Zitat:
Zitat von Klugschnacker
...
Doch, das denke ich. Ein kleiner und kurzer Krieg ist weniger blutig als ein großer und langer. Was willst Du mit dem zweiten Absatz andeuten? Dass der russische Mensch per se so blutrünstig sei, dass er alles abschlachtet, was ihm begegnet? Ich denke das nicht. Solche Kriegsverbrechen sind leider in jedem Krieg die ganz normalen Auswüchse sich hochschaukelnder Gewalt. Du kannst nicht gleichzeitig einen Krieg befürworten und solche Gewaltexzesse beklagen.
...
|
Da muss ich dir leider ganz klar widersprechen. Das Abschlachten von Zivilisten, Bomben und Raketen auf Krankenhäuser und selbst auf ein zur Flüchlingsunterkunft umfunktioniertes Theater, in dem auf beiden Seiten des Gebäuder, gut sichtbar für Fugzeuge, die übergroßen Worte "Kinder" in kirylischen Buchstaben auf den Parkplatz geschrieben wurden, gehört keineswegs zu den "ganz normalen Auswüchsen" jeden Krieges.
Wenn es zu solchen Gewaltexzessen kommt und die mittleren und oberen Führungsebenen nicht konsequent dagegen vorgehen, ist es ein klares Zeichen von Führungsversagen.
Auch exzessive Plünderungen zur privaten Bereicherung, dass Waschmaschinen, Kloschüsseln, Handys, Flachbildfernseher und sogar komplette private PKWs in besetzten Gebieten gestohlen werden und in russischen Militärtransportern nach Russland bzw. Weißrussland geschafft werden und von dort teils mit Paketboten in die Heimatfamilien der kämpfenden russischen Soldaten geschafft werden, ist undenkbar ohne die Billigung von Vorgesetzten und gehört keineswegs zur normalen militärischen Kriegsführung, genauso wie Vergewaltigung von Zivilisten.
Teilweise hat man übrigens derartige Berichte schon vor 70 Jahren von der roten Armee gelesen, die damit maßgeblich zur Vertreibung Deutschstämmiger aus ehemals deutschen Gebieten im Sudetenland, Polen und Tschechien beigetragen hat. Damals wurden neben den unzähligen Vergewaltigungen auch private Wasserhähne, Türscharniere, Radios und Grammophone systematisch entwendet, während ich vergleichbare Geschichten aus den Gebieten, die die US-Army oder die British Army in Europa besetzt haben nicht vernommen habe.
Wir haben vor Wochen hier in diesem Thread bereits Quellen zusammengetragen, die derartiges abstoßendes Verhalten mit der traditionellen Disziplinlosigkeit im russischen Militär in Verbindung bringen, wo junge Rekruten gerade zu Beginn ihrer militärischen Laufbahn bewusst ihren unmittelbaren Vorgesetzten bzw. älteren Mannschaftskameraden selbst in Friedenszeiten mehr oder weniger ausgeliefert sind, so dass sich bereits auf dieser Ebene eine weitgehend normenlose Kultur von Gewalt und Gegengewalt entwickelt.
Marco hatte mehrere Aspekte dieser Kultur aus seinem unmittelbaren Erleben Russlands und des russischen Militärs auch bestätigt.
In anderen russischen Kriegen der jüngsten Vergangenheit (Syrien, was das hemmungslose Bebomben ziviler Infrastruktur angeht; Tschetschenien oder auch Grosnien) gibt es sehr ähnliche Berichte zum jetzt in der Ukraine dokumentierten Vorgehen. Nur waren in diesen Kriegen eben damals weitaus weniger Journalisten vor Ort, die die Gräueltaten zeitnah dokumentierten und Zeitzeugenberichte sicherten und die o.g. Konflikte haben uns aufgrund der größeren Distanz im Westen leider auch weitaus weniger interessiert.
Das Ganze scheint also durchaus ein spezifisches Problem russischer Kriegsführung zu sein.
Ich habe die große und leider begründete Sorge, dass ein Waffenstillstand, bei dem Russland auch nur einen Teil der besetzten Gebiete behalten darf, für die dortige Bevölkerung keinen wesentlichen Fortschritt zu einem Fortsetzen der Kriegshandlungen darstellt und allenfalls- da hast du natürlich recht- dem nicht betroffenen Westen eine Zeit lang im ureigensten Sicherheitsinteresse nützt (zumindest bis Russland wieder sich von den Verlusten im Ukrainekrieg erholt hat und mit wieder erstarktem Militär die restliche, dann noch existierende Ukraine und weitere Nachbarländer, in denen es nach russischer Lesart unterdrückte russische Minderheiten gibt, bedrohen kann).
Ohne unmittelbare Kriegshandlungen kann der Westen früher oder später wieder Zugriff auf billige russische Rohstoffe gewinnenb und den russischen Binnenmarkt für die Produkte westlicher Firmen als Absatzmarkt nutzen. Auch das macht den Wunsch nach schneller Beendigung der Kriegshandlungen aus Sicht vieler im Westen, die sich niedrige Kraftstoff- und Gaspreise und weiterhin hohes Wirtschaftswachstum wünschen sehr attraktiv, auch wenn Menschenrechte und Völkerrecht dem im Wege stehen.