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Alt 03.07.2023, 01:36   #518
Skydiver
Ist alles so schön bunt hier!
 
Registriert seit: 25.01.2020
Ort: Mitterkreith
Beiträge: 33
T1
So schnell es irgendwie geht versuche ich den Neo auszuziehen. Das Ding ist eindeutig zu klein für mich. Und offensichtlich ist er in Tarnfarben, weil bei jedem Athleten um mich herum ein Helfer mit anpackt, aber mich sieht keiner. Der Neo ist aus und ich stopfe ihn in den Beutel. Der Rennanzug will nicht über die Schultern gleiten und klebt an meinem Rücken wie das Finanzamt an Uli Hoeneß. Ich gehe zu einem unbeschäftigten Volunteer und bitte um Hilfe. Macht der dann auch gleich und nimmt mir zusätzlich noch den Beutel ab. Im Gegensatz zu früheren Wettkämpfen spare ich mir dieses mal Dinge wie Abtrocknen, Sonnenmilch, Brustwarzenpflaster und Vaseline im Schritt. Wechsel swim to bike 06:13min. Verbesserung minus 04:22min.

Radfahren
Der Radcomputer am neuen Rad ist auch neu. Die Anzeige ist auf 4 Werte eingestellt. Zeit, Kilometer, Entfernung und für mich an diesem Tag das Wichtigste, die Durchschnittsgeschwindigkeit. Oberstes Ziel ist nach wie vor eine persönliche Bestzeit. In Italien hatte ich eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 31,2 km/h. Ich weiß, pro 1 km/h das ich im Durchschnitt schneller bin, müsste meine Endzeit um ca. 10min kürzer sein. Nach den ersten paar Kilometern zeigt der Durchschnitt 35km/h an. Ich denke Super, was kann da möglich werden. Aber dann kamen Wind und Steigungen. Der Durchschnitt fällt auf etwas über 31km/h. Enttäuschung, extra ein gebrauchtes Triathlonrad gekauft und dann bin ich nicht schneller als mit meinem Rennrad. Ich beschließe zu warten und die Lage nach der ersten Runde neu zu bewerten. Windschattenfahren findet bei mir nicht statt. Nach dem Schwimmen bin ich im Teilnehmerfeld so weit hinten, dass ich während des Rennens an Hunderten Teilnehmern vorbeifliege und jedes einklinken hinter einem anderen Fahrer mich nur Zeit kosten würde. Anderseits sind die wenigen die mich Überholen, um so viel schneller, dass sie nach wenigen Augenblicken schon weg sind. Ich fahre meiner Meinung nach auf ganz natürliche Weise fair. Mit dem Projekt Langdistanz Triathlon habe ich begonnen um mir selbst was zu beweisen, nicht für Platzierungen, Geld und nicht für andere. Am Ende will ich stolz auf mich selbst sein. Und das könnte ich nicht, wenn ich durch Einnahme irgendwelcher Mittelchen oder sonst wie mich selbst beschissen hätte. Betonen möchte ich aber, dass ich niemand verurteile, weil bei so vollen Radstrecken kann man auch unabsichtlich in Windschatten geraten. Und man kann meiner Meinung nach niemanden zumuten sich dann ständig zurück fallen zu lassen. Schließlich soll jeder so schnell fahren dürfen wie er kann. Aber auch ich hatte Regelverstöße. Wenn z.B. vor mir schon ein Überholvorgang im Gange war und dann auch noch das Rechtsfahrgebot nicht so genau genommen wurde habe ich mich beim Aufschließen nicht hinter dem Überholenden eingeordnet, sonder bin schon das eine oder andere mal über die Mittellinie gekommen und dann an den beiden vor mir gleichzeitig vorbei. Bei der Verpflegung bin ich wie folgt vorgegangen. In den Ersten beiden Stunden habe ich alle 20min ein Drittel meiner Flaschen geleert. Nach einer Stunde die erste abgeworfen und durch eine Wasserflasche ersetzt. Nach der zweiten Stunde wurde das Konzept umgestellt. Von da an habe ich alle 15min ein Drittel einer Wasserflasche getrunken und alle 30min einen großen Mund voll (waren mehrere Schlucke) vom Konzentrat der Elite