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Esst mehr Gemüse
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Das „Gleichnis“ mit dem Apotheker ist ein recht bekanntes Argument und kann sehr leicht widerlegt werden.
Die Geschichte basiert darauf, dass jemand zwar die Gesetze bricht, jedoch moralisch richtig handelt.
Der erste Trick besteht darin, dass die Untersuchung, ob es wirklich moralisch richtig ist, unterbleibt. Es wird behauptet, die Wissenschaft könne keine Bewertung geben, jedoch wird vermieden, auch die Religion daraufhin zu untersuchen.
Der Trick macht sich die Erzählweise zunutze, die aus Sicht eines leidenden Ehepaares erzählt wird. Würde die Geschichte aus Sicht des Apothekers erzählt, der weinend davon berichtet, dass er von jedem beklaut wird, der darin für sich selbst einen Nutzen sieht, dann würden wir anders urteilen. Dann würden wir sagen: „So geht‘s aber auch nicht!“
Der zweite Trick besteht darin, einen (auf den ersten Blick) unlösbaren Konflikt zu präsentieren, um die Position der Wissenschaft an dieser Unlösbarkeit scheitern zu lassen. Die Religion bleibt als einzige Alternative übrig. Dadurch wird verschleiert, dass der Konflikt immer noch ungelöst ist, auch für die Religion.
In der Bibel steht: „Du sollst nicht stehlen“. Dadurch entsteht der Konflikt überhaupt erst, bzw. macht ihn für Christen unlösbar. Das Gebot entscheidet die Frage, ob der Apotheker beklaut werden darf, eindeutig und endgültig. Man möge beachten, dass dieses Gebot den Zehn Geboten entstammt — dem einzigen Text der Bibel, der direkt von Gott und mit seinen eigenen Händen geschrieben wurde. Es gibt also unter Christen keinen Zweifel, ob dieses Gebot etwa durch andere Verse aufgehoben werden kann.
Dadurch wird klar, dass die Unlösbarkeit des Konflikts für die Christen noch größer ist als für die Wissenschaft. Der Wissenschaft steht es frei, allerlei Kriterien anzubringen, mit denen Vor- und Nachteile einer Handlung abgewogen werden können. Diese Option gibt es für Christen nicht. Für Christen wird es durch die Zehn Gebote entschieden, und das ist das Ende der Möglichkeiten. Eine Abwägung findet für Christen überhaupt nicht statt.
Die Geschichte stellt sich also genau andersherum dar, als sie von Trimichi verkauft wurde: Die Wissenschaft bietet wenigstens prinzipiell die Möglichkeit einer Abwägung. Die Religion bietet hingegen nur eine starre Regel, die in diesem Fall den Tod der Ehefrau endgültig besiegelt, denn das Medikament darf nicht gestohlen werden, unter keinen Umständen. In Trimichis Version wurde das genau gegenteilig dargestellt.
Es gibt in der Bibel nicht einen einzigen Vers, der die Abwägung eines solchen Konflikts erläutern und begründen würde; der also die Frage klärt, wann und vor allem warum man sich auf eine bestimmte Weise verhalten solle. Moral ist ein Konstrukt; aber genau dieses Konstrukt wird in der Bibel nicht erläutert. Stattdessen gibt es einzelne zusammenhanglose Gebote ohne Begründung. Das ist auch logisch, denn die Befolgung dieser Gebote kann nicht davon abhängen, ob sie von jemanden als sinnvoll erachtet werden; diese Bewertung kommt dem kleinen Sünder überhaupt nicht zu.
Das erklärt, warum religiöse Gesellschaften in besonderer Weise nicht in der Lage sind, solche Konflikte zu lösen. Es ist deswegen die säkulare, vernuftbasierte Gesellschaft, die diesen Konflikt gelöst hat.
Ja, der Konflikt ist gelöst. Der arme Ehemann ist entweder krankenversichert oder geht aufs Sozialamt. Dort erhält er das Geld, welches die restliche Gesellschaft für ihn aufbringt. Mit diesem Geld geht er in die Apotheke und kauft das Medikament, oder er bekommt es gratis auf Rezept. Dadurch verdient der Apotheker Geld, was sicherstellt, dass die Apotheke auch morgen noch existiert und anderen Menschen ebenso helfen kann. Die Frau wird gesund, kann wieder arbeiten und zahlt Steuern, wodurch andere Kranke finanziert werden können.
Fall erledigt! Alle sind zufrieden! Niemand ist gestorben, niemand wurde beklaut. Und zwar ohne Hokuspokus.
Übrigens gäbe es ohne die Wissenschaft überhaupt kein Medikament.
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