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Alt 28.11.2015, 17:10   #832
Pantone
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Sichtung die zweite

Wer sein Kind zur einer Leichathletiksichtung schickt und keinen Erfolg hat, kann es natürlich auch woanders sichten lassen. Beim Fußball beim Beispiel. Und so falle ich fast hinten rüber als mein Sohn meint: "Guck mal, Mama, da ist der Junge von Leichtathletik wieder."

Der Steppke, der neulich vor meinen Füßen beim abschließenden 7-Minuten-Lauf weinend zusammengesunken war, betritt mit einem erwachsenen Mann die Sporthalle und kommt in Richtung Tribüne, auf der wir uns gerade häuslich einrichten. Ich vermute, es ist dieses Mal der Vater, der das Kind begleitet. Zwei Stufen unter uns lassen die beiden sich nieder. Der Junge, nennen wir ihn Max, guckt uns direkt an. "Hallo", sage ich lächelnd, "dich kenne ich doch." "Hallo," meint Max und stutzt. Dann deutet er mit dem Kopf in Richtung des Dicken und sagt: "Er ist doch schon bei Leichtathletik genommen. " "Nee," antworte ich, "der ist jetzt erstmal zu ein paar Trainings eingeladen und dann sehen wir weiter." Max strahlt: "Ach so, na in Fußball bin ich viel besser als in Leichtathletik!" "Das ist ja gut," ermuntere ich ihn, "dann wünsche ich dir viel Spaß!" Inständig hoffe ich, dass der Kleine nicht schon wieder so fürchterlich vorgeführt wird.

Ich beruhige mich mit der Vorstellung, dass es vielleicht so ist wie bei uns zu Hause: Noch mittags hatte ich zu Hause gesagt, dass 80 Jungs in vier Trainings vorspielen werden und dass da zahlreiche aus den Nachwuchsleistungszentren des FSV Frankfurt und der Frankfurter Eintracht dabei sind. Bei maximal acht zu vergebenden Plätzen ist die Chance nahezu Null, dass das Kind genommen würde. Ich betone auch noch mal, dass die Schule ja nicht unsere Erstwahl ist und wir das ohnehin nur als Notlösung ins Auge fassen würden. Nix zu machen, der Dicke will hin. Also gut, machen wir uns auf den Weg.

Die Jungs werden in zwei Gruppen aufgeteilt und dürfen mit ihrer Gruppe in einem abgesteckten Viereck ihre Balltricks zeigen. Aha, zwei Kandidaten macht sogar das Hausfrauenauge direkt als Vertreter der Proficlubs aus. Der Dicke bewegt sich leichtfüßig, wenn auch ohnehin besonderen Einsatz. Die Ellenbogen hat er - wie so oft - angewinkelt, die Hände auf Brusthöhe. Ich überlege, warum das so drollig aussieht und woran mich das erinnert. Ich komme nicht drauf.

Bei der zweiten und dritten Übung geht´s um Dribbeln und Sprint und die drei Verantwortlichen stoppen per Hand und schreiben auf. Ich sitze die ganze Zeit neben Bernd, dessen Sohn mit unserem Nachwuchs in einer Mannschaft spielt und der sich das Spektakel auch nicht entgehen lassen will. "Mensch," sagt Bernd, "jetzt hab ich nicht verstanden, wie schnell dein Sohn war. Ich glaub, der war der Schnellste beim Dribbeln." "Das wird ihn hier auch nicht retten," gebe ich zurück, und Bernd schüttelt lachend den Kopf. Später erfahre ich, dass es Eltern gibt, die auf der Tribüne die Zeit mitstoppen. Auf die Idee muss man auch erst mal kommen, geht es mir durch den Kopf.

Von rechts dringen Gesprächsfetzen an mein Ohr. "Was ist mit der Nummer "28" und "Friedrich"?", frage ich neugierig den Jungen, der zwei Meter mit seinem Vater neben mir sitzt. "Der ist gut," meint das Kind nüchtern. "Oh, danke," sage ich, "das freut mich, das ist nämlich meiner. Du bist ja gleich in der zweiten Gruppe dran, oder? Ich wünsch´ dir viel Erfolg!" "Danke," antwortet der Junge, während ich meine, eine leichte Irritation im Gesicht des Vaters zu erkennen.

Im Anschluss wird ein kleines Turnier mit vier Mannschaften gespielt. Der Dicke lässt seine Torwarthandschue mal lieber im Rucksack. Während es ja normalerweise noch keine festen Positionen in dieser Altersklasse gibt, hat der Fußballlehrer hier vorab erklärt, dass zu dieser Sichtung auch zwei ausgesprochene Torhüter gekommen seien. Jeder möge nach Möglichkeit auf seiner Stammposition spielen und zeigen, was er kann. Heute ginge es nicht um Mannschaftsergebnisse, sondern um die Sichtung einzelner Spieler.