Flasche genommen. Als Notreserve hatte ich noch 2 Sponsergels in meinem Anzug die ich aber letztendlich erst beim Laufen verwendet habe. Am Rennrad hatte ich eine kleine Pumpe dabei. Das wollte ich jetzt bei Triathlonrad aber nicht mehr, also habe ich mir eine CO2 Flasche gekauft. Pech nur dass ich Schlaubi Schlumpf diese Flasche im Auto vergessen hatte. Da hilft sie viel. Vor dem Rennen in der Wechselzone habe ich ewig auf mein Rad gestarrt, aber die Flasche ist mir erst jetzt während der Fahrt wieder eingefallen. Ich hatte also einen neuen Schlauch, Ventil, Ventilverlängerung, Reifenheber und sogar Gummihandschuhe dabei, aber bei einem Platten keine Möglichkeit Luft in den Schlauch zu bringen. Ab da habe ich begonnen mit meinem Rad zu sprechen und ihm gut zu zureden. Pommes gut machst du das, halt noch ein wenig durch, usw.. Mein Rad heißt Pommes, weil es Rot/Weiß ist. Jedes mal wenn ich wieder einen Kanaldeckel oder ein Schlagloch übersehen hatte, ging ein besorgter Blick nach unten. Zum Glück blieb ich die ganze Strecke von einer Panne verschont. Am Solarer Berg waren die Zuschauer wie in den Videos die ich mir vorher angesehen hatte. Ich grinste, hatte aber keine Träne in den Augen. Nach der ersten Runde war der Durchschnitt wieder auf 32,9km/h gestiegen und ich war zufrieden. Am Ende war er bei 32,4km/h. Das Ende der Radstrecke kam wie aus dem Nichts und für mich fast ein wenig überraschend nach 05:29:37h. Verbesserung minus 16:36min.

T2
Noch bevor ich meinen Fuß über die Stange heben konnte, wollte ein eifriger Helfer schon mein Rad untere meinem Arsch raus ziehen. Ich sage halt, warte, lass mich erst mal absteigen. Als ich um die Ecke biege höre ich noch von hinten jemanden rufen, dreh deine Nummer nach vorne. Sofort wird mir klar warum das ein Fehler von mir war, weil mir keiner meinen Wechselbeutel reicht. Ich rufe laut meine Nummer. Zwei oder drei Helfer flitzen los uns suchen hektisch. Das ganze hat mich höchstens 10sec gekostet und ist eindeutig meine Schuld. Im Zelt kniet eine nette Dame vor meiner Bank und es ist mir schon ein wenig peinlich, dass sie meine stinkenden Radschuhe anfasst. Sie steckt sie in die Tüte, ebenso wie meinen Helm. Socken an, Schuhe an, Brille auf, Kappe auf und schon bin ich wieder draußen. Wechsel bike to run 02:07min. Verbesserung minus 04:42min.

Laufen
100m nach dem Wechselzelt sehe ich meine Frau am Straßenrand. Mein Sohn ist mit seiner Freundin mittlerweile auch nach Roth gekommen und steht daneben. Ich freue mich riesig. Gebe meiner Frau einen schnellen Kuss und bedanke mich bei meinem Sohn, dass er es noch geschafft hat zu kommen. Als ich weiterlaufe schmerzt die Ferse. Ich denke, nach so kurzer Zeit kann ich mir doch noch keine Blase geholt haben. Dann fällt mir die Brücke beim Schwimmen wieder ein. Die Sache war schon so viele Stunden her und ich hatte sie vollkommen vergessen. Hilft nichts, da muss ich jetzt durch. Soll alles kaputt sein, ist mir egal, nach dem der Tag vorbei ist habe ich ja Zeit alle Verletzungen auszukurieren. So wie beim Radfahren, ohne Wattmesser, laufe ich auch jetzt nach Gefühl und nicht nach Puls. Ein 5 Minuten Schnitt würde eine Marathonzeit von 03:30h bedeuten. Was wiederum 15min Verbesserung meiner persönlichen Bestzeit für diesen Teilbereich bedeuten würde. Ein Traum. Mir ist schon bewusst dass 15min Welten sind im Marathon, aber ich bin eher so der „all in“ Typ. Lieber setzte ich alles auf einen Karte und verliere, als dass ich am Ende des Tages mit dem Zweifel leben müsste, ob ich wirklich alles gegeben habe oder ob noch mehr