Wann habe ich wieder mit dem Laufen begonnen? Vor drei Wochen?
Heute endlich war ich bei meinem Orthopäden, weil ich mir ja vorgenommen hatte, es nur in Absprache mit ihm zu machen und unbedingt vermeiden wollte, womöglich in einem halben Jahr wieder völlig im Arsch bei ihm aufzulaufen und dann beichten zu müssen, dass ich, ohne es mit ihm abzusprechen, wieder gelaufen bin.
Tja, wie war es heute? Ich würde mal sagen, dass "ernüchternd" es am besten trifft.
Es würde zu weit führen, hier unser ganzes, langes Gespräch wiederzugeben.
Erst mal das Ergebnis:
Er sagt ich soll in den nächsten sechs Wochen nicht mehr als zweimal in der Woche maximal eine halbe Stunde laufen.
Ich könne zusätzlich zweimal in der Woche 1-1,5 Stunden Rad fahren, am besten Rennrad. Interessant, weil es ja genau meine Erfahrung ist, dass ich auf dem Rennrad deutlich weniger Probleme habe als auf dem MTB oder einem Alltagsrad. Er sagt, dass die gebeugte Haltung für mich besser ist und das glaube ich auch.
Ich soll zweimal in der Woche den Rücken kräftigen. Am liebsten hätte er, dass ich bei so einem Physiotherapieanbieter hier in Essen an Geräten trainiere. Das sind ganz spezielle Geräte, in die man regelrecht "eingespannt" wird, so dass falsche Bewegungsausführungen durch Ermüdung oder mangelnde Konzentration nicht möglich sind. Das kann man auch gar nicht alleine machen, weil man Hilfe braucht, um in die Geräte hinein und wieder hinaus zu kommen, so dass immer ein Trainer für drei Patienten da ist. Das macht die Sache natürlich unfassbar teuer. Wenn man ein Rezept vom Arzt für Krankengymnastik am Gerät bekommt, muss man nur Zuzahlungen leisten wie für normale Krankengymnastik auch.
Ich habe vorhin mit denen telefoniert. Die sagten mir, dass natürlich viele Ärzte sich mit den Rezepten wegen ihres begrenzten Budgets schwer tun, dass aber bis zu zwei Folgerezepte möglich seien.
Dann käme man auf die 18 Einheiten, die man auch in einem Einsteigerpaket privat zahlen kann, was aber stolze 740 Euro kostet. Wahnsinn! Andererseits sind es gerade mal ca. 40 Euro pro Stunde, wobei die Eingangsuntersuchung und die Abschlussanalyse 1:1 ist und die anderen Stunden eben 1:3. Wenn ich überlege, was Reitunterricht, Musikunterricht, Gesangsstunden, Psychotherapie oder Coaching kosten, relativiert sich das. Viel Geld ist es für mich trotzdem und ich will mal versuchen, ob ich ein Rezept bekomme, mache mir aber nicht so große Hoffnungen.
Sonst muss ich mich halt mit meinem eigenen Übungen begnügen, wobei ich gerne mal testen würde, ob das mit den Geräten so gut ist wie mein Orthopäde meint.
Kalle (so heißt mein Orthopäde) hat mir noch mal eindringlich gesagt, dass er mir als Arzt mit seinen mehr als 40 Jahren Erfahrungen als Sportmediziner und als Freund dringend davon abrät, den Sport so wieder aufzunehmen, wie ich ihn in der Vergangenheit machte.
Er sehe mich, auch wenn ich ihm da immer widerspreche, als einen Mensch, der den Sport als eine Sucht betrieben hatte und bei dem die Sucht noch immer da ist. Ich konnte es nicht ganz abstreiten, auch wenn ich mich nicht als typisch sportsüchtig sehe. Es stimmt aber, dass es mir nicht gelingt, das Laufen ohne Leistungsgedanken zu denken. Schon bei meinem allerersten Lauf vor wenigen Wochen, dachte ich während der 50 Minuten an Wettkämpfe: Ich fragte mich, ob ich wieder Marathon laufen kann oder wenigstens Halbmarathon. Oder ob 10 km trotz der höheren Intensität vielleicht weniger problematisch als die langen Strecken wären. Oder ob ich wenigstens Sprinttriathlons machen könnte. Seit ich wieder angefangen habe, dreht sich mein Denken ums Laufen und auch um Leistung. Ich laufe mit Uhr und freue mich über jede 30 Sekunden, die ich mich schneller über die Strecke schleppe. Im Wartezimmer bei Kalle las ich in einem Artikel der "Fachzeitschrift" Fit for Fun oder so was Tipps für Laufanfänger. Einer war: Laufen Sie ohne Uhr!
