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Zitat von dr_big
Ich bin sehr gespannt wie China eine Beziehung zu den Taliban aufbaut und wie das funktionieren wird. China verfolgt wirtschaftliche Ziele, die Taliban etablieren ein religiös motiviertes Schreckensregime. Wie das am Ende zusammenpasst?
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Ich bezweifle, dass die Taliban ein Schreckensregime etablieren wollen. Das sind auch keine absoluten Hinterwäldler.
Natürlich werden sie die Scharia wieder einführen, aber die gilt auch in Saudi Arabien, ohne dass bisher jemand vom Westen auf die Idee gekommen wäre, das demokratisch genauso wenig wie die Taliban legitimierte Königshaus in Saudi Arabien abzusetzen und durch eine Demokratie zu ersetzen.
Auch die Taliban benötigen eine halbwegs funktionierende Wirtschaft, wenn sie sich an der Macht halten wollen. Auch der Iran wird von Mullahs regiert und funktioniert leidlich. Ich will die Taliban auch nicht glorifizieren, aber der Westen hat sich nunmal vieles in Afghanistan in den vergangenen 20 Jahren schön geredet.
Wenn das Land funktioniert und von den westlichen Milliarden wirklich profitiert hätte, dann hätten die Militärs und die afghanische Regierung höchstwahrscheinlich ihre etablierten und bewährten Strukturen auch ernsthaft gegen den Zugriff der Taliban verteidigt.
Tatsächlich waren sowohl die Regierung Karzai als auch der Regierungsapparat und Ghani hochgradig korrupt. Es gab ghost soldiers und ghost schools, das heißt Gelder die für die Ausbildung von Militärs oder für das oft bangeführte Projekt "Mädchenschulen" vom Westen zur Verfügung gestellt wurden, verschwanden in den Taschen korrupter Politiker und keiner hat das so genau kontrolliert.
Ende 2020 befanden sich gerade mal noch 2500 US-Soldaten und wenige hundert Bundeswehrsoldaten in ganz Afghanistan und die kümmerten sich im wesentlichen nur noch um sich selbst, d.h. ihren Eigenschutz und haben kaum noch ihre Stützpunkte verlassen.
Was mit den auch da noch reichlich fließenden Geldern des Westens für Schulen und mit der vom Westen spendierten militärischen Ausrüstung bzw. der Ausrüstung der afghanischen Polizei und deren Ausbildung tatsächlich passierte, konnte bei einer so geringen Zahl an westlichen Kräften im einem riesigen Land (fast doppelt so groß wie Deutschland, 40 Mio Einwohner) doch niemand mehr wirklich überprüfen.
Ich bin absolut dafür die afghanischen Ortskräfte und ihre Familien, die ja klar westlich orientiert sind und die sich höchstwahrscheinlich bei uns gut integrieren lassen, wegen der unklaren Zukunftsaussichten nach Deutschland zu holen, wenn dies irgendwie noch möglich ist.
Aber ich glaube auch nicht, dass das Land, das vorher ja auch schlecht regiert worden ist, durch den Truppenabzug im Chaos versinkt und ich glaube (hoffe?) auch nicht, dass die Taliban, zurückgebliebende Ortskräfte als Ex-Collaborateure massakrieren, weil ihnen dies mehr neue Probleme im Ansehen bei der verunsicherten Bevölkerung bescheren würde, als dass sie damit Probleme lösen würden. Man hätte jetzt, da der Rückeroberungsfeldzug seit gut zwei Wochen läuft, von derartigen Rache-Aktionen schon gehört. Immerhin ist das Land ja nicht von der Außenwelt abgeschnitten und noch viele ausländische Journalisten vor Ort.