Ich hole dann auch etwas weiter aus. Als Vater eines geistig behinderten Sohnes (inzwischen 21) habe ich mich jahrelang mit dem Thema auseinandersetzen dürfen. Das Thema wäre mir ein zentrales für die Wahlen. Leider hat keine der Parteien zum Thema Inklusion oder Behinderte Nennenswertes im Wahlprogramm zu bieten (die Behindertenverbände haben extra nachgefragt) - vielleicht liegt es am Föderalismus - Schulen sind Ländersache, da kann der Bund leider kaum was ausrichten.
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Zitat von noam
Wir (also Deutschland) hat(te) vor der Modeerscheinung Inklusion sehr gut ausgerüstete Sonderschulen, wo auch Pädagogen tätig waren, die in diesem Aufgabenbereich sehr gut ausgebildet sind.
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Dem stimme ich bis auf das Wort Modeerscheinung zu. Was aber das alte System vollkommen unterbunden hat, ist die Teilhabe der Behinderten in die Gesellschaft: Die Kinder wurden morgens früh mit Bussen abgeholt, und spät nachmittags heimgebracht. Tagsüber waren sie z.T. Dutzende km weg von zu Hause. Kontakt mit der direkten Umwelt, Nachbarn, Leute im Ort - Fehlanzeige. Erleben normalen Alltags, unter Leuten in der Stadt - bis vor 20 Jahren praktisch nicht üblich. Das soll sich durch "Inklusion" ändern.
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Eine konsequente Umsetzung der Inklusion würde eine vollständige Umwälzung des derzeitigen Bildungssystems erfordern, da ja nicht nur Lehrer fehlen, sondern die Vorhandenen überhaupt nicht für das Unterrichten von Schülern mit Förderbedarf ausgebildet sind. Dazu kommt auch noch, dass die Lehrerausbildung immernoch auf das dreigliedrige Schulsystem ausgelegt ist. Natürlich kann man dies Umstellen, wenn man es in letzter Konsequenz möchte, doch erfordert dies weit mehr als einfach die Klassen neu zu mischen. Hier müssten von der Lehrerausbildung bis hin zu den Räumlichkeiten alles verändert werden.
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In weiten Teilen vollkommen richtig. Daß es aber auch ohne jahrzehntelange Vorbereitung geht, zeigten engagierte Lehrer in der 100 % integrierten Grundschulklasse meines Sohnes (15 + 7). Die Methoden für zieldifferenzierten Unterricht gibt es, und ein guter Lehrer kann sich diese "on-the-job" aneignen, auch ohne Studium - wenn er es denn will, und den Freiraum bzw. die Rahmenbedingungen bekommt. Und ja, das dreigliedrige Schulsystem ist eins der größten Hindernisse; wer nicht glaubt, daß Realschüler und Gymnasiasten der Klassen 5 - 8 in einer Klasse unterrichtet werden können, der kann sich natürlich auch die Inklusion von Behinderten nicht vorstellen. Anders herum: wer Inklusion von geistig Behinderten richtig macht, der braucht kein gegliedertes Schulsystem mehr. Daß übrigens Inklusion in Gymnasien besser funktioniert, als an Hauptschulen, ist auch bekannt, aber noch lange nicht akzeptiert.
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Zu dem ist es halt zumindest für mich fraglich, ob Inklusion tatsächlich so sinnvoll ist, um die Kinder auf die tatsächliche Lebensrealtität vorzubereiten. So traurig wie es ist, wir leben in einer Leistungsgesellschaft, wo Ellbogen mehr gefragt sind als soziale Kompetenz. Der globale Wettbewerb erfordert vor allem Wettbewerbsfähigkeit. Soziales kann man sich hier meist erst leisten, wenn man einen gewissen Stand erreicht hat und nicht, wenn man um die Existenz der Firma und damit der Arbeitsplätze kämpft.
