Also ich war zarte 17 Jahre und gerade im letzten Jahr für´s Abi in Leipzig. Die Montagsdemos waren ja schon voll am Laufen und seit der Ausreisewelle im Sommer war eigentlich jedem klar, dass da was in der Luft lag. Dass das alles so sang-und klanglos in sisch zusammenbrechen würde, war dann doch eine Überraschung.
Am 9.11. selbst haben wir das alles erstmal mit Erstaunen am Fernseher verfolgt. Dass die Idioten in der SED-Führung so völlig planlos waren für den Fall, dass die Konterrevolution massiv von innen heraus kommt, war mehr als erstaunlich. Aber passte ins Bild dieser drittklassigen Politikerdarsteller. Ohne klare Vorgaben von weiter oben oder aus Moskau waren die aufgeschmissen.
Wenn ich mich recht erinnere, war der 9.11. ein Donnerstag. Der Freitag in der Schule kannte natürlich nur ein Thema. Am Samstag hatten wir damals eigentlich noch Schule. Ein Klassenkamerad kam dann mit der Idee, dass wir mit einem gemeinsamen Freund, der schon 18 war und einen eigenen Trabbi hatte (unglaublich - aber sein Papa hatte ein gutgehendes Geschäft) nach Westberlin fahren sollten. Meine Mutter war dagegen - und eine Entschuldigung würde sie mir auch nicht schreiben. War aber egal - die Mauer geht nur einmal auf und wer weiss, ob die Russen sie nicht wieder zu machen - also sind wir Samstag früh zeitig los, gut über die Grenze nach Westberlin gekommen - null Problem, alles völlig unkomplizier. Und plötzlich waren wir im Westen.
Den Trabbi haben wir dann irgendwo im Wohngebiet geparkt - keiner hatte ja einen Stadtplan. Als erstes kam eine ältere Frau auf uns zu und sagte, wie sehr sie sich freue - und drückte uns 20 Mark in die Hand, damit wir uns eine Currywurst kaufen könnten. Unglaublich - wenn ich dran denke, wie wir heute Fremde und Flüchtlinge behandeln, bin ich peinlich berührt.
Natürlich haben wir dann unsere 100 Mark Begrüssungsgeld geholt, Kudamm abgelaufen, ein wenig eingekauft (mein erster billiger Walkman) und dann wieder heim.
Meine Mutter hat mir dann ünbrigens doch noch eine Entschuldigung geschrieben. Sie wollte ja keine unentschuldigten Fehltage auf meinem Zeugnis

Irgendwas von "wichtigen Familienangelegenheiten" stand wohl drauf.
War übrigens ne geile Zeit damals. Unglaublich intensiv, die Welt stand plötzlich offen.
Ich finde es schade, wieviele Leute im Osten vergessen zu scheinen haben, wie ihr Leben wirklich aussah vor der Wende. Auch wenn nicht alle Träume in Erfüllung gehen konnten, ich will den Scheissstaat von damals nicht zurück.
Gruss
k