drin gewesen wäre. Bis zu diesem Zeitpunkt im Wettkampf konnte ich ja schon in jedem der bisherigen 4 Teilbereiche meine persönliche Bestzeit verbessern. Der Traum von unter 11h scheint in greifbarer Nähe zu sein. Obwohl ich die Ratschläge natürlich kenne, die ersten paar Kilometer langsam zu machen, laufe ich zu schnell los. Der erste Kilometer ist vorbei und die Uhr zeigt 04:40min an. Ich sollte eigentlich meine Geschwindigkeit reduzieren, aber ich lasse es laufen. Nach 4 Kilometer zeigt die Uhr erst 18:57min an. Ich fasse den Entschluss, ab jetzt bis zum Ende des Rennens nicht mehr auf die Uhr zu schauen um mich nicht verrückt zu machen. So wie es ausgeht geht`s eben aus und zu diesem Zeitpunkt glaubte ich noch es würde gut ausgehen. Mein Verpflegungsplan beim Laufen sah folgendermaßen aus. An jeder Verpflegungsstelle nehme ich zwei Becher Wasser. Einen über den Kopf zur Kühlung und einen zum trinken. Ich will keine Iso nehmen, weil ich die Magenprobleme letztes Jahr in Frankfurt darauf geschoben habe, dass ich erstens zu wenig getrunken habe und zweitens im Verhältnis dazu zu viele Kohlenhydrate aufgenommen habe. Die beiden Sponsergels habe ich noch immer in der Rückentasche und ich will je eine halbe Tube bei Kilometer 5, 15, 25 und 35 nehmen. Ebenso wie beim Radfahren bin ich auch beim Laufen ständig am Überholen. Ab und zu schießen Staffelläufer an mir vorbei. Trotzdem geht`s mir sehr gut und alles läuft wie am Schnürchen. Jetzt beim Schreiben habe ich nochmal nachgesehen und gemerkt, dass es bis Kilometer 16 gedauert hat ehe ich zum ersten mal über 5min/km gekommen bin. Wie ihr wisst hat man bei so einem langen Lauf viel Zeit zum nachdenken. Erst recht am Kanal. Absolut unbescheiden bin ich einfach nur glücklich und denke solchen Sachen wie „du bist der GOAT in deinem Dorf“. Aber der liebe Gott hat für solche Angebereien immer eine Antwort parat um dich wieder auf den Boden der Bescheidenheit zurück zu holen. Kurz nach dem Halbmarathon irgendwo zwischen km 21 und 22 schießt mir ein Ziehen in meinen rechten hinteren Oberschenkel. Ihr kennt sicher das Gefühl wenn man nur noch Millimeter von einem Krampf entfernt ist, der das Aus oder zumindest einen Wandertag bedeutet. Fast gleichzeitig beginnen dazu die Adduktoren auf beiden Seiten zu schmerzen. Das darf doch nicht wahr sein. Wut, Enttäuschung, Selbstvorwürfe und die Ungewissheit ob es mit 5:20min/km nicht so weit gekommen wäre oder ob es genauso geendet hätte. Es hilft nichts, ich drossle meine Geschwindigkeit dramatisch. Gefühlt laufe ich nun mit 8 oder 9min/km. Wissen tue ich es aber nicht, weil ich mir ja selbst auferlegt hatte erst im Ziel wieder auf die Uhr zu schauen. Auch in dieser Situation hätte mich der ständige Blick auf die Uhr und die dann zur Gewissheit werdende Geschwindigkeit nur noch mehr verrückt gemacht. Noch ist es sehr langsames laufen und nicht gehen. Ab jetzt nehme ich an jeder Verpflegungsstelle Iso anstatt Wasser, weil ich mir einrede, dass zu wenig Kohlenhydrate an der Misere Schuld sein könnten. Außerdem meide ich von nun an freundlich gemeinte Wasserduschen von Zuschauern mit Schläuchen oder Helfern mit Eimern. Ich bilde mir ein, dass diese Schockkühlungen sich nachteilig auf die Adduktoren auswirken könnten. Das Ziehen im Oberschenkel geht und kommt alle paar Meter, aber die Gewissheit, wenn ich auch nur einen Deut schneller laufe, ist ein Megakrampf vorprogrammiert, bleibt. Ich flehe innerlich, obwohl es noch unglaublich weit bis zur Ziellinie ist, hoffentlich komme ich noch bis zum nächsten Kilometerschild bzw. bis zur