Speziell ein Link für Trimichi, als Leser der Bände zur Geschichte der Philosophie von Jürgen Habermas:
Neulich hat sich der 95jährige Philosophie Altmeister Habermas in einem Essays in der Süddeutschen ausführlich zur Lage Deutschlands, Europas und den weltweiten geopolitischen Umbrüchen zu Wort gemeldet. Auch kritische Gedanken zur Ukraine Politik fehlen von ihm nicht:
Zitat:
"Nachdem die amerikanische Regierung keinen Versuch unternommen hatte, dem mit aufmarschierenden Truppen angedrohten Angriff der Russen durch Verhandlungen zuvorzukommen, war ein militärischer Beistand zur Aufrechterhaltung der staatlichen Existenz der Ukraine gewiss geboten. Aber unverständlich war es, wie sich die Europäer in der trügerischen Annahme eines intakten Bündnisses mit den USA ganz in die Hand der ukrainischen Regierung gegeben, nämlich ohne eigene Zielsetzung und ohne eigene Orientierung auf eine unbedingte Unterstützung der ukrainischen Kriegsführung eingelassen haben."
"Über die konkurrierenden Einschätzungen der Vorgeschichte und der möglichen Vermeidbarkeit des russischen Überfalls auf die Ukraine werden die Historiker erst mit dem erforderlichen Zeitabstand ihr Urteil fällen können. Wie dieses auch ausfallen mag, nach dem 23. Februar 2022 war die politische Lage unzweideutig: Mithilfe der USA musste Europa der angegriffenen Ukraine zu Hilfe kommen, um deren staatliche Existenz schnell genug zu sichern. Aber statt des fahnenschwenkenden Kriegsgeschreis und des lauthals angestrebten „Sieges“ über eine Atommacht wie Russland wäre damals ein realistisches Nachdenken über die Risiken eines längeren Krieges am Platz gewesen. Es fehlte der kritische Blick für die Gefahr eines Bruchs mit dem bisherigen Weltwirtschaftssystem und einer bis dahin noch mehr oder weniger ausbalancierten Weltgesellschaft. Auch im eigenen Interesse hätte man versuchen müssen, mit dieser irrationalen, seit Langem absteigenden Imperialmacht Russland möglichst schnell zu Verhandlungen über ein für die Ukraine akzeptables, aber dieses Mal vom Westen gewährleistetes Arrangement zu gelangen. Schon am ersten Tage des russischen Einmarsches hätte der nüchterne Blick auf den Termin der nächsten amerikanischen Präsidentschaftswahl die Europäer von der Brüchigkeit des längst wackligen Nato-Bündnisses überzeugen müssen."
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Jürgen Haabermas: Zu Donald Trump, dem geopolitischen Umbruch und der Übertölpelung unseres Kontinents. Zugleich eine Warnung vor der Rhetorik der Verfeindung und ein Plädoyer für die Freundschaft mit unseren Nachbarn. 21. März 2025. Süddeutsche Zeitung.
Wer lieber eine referierende Zusammenfassung des Essays liest, findet sie auf Telepolis:
Rüdiger Suchsland: Ukraine-Krieg und Geopolitik: Jürgen Habermas zur Zukunft Europas. In Telepolis.