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Szenekenner
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Von Fremden und Freunden
Auf das heutige Leichtathletiktraining freut sich das Kind aus zwei Gründen besonders. Erstens, weil es heute ein Geschenk gibt. Beim letzten Training haben die Kinder irgendwelche Übungen gemacht und den letzten beiden Mohikanern wurde für den kleinen gelungenen Wettkampf eine Überraschung versprochen. Dabei hatte sich das Kind schon so gefreut, dass es zusammen mit einem 13-Jährigen übriggeblieben war ("Mama, der ist schon 13!").
Zweitens, weil wir uns danach ein Hot Dog im schwedischen Möbelhaus ganz in der Nähe gönnen werden. Essentechnisch sind wir undogmatisch. Pommes, Hot Dogs etc. werden von Elternseite nicht aktiv angeboten, aber durchaus mal erlaubt, wenn danach gefragt wird. So lange das Kind genau so gern andere Sachen isst, geht das klar. Umgekehrt ist es mir eher unangenehm, wenn sich der kleine Dicke in der Öffentlichkeit als Musterknabe präsentiert. Neulich zum Beispiel waren wir zu einer Party eingeladen und standen gemeinsam am Buffet an. Ruft das Kind begeistert: "Oh, lecker, Mama, es gibt Salat!" "Ohja", antworte ich, "lecker, nehm ich auch!" Der Herr hinter uns hatte sich dann interessiert in unser Gespräch eingeschaltet und wir hatten angenehm geplaudert. Als Nächstes ruft das Kind vom linken Büffetrand: "Mama, ich geh schon mal an unseren Tisch. Du musst nur noch eine Serviette mitbringen, Besteck für dich hab´ ich schon." Sag ich nur seufzend zu dem mir Unbekannten: "Sie bekommen einen völlig falschen Eindruck!" Der Mann lacht kopfschüttelnd.
Die Veranstaltung war im Rahmen einer Autorenparty gewesen. Der kulturelle Teil hatte sich für uns darin erschöpft, Bücher signieren zu lassen und ansonsten die Party zu genießen. Gestern hatten wir es dann auch mal wieder mit Kultur versucht. Eine Familienführung zu Werken des Hühnermalers Peter Gayman mit anschließendem Workshop. Beim kreativen Teil hatte das Kind erst eine Art Irrgarten und dann ein Fußballfeld gemalt. Pantone, denke ich mir, du wirst es nicht aufhalten können. Ein anderer Teil in mir denkt, dass das alles viel zu früh ist und dass es doch noch was anderes als Sport geben muss.
Zumindest den ersten Teil denkt auch der heimische Fußballtrainer. Warum wir denn das Kind woanders vorspielen lassen, will er wissen. Weil der Dicke sich das gern angucken möchte, sagen wir Eltern. Selbstverständlich will uns das niemand ausreden, aber die nächsten Minuten hören wir nur, was an einem und diesem Nachwuchsleistungszentrum im Besonderen alles schlecht ist. Erst nachdem ich das Gespräch habe sacken lassen, ist mir klar, was mich daran so stört. Es ist kein Satz darüber gefallen, warum man das Kind denn gern behalten wolle. Ein einfaches: "Er ist ein netter Kerl, wir mögen ihn und wir würden ihn einfach gern weiter dabeibehalten" hätte uns schon gefreut, statt uns einfach nur zu erzählen, wie schlecht es in der Fremde ist.
Der Dicke hingegen hat in der Fremde richtig viel Spaß gehabt. Vor dem Probetraining war er mächtig aufgeregt. Außer ihm hatten noch zwei andere Jungs vorgespielt. Die Väter machten einen netten Eindruck. Der eine hat ebenfalls keine Ahnung von Fußball und meinte trocken: "Was die da machen, kann ich ALLES nicht!" "Oh," hatte ich geantwortet, "da würden Sie sich aber gut mit meinem Mann verstehen, der hat mit Fußball auch nichts am Hut!" Der andere Vater hat selbst mal gespielt und trainiert seinen Sohn. Während des Abschlussspiels fragt er, wer denn der Spieler in der gelben Jacke sei. "Das ist meiner", antworte ich. "Der ist gut", meint er. "Danke," freue ich mich und füge hinzu: "Normalerweise macht er aber keine Tore." "Wer die Tore macht, ist nicht wichtig", erklärt mir der Mann, "aber der Junge läuft sich gut frei und sieht die leeren Räume." "Ah," antworte ich und dann lieber nichts mehr. Der Scout sagt später, der Dicke sei sehr gut gewesen und möge bitte noch mal wiederkommen. Auffällig sei seine Spielintelligenz. "Ah," sage ich und denke, dass ich das schon manchmal gehört habe und immer noch nichts damit anfangen kann.
Immerhin kann ich noch beim Schuhkauf behilflich sein. Neue Fußballschuhe mussten mal wieder her. Eigentlich hatte das Kind sämtliche alte Fußballschuhe aufbewahren wollen, aber ich hatte mich durchgesetzt und wir hatten die alten Schuhe immer verschenkt, weil ich einfach nicht mehr wusste, wohin mit dem Zeug. Aber ab jetzt, meint der Dicke, wolle er wirklich ALLE Schuhe immer aufbewahren. "Was willst du denn damit?", frage ich ihn. "Wenn ich mal groß bin, habe ich dann ab jetzt alle Schuhe", beharrt er. "Habe ich verstanden, " gebe ich zurück, "aber du kannst doch dann gar nichts damit anfangen." "Mama," meint er und guckt mich eindringlich an, "das sind meine FREUNDE!" "Wenn das so ist, ok", gebe ich mich geschlagen, "dann machen wir das so."
PS: Gestern Abend hat die Kleinfamilie das Handball-EM-Spiel Deutschland gegen Russland im Fernsehen geguckt. Rune Dahmke vom THW Kiel spielt. Meint das Kind verträumt: "Wenn mein Opa gegen seinen Opa gespielt hat, müsste ich jetzt ja eigentlich gegen ihn spielen." "Stimmt," sage ich, "aber da wir dich erst so spät bekommen haben, wäre das jetzt schwierig bei dem Altersunterschied und außerdem müsstest du dann überhaupt erstmal mit dem Handballspielen beginnen. "Och", sagt er lapidar, " interessieren würde mich das schon." Lachend drücke ich ihm einen Kuss auf das Haar und meine nur: "Na, mal sehen, wo du ihm Sport noch landest. Ich bin gespannt."
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