Kalle sagt: "Du musst den Gedanken an Wettkampf erst mal völlig aus dem Kopf kriegen. Es tut mir so leid, weil ich weiß, wie wichtig der Sport für dich ist und wie wichtig Leistung für dich ist, aber es gibt Spaß am Laufen ohne Leistung. Du bist meilenweit davon entfernt."
Er sagt auch: "Ich würde es dir nicht sagen, wenn ich nicht ganz sicher wäre: Wenn du wieder Sport machst wie früher, wirst du deine Gesundheit stark schädigen. Aufbau von Muskeln, Stabiltätstraining können dich nur dahin bringen, dass du überhaupt wieder ein wenig Sport machen kannst. Deine Situation im Bereich der LWS ist so, dass kein intensiver Sport mehr möglich sein wird."
Ich weiß, dass jetzt wieder viele denken, dass der Typ doch spinnt, dass eh alle Orthopäden nichts drauf haben und dass es so viele Leute gibt, die mit ähnlichen Diagnosen wieder Leistungssport treiben. Bitte sagt es nicht! Denn es würde mich nur verunsichern. Ich vertraue Kalle sehr. Er kennt mich mein ganzes Leben lang. Ich liege ihm am Herzen, was ich auch gewusst hätte, wenn er es mir nicht heute noch mal versichert hätte. Er ist seit über 40 Jahren Sportmediziner, hat viele, viele Leistungssportler bis hin zur deutschen Elite vor allem in der Leichtathletik betreut. Er war selbst mit einer Leistungssportlerin verheiratet und ist selbst bis heute aktiv. Wenn einer Verständnis für den Wunsch hat, Sport zu machen, dann er. Außerdem ist er ein Arzt, der schon seit vielen, vielen Jahren über den Tellerrand guckt und sich mit Chiropraktik, Ostheopathie und Traditioneller chinesicher Medizin befasst hat, als er dafür noch ausgelacht wurde.
Ich glaube ich ihm, auch weil er bisher immer Recht hatte. Jedesmal, wirklich immer, wenn ich mich nicht an seine Empfehlungen gehalten habe, ging das richtig in die Hose.
Ich war fix und fertig bei ihm und habe Rotz und Wasser geheult, weil ich so sehr gehofft hatte (obwohl ich tief im Innern wusste, dass es so nicht sein wird), dass ich seinen Segen fürs Laufen bekomme.
Ich muss jetzt mal gucken, von welchem Arzt ich eine Verordnung für ein neues LWS MRT bekomme (er kann mir ja nichts verordnen, weil er eine reine Privatpraxis hat und keine Kassenverordnungen machen kann). Kalle würde gerne noch mal aktuelle Bilder sehen.
In 6 Wochen ist mein nächster Termin bei ihm, dann wollen wir besprechen, wie ich mit dem Sport bis dahin zurecht gekommen bin und ob es mir gelungen ist, abzunehmen. Auch darüber haben wir gesprochen, dass ich so unglücklich darüber bin, dass ich so dick geworden bin.
Ich sagte, dass ich auch deshalb laufen möchte. Er sagte, dass ich nicht vom Laufen abnehme, sondern indem ich diszipliniert beim Essen bin und aufhöre, den ganzen Müll und die großen Mengen in mich hinein zu stopfen. Auch damit hat er Recht, denn auf solche Umfänge und Intensitäten, die einen nennenswerten Einfluss auf mein Gewicht hätten, komme ich ja wegen des Rückens eben nicht mehr.
Ach Leute, wie soll ich das nur alles schaffen? Abnehmen, den Leistungsgedanken aus dem Kopf kriegen...
Ratschläge sind herzlich willkommen. Trost und Zuspruch sowieso.