nächsten Verpflegungsstelle bevor ich gehen oder vielleicht sogar ganz aussteigen muss. Nach wie vor ist Enttäuschung das vorrangige Gefühl in mir. Obwohl ich so langsam unterwegs bin überhole ich, wenn auch viel seltener, Andere die noch langsamer laufen oder gehen. Als ich nach dem Kanal wieder durch Roth komme sehe ich meine Familie wieder am Straßenrand. Ich rufe ihnen zu, dass ich kurz vor einem Krampf bin und das es ab jetzt nur noch ums überleben geht. Mein Sohn lacht, weil er glaubt, dass ich einen Scherz mache. Aber meine Frau hat es wohl an meinem Gesicht abgelesen, dass es Ernst ist. Bei jedem weiteren Kilometerschild bedanke ich mich, dass ich noch einen Kilometer schaffen durfte, bevor die totale Katastrophe über mich herein bricht. Ich quäle mich Schritt für Schritt weiter. Aber bei einer Langdistanz bin ich von vielen Umgeben die sich quälen. Aufgabe ist noch keine Option. Und da müsste schon sehr, sehr viel passieren, dass ich mich nicht weiter schleppen würde. Auch mit dieser Einstellung bin ich hier sicherlich nicht alleine Unterwegs. Ich klatsche Kinder am Straßenrand ab, die ihre Arme rein strecken und sich darüber freuen. Ebenso berühre ich Super-Mario-Schilder die Extrapower versprechen. Ab und zu bekomme ich die größte Lüge im Triathlon zugerufen „Du siehst noch gut aus“. Trotzdem sind Aufmunterungen, des einzigartigen Publikums in Roth, nett gemeint und ich bin dankbar dafür. Nach unendlich langer Zeit taucht dann doch irgendwann das Stadion vor mir auf. Ich winke in die Runde und sehe meine Familie auf den Tribünen. Beim überqueren der Ziellinie reiße ich die Arme in die Luft. Danach drücke ich meine Uhr ab. Die Medaille wird mir umgehängt. Einer der Helfer fragt, ob er mich begleiten soll. Obwohl ich es auch alleine könnte nehme ich das Angebot gerne an, lege meinen Arm um den Helfer und lasse mich zur Meet and Kiss Zone bringen. Ich entschuldige mich bei ihm, dass ich ihn nassschwitze und bedanke mich am Ende für seine Hilfe. Meine Stimmung ist eine Mischung aus Freude und Erleichterung, dass ich es ins Ziel geschafft habe einerseits und Enttäuschung über die verkackte zweite Marathonhälfte andererseits. Jetzt erlaube ich mir auf die Uhr zu schauen und merke, dass die Geschwindigkeit nach Aktivierung des Notfallmodus zwar langsamer wurde, aber nicht so langsam wie befürchtet. Bis Halbmarathon 01:42:51h (04:53min/km), Zweite Hälfte 02:04:16h (insgesamt nur noch 05:23min/km). Marathonzeit 03:47:07h. Verschlechterung plus 54sec.

Gesamtergebnis 10:54:51h (persönliche Bestzeit um 25:17min verbessert)

Nachdem ein paar Tage verstrichen sind wandelt sich die Enttäuschung über die verlorenen 20min beim Marathon in Zufriedenheit über die Leistung, die Verbesserung der Bestzeit und der 11h Schallmauer. Für einen alten Mann, der immer noch nicht richtig schwimmen kann und der erst vor drei Jahren mit Triathlon begonnen hat, ist das ganz okay. Und letztendlich zählt nur was ich selbst darüber denke, weil ich das ganze ja auch nur für mich gemacht habe. Ich sehe es jetzt als würdigen Abschluss meiner Triathlonphase und kann mich nun einem neuen Projekt zuwenden. Außerdem bekomme ich mein „normales“ Leben wieder zurück. In den letzten Monaten gab es nur noch essen, schlafen, arbeiten und trainieren. An eine Zeit von unter 11 Stunden hätte ich vor 2 Jahren (als das Ziel „ankommen“ war) nicht zu träumen gewagt. Nochmal sorry für den langen und ermüdenden Bericht.
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Skydivers know why birds sing...
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