Szenekenner
Registriert seit: 01.09.2021
Ort: Berlin
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So fühlt es sich also an, jemanden infiziert zu haben; ich erlebe das immer wieder bei der Arbeit, wenn ich einer Patientin erklären muss, dass sie ihre Gonokokken oder Chlamydien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit NICHT vom Dixiklo auf dem Festival hat, vom Festival vielleicht schon und da womöglich auch von einer mit Chemie und anderer Kacke gefüllten - aber eben lebenden Kreatur.
Sicher verwischt unter Einnahme bestimmter Drogen die Grenze zwischen belebtem und unbelebtem Objekt und auf LSD bekommt sicher auch mal ein Dixiklo Gesicht und Beine - zur Übertragung von STD allerdings ist ein solches alleine nicht ausreichend.
Und das müsse sie nun dringend, gaaaaaanz dringend irgendwie ihrem Partner erklären und diesen am besten auch mit der Dixieklogeschichte verschonen und ihm sagen, dass das mit dem Bonjour-Tropfen morgens eben nicht normal ist.
Ich habe nun also meinen geliebten Mann infiziert, zum Glück aber nicht mit Go oder Chlamydien, Gott bewahre, sondern nur mit diesem blöden RS-Virus, das nach einer knappen Woche zügellosen Aufenthaltes in meinen oberen Atemwegen nun beschlossen hat, den Wirt zu wechseln. Und da liegt nun mein Bernhard im Siechenlager und will weder meine Fürsorge, noch den grauenvollen Sud aus Zwiebel, Ingwer und Honig, sondern einfach.nur.seine.Ruhe.
Was höre und lese ich da immer von Männern, die in der Krankheit regredieren und zum nervigen Kleinkind werden - hach, wie schön wäre das doch, ihm wie früher meinem Sohn die geballte Ladung Liebe und Zuwendung angedeihen lassen zu können. Mein Max hat das immer geliebt, egal ob mit vier, mit neun oder mit 16. Allein die Frauen in seinem erwachsenen Leben haben es schwer, das zu toppen, so ist das nun mal.
Leider wuchs mein Mann in einem Franziskaner-Kloster auf und dort unter entsprechend kargen Bedingungen; bei Krankheit kam im tiefen Vertrauen auf den Herrn der Spruch Hiobs zur Anwendung kam: der Herr gibts, der Herr nimmts, gepriesen sei der Name des Herrn. Pronto.
Für eine effektive Verankerung des geballten Mutti-Programms ist es nun zu spät und ich übe mich in Geduld, einfach nichts tun zu können.
Da aber Geduld meine Sache so gar nicht ist, gibt es wenigstens eine Hühnersuppe, so richtig selbst gemacht.
Ich also in eine Biocompany-Filiale am anderen Ende der Stadt, kaufe dort mit tief ins Gesicht gezogener Hutkrempe inkognito ein Huhn. Vielleicht auch einen Hahn, ich bin Veganer und kenne mich mit sowas nicht so gut aus. Auf jeden Fall kommt er oder sie aus der Bradenburger Nachbarschaft, wiegt1.8 kg und kostet 32 Euro. Und hoffentlich war sein oder ihr Leben bis jetzt ein besseres als das, was nun bevorsteht. Innereien sind keine mehr drin, na immerhin. Ich weiss ja nicht, wie meine Innereien auf Hühnergekröse reagieren.
Jetzt ist dieses Huhn also im Topf, zusammen mit Unmengen von Sellerie, Zwiebel, Möhren und anderen Köstlichkeiten, welche laut Rezept nach den zwei Stunden langsamen Köchelns weggeworfen werden sollen. Dafuq? Gemüse wegwerfen? Nur, weil es ausgekocht ist?
Alle 10 Minuten renne ich an den Herd, Wasser nachkippen; diese blöde Vogel reckt immerzu eine seiner Keulen aus der Brühe, sowie da zu viel Flüssigkeit wegdunstet.
Nun steht der schwierigste Teil bevor: das ausgekochte Suppengemüse raussieben und dann mit der behandschuhten Hand dem armen Tier Haut und Fleisch von den zarten Knöchelchen pulen. Das hat, obwohl ich so richtig vegan bin und auch nicht manchmal eine Ausnahme mache, trotzdem was befriedigendes. Manchmal mache ich mir diesbezüglich etwas Sorgen und frage mich, ob ich nicht in Wahrheit doch ein Sadist bin, der gerne mal etwas Fleisch zerteilt und allein mein Über-Ich sorgt dafür, dass ich dieser Leidenschaft ausschließlich in sozial gewünschter und anerkannter Weise im Op-Saal und nun eben am Kochtopf nachkomme.
Anyway.
Ich rechne nicht ernsthaft damit, dass irgendwer diesen Text hier bis zu Ende gelesen hat, wenn doch, hat sich diese Person damit fast auch schon eine Kelle Hühnersuppe verdient.
Ich werde mich jetzt nicht länger vor meinen ehelichen Pflichten drücken und dieses Huhn, dieses arme Huhn zerkleinern, auf dass die gesamte Superkraft (immerhin können die ja fliegen!) auf meinen guten Mann übergehen möge und sich dieses blöde Virus einen neuen Wirt sucht.
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