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Zitat von aequitas
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ich las das Interview der Politologie-Professorin. Es hinterliess bei mir einen eher zwiespältigen Eindruck.
Sie beschreibt die Phänomene wie das Schrumpfen der Arbeiterschicht, ihr Wahlverhalten und das Zuwachsen anderer, neuer Wählergruppen der SPD, Linken und ihre Ursachen (wie Automatisierung, Globalisierung etc.) professoral korrekt. Sie bietet dann als wichtigste Erklärung für die Wählerwanderung der Arbeiter zur SVP, FPÖ, AFD usf. hauptsächlich das Angebot einer nationalistischen Identität durch die Rechtsnationalen an und der vorgebliche Mangel an identitätstiftenden Angeboten auf der linken Seite. Als Beispiel für identitätstiftende nationale kulturelle Angebote nennt sie den "Buurezmorge" (Bauernfrühstück) der SVP in der Schweiz.

Ich finde die Erklärung viel zu oberflächlich und kurz gegriffen.
In DE liessen die SPD und die SPD-bestimmte Gewerkschaftsführung die Arbeiter im Stich, als sie sich für den Neoliberalismus entschieden.
Dazu gehörte u.a.
* die Privatisierungswelle von öffentlichem Eigentum, insbesondere der Versorger, also der Unternehmen, die Gewinne in die Kasse der Länder und Gemeinden brachten. Auf der anderen Seite kaufte der Staat Pleitebanken auf oder gab riesige Kredite und kürzte in Berlin deswegen sogar die Gehälter im öffentlichen Dienst und trat aus der Tarifgemeinschaft der Länder aus.
* der Verkauf von öffentlichem Wohneigentum, die Deregulierung des Wohnungsmarktes, fehlender sozialer Wohnungsbau.
* Verschlechterung / Streichung sehr vieler staatlicher Dienstleistungen für die Jugend, den Sport, Familien (z.B. in Berlin Einführung von Schulgeld für Bücher in der Volksschule!, Schwimmbadpreise, Wegfall von Jugendfreizeiteinrichtungen etc.), die vor allem Ärmere treffen und die Kinderarmut vergrössern.
* Steuerleichterungen für Unternehmen.
* Schwächen der Rentenversicherungen durch Riester, Abbau der Arbeitgeber Pflichtbeiträge, Erhöhung des Rentenalters.
* Unterlassen jeglicher Regulierung, Kontrolle der Finanzmärkte
* Deregulierungsdruck auf andere europäische Länder
Ich diskutierte desöfteren mit SPD-Mitgliedern an Ständen bei Wahlkämpfen. Sie zeigten meist "Bauchschmerzen" wegen des Neoliberalismus ihrer Führung, ändern konnten sie es nicht. Bis heute ist keine Abkehr der SPD vom Neoliberalismus zu erkennen, weswegen sich die Arbeiter mehrheitlich nicht mehr von dieser Partei vertreten fühlen und die traditionelle Bindung an die SPD verloren.
Satirisch behandelte das gestern
die Anstalt im ZDF.
Ps:
Weshalb sich die Arbeitergruppe nun nicht mehrheitlich der Linke (statt SPD) zuwendet, sondern den Rechtsnationalen, wäre ein nächstes Diskussionsthema.