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Ein Behinderter, der inklusiv beschult wurde, kommt später viel eher im Alltag zurecht: er kennt sein Ort/Gemeinde, kennt Leute und diese kennen ihn gut, mit allen Schwächen und Stärken. Er lernt viel mehr "lebenspraktisches", und kann vieles, auch angemessenes Verhalten in der Öffentlichkeit von vielen "gesunden" Gleichaltrigen abschauen, statt ein einer Einrichtung mit vielen devianten Persönlichkeiten isoliert zu sein. Diese Erfahrungen bringen auch selbständigkeit, was wiederum den Betreuungsaufwand und Kosten senkt. Unser Sohn wäre viel unselbständiger, hätten wir in nicht immer so weit wie für ihn möglich integriert (Schule, Freizeiten mit der lokalen evangelischen Jugend, Skikurse mit "normalen", ...).
Andererseits werden viele normale Kinder, die von klein auf Behinderte als normalen Teil der Umgebung erleben, auch als Erwachsene verständnisvoller, offener für Andersartige, Schwächere, was sich auch aufs Sozialverhalten später auswirken kann. Wir würden damit unsere Gesellschaft nicht zum schechteren Verändern, und auch im "globalen Wettbewerb" stürzt deshalb keiner ab, glaube ich.
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Auch in den Ländern in denen Inklusion ja so toll funktioniert, schicken die Mitglieder der Eliten ihre Kinder mit Nichten auf eben diese Schulen sondern eben zu elitären Privatschulen, wie zB auch die deutsche Bundesfamilienministerin.
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Es wird immer Leute geben, die glauben, sich vom Rest der Menschheit absondern zu müssen, ob als Elite oder als Glaubensgemeinschaft - das ändert nichts am Wert der Inklusion für die Beteiligten.
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Ich halte nichts von dieser elenden Gleichmacherei in allen möglichen Dingen. Sei es Rumgenderei, Inklusion oder sonst irgendwas. Wichtig ist, dass alle die gleichen Chancen haben, aber das Unterschiede zwischen Menschen bestehen ist unbestritten und diese sollten auch gewahrt werden, aber im positiven Sinne als Alleinstellungsmerkmal.
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Es geht bei Inklusion nicht um Gleichheit; auch bei gemeinsamen Unterricht sind die Lernziele nie die gleichen - das wird oft falsch verstanden, besonders wenn es um Inklusion in Gymnasien geht. Es geht um Gemeinsamkeit, Teilhabe an der Gesellschaft, Stärkung der Selbständigkeit. Die tollste Förderung ist nutzlos, wenn dabei gleichzeitig die Menschen aus der normalen Gemeinschaft ausgegrenzt werden.
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Im Zuge der Flüchtlingskrise und entspechender Zuwanderung kommt auf unser Bildungssystem eh eine ganz neue Belastung zu. Es kommen sehr viele Menschen in unser Bildungssystem, die nicht nur einem anderen Kulturkreis entkommen, sondern auch Schwierigkeiten mit der Sprache haben. Und dies alles sollen die Lehrer in Klassengrößen von >25 Kinder einfach so mit auffangen? Zu dem sollen sie sich um Kinder mit sozial/ emotionalen Störungen und Kinder mit Lernschwierigkeiten "kümmern" ohne die "normalen" Kinder zu vernachlässigen? Wie soll denn das bitte gehen? Man kann ja nun nicht schnipsen und man hat plötzlich mehr Räume, mehr Lehrer, anders ausgebildete Lehrer...
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Die Hauptsache wäre, genügend Personal aufzubieten, um flächendeckend differenzierten, "inklusiven" Unterricht zu ermöglichen. D.h. meistens mehrere Lehrer pro Klasse, kleine Klassen, dann läßt sich ein problematischer Zuwanderer auch nicht schwerer integrieren, als Behinderte. Wichtig ist, daß eben die problematischen Kinder welcher Art auch immer in Gemeinschaften mit möglichst vielen normalen zusammen unterrichtet werden - dann wirkt das soziale Vorbild erzieherisch mehr, als jede Sondereinrichtung.
Viele Eltern von Behinderten und auch viele Lehrer haben durch ihr Engagement gezeigt, wie es gehen kann. Wir müssen aber noch viel tun, um die Erkenntnisse zum akzeptierten Konsens werden zu lassen. Es dürfte noch 1 - 2 Generationen dauern...