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Alt 29.04.2019, 23:49   #14399
Jörn
Esst mehr Gemüse
 
Benutzerbild von Jörn
 
Registriert seit: 22.09.2006
Beiträge: 3.499
Zitat:
Zitat von Helmut S Beitrag anzeigen
Wenn man sieht, dass alles argumentieren nicht zum Ziel führt und trotz der Wahrheit und Korrektheit der Argumente der Gesprächspartner nicht überzeugt werden kann, dann muss man sich doch mal fragen, an was das liegt? Liegt es evtl. am Wesen des Menschen? Hier schneiden wir dann Themen an, die den Menschen direkt betreffen wie z.B. positives Selbstbild, kognitive Dissonanz und kognitive Verzerrungen.
An was liegt es? Warum glauben Menschen?

Für mich ist das die Frage aller Fragen. Es ist insofern eine schwierige Frage, als dass gläubige Menschen in der Regel nicht bereit sind, an ihrer Beantwortung mitzuwirken. Es ist also ein Bereich, bei dem man nicht mit den Gläubigen spricht, sondern über sie. Das ist natürlich für eine öffentliche Forumsdebatte nicht sehr schön, weil man ja hier vor allem miteinander reden sollte.

Aber ich kann vielleicht von mir selbst und meiner eigenen Odyssee durch zahlreiche Debatten berichten. Seit dem religiösen Terror (9/11, Charlie Hebdo) habe ich für mich beschlossen, dass Religionskritik öffentlich hörbar sein sollte, und dass eine öffentliche Debatte über religiöse Dinge erlaubt sein müsste. Diese Debatte hat natürlich Chancen in beide Richtungen, aber für mich ist dabei die Richtung "weg vom Glauben" interessant.

Die Frage lautet dann für mich: Wo ist der Hebel, den man in der Debatte bewegen müsste, um Gläubige vom Glauben wegzubringen (oder sie zum Glauben hinzuführen)? Ich habe dabei über die Jahre verschiedene Theorien probiert, weil ich nicht wusste, was funktionieren würde.

• Meine erste Theorie war, dass es an den Inhalten der Religionen liegt. Das hat sich als völliger Reinfall erwiesen. Den Gläubigen sind die Inhalte meistens nicht bekannt. Nicht nur das: Sie haben auch keinerlei Interesse daran. Es geht sogar noch weiter: Mit nichts kann man Christen so sehr verärgern, als wenn man sie mit den Details des Christentums konfrontiert.

Meine umfangreiche Beschäftigung mit christlichen Schriften, ihrer Auslegung und ihrer Historie, hat sich für die Debatte als nutzlos erwiesen. Zwar kann man damit Leute beeindrucken, die unentschieden sind. Aber man kann bereits Gläubige damit nicht beeindrucken. An den Inhalten liegt es nicht.

• Meine nächste Theorie war, dass es an Werten, Sinn und Moral liegt. Das war der größte Reinfall von allen. Die Debatte verstummt sofort, sobald sie auf dieses Thema einschwenkt. Vor allem dann, wenn es um die Grundlagen (um ihre Begründung) in den christlichen Schriften geht. Nach meiner Beobachtung ist niemand ein Christ, Moslem oder Jude, weil er bestimmte Werte teilt. Es ist die falsche Denkrichtung. Die Richtung ist nicht: "Ich finde bestimmte Werte gut, diese werden im Christentum vertreten, also mache ich dort mit". Sondern die Richtung ist: "Ich bin Christ. Welche Werte muss ich folglich vertreten?"

Werte, Sinn und Moral lösen sich in den Religionen auf zu "Folgsamkeit". Die Werte werden nicht begründet, sondern verordnet. Eine Debatte über Sinn und Moral wird von vielen Gläubigen in der Regel als Angriff auf ihre Loyalität gewertet. Sie geraten in einen Loyalitätskonflikt zwischen dem, was verordnet wurde, und dem, was sie selbst für richtig halten. Wenn dann noch ein Atheist in dieser Wunde herumstochert, wird es zu viel. Das Thema wird gemieden. Über Werte wird zwar gerne von Kanzeln und auf Parteitagen gesprochen, aber nur deswegen, weil Widerspruch und Debatte nicht zu befürchten sind.

• Meine nächste Theorie war (und ist), dass es psychologische und historische Gründe hat. Bestimmte Eigenschaften unseres Denkapparats und unserer Psyche lassen sich missbrauchen. Die Ausbeutung dieser Entdeckung hat sich in Jahrtausenden evolutionär perfektioniert. Evolutionär im Sinne von: Was gut funktioniert hat (und profitabel war), schaffte es ins nächste Jahrzehnt. Es ist so, als hätte sich ein Hütchen-Spieler dreitausend Jahre lang perfektioniert. (Man zeige mir eine einzige große Religion, die nicht profitabel ist.)

Nach meiner derzeitigen Hypothese besteht Glaube aus verschiedenen (wenigen) Immunisierungsstrategien, die auf ein paar Fehlschlüssen basieren, die wiederum durch Rhetorik verschleiert werden. Das Einfallstor sind Sehnsüchte, für die wir vor allem in den ersten Lebensjahren anfällig sind, weil sie mal evolutionär vorteilhaft waren. Etwa das dringende Bedürfnis, als kleines Kind von seinen Eltern geliebt und versorgt zu werden. Oder die Angst, vom Vater bestraft zu werden. Diese Ängste und Sehnsüchte werden von der jeweiligen Priesterkaste nicht etwa besänftigt oder abgebaut, sondern kultiviert, oft ins Absurde übersteigert (grenzenlose Liebe, grenzenlose Strafe) und zum unverzichtbaren Zentrum erhoben. Weil es das Zentrum ist, kann es weder infrage gestellt noch abgeschüttelt werden.
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