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		 Was der Papst hier vermutlich meint, setzt noch vor der Tötung an. Er meint, dass wir zuvor ein Bild darüber entwerfen, was ein "wohlgeratener" und was ein "missratener" Mensch sei. Die Nazis entschieden ebenfalls darüber, welches Leben (welche Rasse) besser oder schlechter sei als das andere.  
 
Es geht ihm also (hier) nicht um die Frage, wann eine Tötung tatsächlich als Mord angesehen werden müsse; sondern um die grundsätzliche Frage, wie wir einen Menschen bewerten (und ob wir überhaupt etwas bewerten dürften).  
 
Er sagt, dass Gott alle Menschen schafft (und folglich auch liebt), also auch jene, die vielleicht nach medizinischen Maßstäben nicht ganz perfekt sind. Wir müssten das annehmen. 
 
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Ich finde, das ist ein nobler Standpunkt; dass er von Gott verordnet wäre, ist natürlich gelogen.  
 
Leider reicht es nicht, noble Absichten zu haben. Die Absichten müssen auch mit den Fakten übereinstimmen. Der Mensch entsteht gerade nicht unter der Aufsicht einer allmächtigen Gottheit, sondern als Ergebnis eines unbewussten und fehlerbehafteten biologischen Prozesses, bei dem laufend kleine und große Dinge fehlschlagen. Mal sind die Fehler so klein, dass wir sie nicht bemerken; mal sind sie so groß, dass die Schwangerschaft in der dritten Woche von selbst abbricht. 
 
Es ist nach meiner Meinung nicht ausreichend, diese Erkenntnis einfach zu ignorieren. Wenn wir beispielsweise einen kleinen Zellhaufen daraufhin untersuchen könnten, ob er sich zu einem völlig blinden Kind entwickelt, dann ist es keine Sache der Barmherzigkeit, einfach mit den Schultern zu zucken. Es ist auch nicht wahr, dass wir damit eine Bewertung über bereits geborene blinde Menschen abgeben. 
 
Ich weiß auch keine perfekte Lösung für diese Frage, vor allem, weil man sie leicht ins Absurde steigern kann. Etwa, wenn ein Szenario beschworen wird, in dem wir nur blonde, blauäugige Kinder akzeptieren. Das ist natürlich absurd. Aber Schulterzucken oder das Ignorieren von medizinischen Tatsachen sind ebenso keine Lösungen. Zudem ist es ein Unterschied, ob man blonde Kinder bevorzugt, oder ob man unstrittige medizinische Befunde berücksichtigt. 
 
Ich finde, hier stößt Religion an seine Grenzen. Eine gerechte Moral basiert auf Fakten, also dem zutreffenden Erkennen von prüfbaren Tatsachen. 
		
	
		
		
		
		
		
	
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