaunlich frisch und bin zuversichtlich für den Lauf.
Joey klatscht mir auf den Rücken. „I‘m sorry for the penalty, I think that is not fair.“
„Well, I did not watch out for a moment and now I have to take the consequnces. Have a good run. See you at the finish line“
Wo ist denn jetzt die Penalty Box? Der einzige Kampfrichter weit und breit spricht kein Wort Englisch. Mist. Dann gehe ich erst mal auf die Lauftrecke und suche da den nächsten Kampfrichter. Also zum Wechselbeutel, viel Flüssigkeit und ein paar Kohlenhydrate und in die Laufschuhe. Ab auf die Laufstrecke. Ah, da ist auch schon ein Kampfrichter. Er schickt mich auch direkt links ab in die Penalty Box (irgendwie eine merkwürdige Position, oder?).
5 Minuten warten, ich überschlage, wie schnell ich gleich laufen muss. Um 04:40/km wenn ich die Strafe einrechne. Da sollte machbar sein. Als die 5 Minuten endlich um sind, geht es los.
4 Runden a 10,5 km liegen vor mir. Die Hälfte der Runde führt durch den nahe gelegenen Wald, die andere Hälfte am Strand vorbei. Die Pace pendelt sich um 04:30/km ein.
„Langsamer“
„Du willst nur in 08:59 h finishen“
„Übertreib es nicht“
Ich sage mir immer wieder die gleichen Sachen. Irgendwie den Kopf bei Laune halten. Alle 2 km Verpflegung. Den Fokus halten. Die Laufstrecke wurde auf der Website als flach beschrieben. Doch schnell stelle ich fest. Flach hat hier wohl eine andere Bedeutung als im Emsland. Im Stück durch den Wald geht es auf und ab.
„Bleib ruhig“
„Langsam den Berg hoch und dafür schnell runter“
„Du schaffst das“
Irgendwie vergeht km um km. Die Beine sind erstaunlich frisch. Aber mittlerweile rebelliert der Bauch. Ich habe einen unfassbaren Druck im Bauch, probiere irgendwie, die Verpflegung drin zu behalten und weiter Kohlenhydrate zuzuführen. Die Beine wollen schneller aber der Bauch nicht. So pendelt sich die Pace zwischen 04:30/km und 04:35/km ein. Nicht so schnell wie in den Trainingsläufen aber absolut akzeptabel. Das reicht.
Runde 2 ist vorbei.
Runde 3 geschafft.
Nur noch einmal diese ätzenden Hügel im Wald
Einmal noch den Strand runter
Ein letztes Mal in den Gegenwind
Und dann ist es so weit
Nach etwas weniger als 03:10 h (03:15 h mit der Strafe) erreiche ich das Ziel
Ich will in den Zielkanal einlaufen
Der Kampfrichter hält die Hand hoch
Scheiße, der Reisverschluss vom Einteiler ist noch auf
Eine halbe Minute brauche ich, um ihn zu schließen
Und dann überquere ich die Ziellinie
04:52:59 h und Platz 13
Der Super Frenchman gratuliert mir
Das Jahr 2025 ist sportlich perfekt
50 km beim Werderseelauf mit Yvonne Van Vlerken
Nun endlich die Sub 9
Ich bin überglücklich und freue mich nun auf ein paar ruhige Tage hier in Frankreich
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