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Zitat von qbz
Ich würde als Beispiele bisheriger Praxis der Gerichte jetzt nicht ein so fernliegendes, abstraktes Beispiel wie der Abschuss eines von Terroristen entführten Flugzeuges nehmen, sondern bei den Infektionskrankheiten bleiben z.B. 1. dem Infektionsschutzgesetz oder 2. dem staatlichen Handeln bei der Eindämmung einzelner Infektionskrankheiten.
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Holla the forrest fairy
1. Du sprachst von Grundrechten und deren Gewicht untereinander und hast das mit der Position im Grundgesetz vor anderen argumentiert. Ich habe dir erklärt, warum du damit mMn zu kurz springst, vor allem weil du unvollständig zitiert hast und es im Kern der Debatte über die Grundrechte eben genau um die Abwägung der Rechtsgüter Leben und Freiheit geht - und letzteres lässt du aber einfach weg.
2. Wie du behaupten kannst, dass es sich bei meinem Beispiel um ein abstraktes Beispiel handelt, ist mir völlig schleierhaft.
a) Ich vertrat die Auffassung, dass - wenn du überhaupt über Grundrechte argumentieren möchtest - es aus besagten Gründen auf die Menschenwürde reduzieren müsstest. Eine Verkürzung so wie du das getan hast auf das Grundrecht auf Leben reicht m.E. nicht in jedem Fall, da der Staat berechtigt ist in dieses Grundrecht einzugreifen. So ein Rechtsgrund könnte ja auch hier bei COVID-19 vorliegen? Hast du das geprüft? Ich habe dir zwei Beispiele genannt bei denen der Staat eben in diese Grundrechte eingreift. Unter anderem den finalen Rettungsschuß als Eingriff in das Recht auf Leben. Warum soll er es also nicht auch bei COVID-19 tun? Hier müsstest du begründen.
b) Als
konkretes Beispiel dazu wie eine Argumentation aussieht, die eben diesen Eingriff NICHT(!) zulässt, habe ich erwähnt, dass das BVerfG
konkret (und nicht etwa abstrakt wie du völlig unverständlicherweise behauptest) beim Urteil über das Luftsicherheitsgesetz die Verdinglichung des Menschen als Verletzung der Menschenwürde angesehen hat. Die Menschenwürde könnte ein argumentativer Pfad also auch für dich sein, falls du über die Grundrechte für die Maßnahmen argumentieren möchtest bzw. der Abwägungsproblematik aus dem Weg gehen möchtest.
Gerne kannst du anderer Meinung sein, und argumentieren, warum die Rechtfertigung über das Grundrecht des Lebens doch Erfolg haben kann. Oder auch warum es nicht nötig ist über die Menschenwürde zu argumentieren.
3) Es ist auch nicht nötig, bei der Diskussion über Grundrechte beim Infektionsschutzgesetz zu bleiben. Es geht hier um ein strukturellen Zusammenhang und um ein Argumentationsschema und wie du wahrscheinlich weißt, ist unser Rechtssystem ein abstraktes Rechtssystem und kein Case-Law wie z.B. in den USA. D.h. es muss auf den konkreten Fall abgeleitet werden.
Zitat:
Zitat von qbz
1. Man kann annehmen, dass das Infektionsschutzgesetz aus 2001, aufgrund dessen der Lockdown beschlossen wurde, vor der Gesetzgebung auf die Verfassungsmässigkeit geprüft wurde. Jeder hat(te) die Möglichkeit, gegen dieses Gesetz Verfassungsbeschwerde einzulegen, was bisher nicht passiert ist. Solange darf man davon ausgehen, dass das Gesetz verfassungskonform ist.
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Zunächst: Nur weil noch kein Urteil zur Verfassungskonformität eines Gesetzes ergangen ist, bedeutet es nicht, dass es verfassungskonform ist. Und das jedes Gesetz auf Verfassungskonformität geprüft wird ist ja wohl mehr als naiv. Warum sonst hätte in der Vergangenheit das BVerfG regelmäßig Gesetzesvorhaben gekippt, NACHDEM(!) sie längst in Kraft getreten sind? Jüngst fällt mir das Sterbehilfegesetz und der §217 im StGB.
Ausserdem: So viele Änderungen am Infektionsschutzgesetz, die Maßnahmen erst ermöglichten sind gar nicht vorgenommen worden. Meines Wissens nach genaugenommen keine Einzige. Verwechselst du da was mit Länderebene? Oder mit Verordnungen? Es gab eine Verordnung zur Meldepflicht basierend auf IfSG und es gab Anordnungen auf Basis von IfSG. Aber eine Gesetzesänderung? Die noch dazu auf Verfassungskonformität geprüft worden wäre?
Zitat:
Zitat von qbz
Bei bestimmten Infektionskrankheiten wie z.B. der Tuberkulose darf der Staat bestimmte Zwangsmassnahmen anordnen, falls ein Erkrankter sich nicht in Behandlung begibt, zum Schutz der anderen Menschen. D.h. Das Recht auf Leben und die körperliche Unversehrtheit anderer Menschen wird in einem solchen Fall über dem Recht der persönlichen Freiheit des Erkrankten angesiedelt.
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Das ist ein gutes Argument meine ich.

Wenn du schon gerne dabei bleiben würdest: Du spricht
z.B. IfSG §30 als Rechtsgrundlage an, oder? Darin heißt es:
Zitat:
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Zitat von IfSG §30
(2) Kommt der Betroffene den seine Absonderung betreffenden Anordnungen nicht nach oder ist nach seinem bisherigen Verhalten anzunehmen, dass er solchen Anordnungen nicht ausreichend Folge leisten wird, so ist er zwangsweise durch Unterbringung in einem abgeschlossenen Krankenhaus oder einem abgeschlossenen Teil eines Krankenhauses abzusondern. Ansteckungsverdächtige und Ausscheider können auch in einer anderen geeigneten abgeschlossenen Einrichtung abgesondert werden. Das Grundrecht der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz) kann insoweit eingeschränkt werden. [...]
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und weiter
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Zitat von IfSG §30
(3) Der Abgesonderte hat die Anordnungen des Krankenhauses oder der sonstigen Absonderungseinrichtung zu befolgen und die Maßnahmen zu dulden, die der Aufrechterhaltung eines ordnungsgemäßen Betriebs der Einrichtung oder der Sicherung des Unterbringungszwecks dienen.[...]
Die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz), der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz) und das Grundrecht des Brief- und Postgeheimnisses (Artikel 10 Grundgesetz) werden insoweit eingeschränkt.
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Die Frage ist: Kann man über das, diesen Gesetzen zugrunde liegende Argumentationsschema, das die Grundrechtsbeschränkung
einer einzelnen Person die
ganz konkret erkrankt ist verfassungsrechtlich rechtfertigt, auch die Grundrechtsbeschränkung einer
kompletten Gesellschaft rechtfertigen die eben
nicht konkret erkrankt ist? Ich denke nicht; nicht über diesen Mechanismus. Deshalb mein Vorschlag es über die Würde zu versuchen, dann geht man dem Abwägungsproblem zumindest an der Stelle aus dem Weg.