Unter so einer Ansage versteht jeder offenbar was anderes. In seiner Gruppe erbarmt sich der Blonde und geht erstmal ins Tor, damit es losgehen kann. Er spielt ruhig und sicher, Gelegenheiten für spektakuläre Paraden ergeben sich nicht. Er verlässt seinen Torraum und spielt den Ball, wo er kann, mit dem Fuß. Gelernt hat er das nicht, aber wer aufmerksam jeden Samstag die Sportschau sieht, kann sich viel abgucken. Nach dem Spiel kommt er sofort auf die Tribüne und verstaut seine Handschuhe im Rucksack, bevor noch jemand auf dumme Ideen kommt. Oft genug hat er von Leuten mit Fußballahnung gehört, dass man erst ein guter Fußballer werden muss und dann immer noch Torwart werden kann. Hat er sich wohl gemerkt.

Alle nachfolgenden Spiele verlaufen ähnlich. Die Jungs aus den Proficlubs spielen wie aufgezogen: rasant, schonungslos und immer mit vollem Körpereinsatz. Beim Kind läuft´s ganz anders. Er spielt mal bessser, mal schlechter. Fast immer mit minimalem Körpereinsatz, dafür leichtfüßig und ohne übermäßigen Krafteinsatz. Manchmal sieht es so unangestrengt aus, als ob er sich keine Mühe gäbe. Immer wieder das gleiche Bild: gebeugte Ellenbogen, leicht geöffnete Hände auf Brusthöhe. Ganz plötzlich weiß ich, welches Bild ich gesucht habe: Es sieht aus, als würde das Kind tanzen. Am liebsten würde ich jetzt aufs Spielfeld laufen und meinen kleinen Tänzer küssen. Tu ich aber nicht.

Wo er kann, sucht der Blonde seine Mitspieler und spielt ab. Wenn sich keine Abspielmöglichkeit bietet, geht er selbst. Ecke für seine Mannschaft. Er legt sich den Ball hin und guckt. Zwei Schritte Anlauf. Einer seiner Mitspieler drei Meter vor dem hinteren Pfosten muss keinen Schritt machen, sondern nur noch den Kopf hinhalten. Der Ball geht vorbei. Später sagt das Kind: "Schade, dass der Kopfball nicht drin war, Mama." "Ja," pflichte ich ihm bei, "aber geile Flanke." Wir grinsen uns an.

Die Trainer sitzen während der ganzen Zeit an einem Tisch am Spielfeldrand, beobachten das Geschehen und machen sich Notizen. Sonst machen sie nichts. Mitten im letzten Spiel wechseln sie zwei Spieler aus. Der Dicke geht noch mal ins Tor. Ich schnappe mir die Torwarthandschuhe und frage am Trainertisch, ob ich wohl mal die Handschuhe anreichen solle. Das Spiel wäre eh gleich vorbei, meinen die Trainer. "Dann ist ja gut," meine ich und denke grimmig: "Freunde, wenn der Dicke sich hier einen Kapselriss holt und die nächsten Klassenarbeiten nicht mitschreiben kann, mache ich euch Feuer unterm A****." Gern würde ich berichten, dass meine Überlegungen freundlicher waren. Waren sie aber nicht. Am Ende geht alles gut.

Als wir gehen wollen, spricht ein Trainer das Kind an. Soso, man kennt sich. Der gut gelaunte Mann, der äußerlich stark an den brasilianischen Bundesligaprofi Dante erinnert, unterhält sich noch ein bisschen mit uns. Er arbeitet an einem DFB-Stützpunkt, und ich kann endlich mal jemanden fragen, was das eigentlich genau ist. Der andere Trainer sieht aus wie Joko Winterscheidt und ist Nachwuchstrainer bei einem Bundesligaverein. Er ist ein bisschen zugeknöpfter, taut aber sichtlich auf, als die Rede auf seinen weiteren Berufsweg kommt. Wie sich rausstellt, möchte Joko Realschullehrer werden. Er arbeite viel mit Ausländern und möchte ihnen helfen, ihren Weg zu machen, meint er mit Begeisterung in seiner Stimme. "Ich kann Ihnen eins versichern," meine ich zu ihm, "dafür werden Sie auf den Elternabenden von allen Eltern geliebt werden!" Er lacht und wir unterhalten uns noch ein bisschen.

Die Trainer erzählen, dass es erstmal einen großen Aufwand bedeuten würde, im Fußball weiterzukommen. Dann ist die Frage, wieviel Druck aus dem Elternhaus käme. "Merken Sie," hake ich nach,"ob ein Kind befreit aufspielt oder unter Druck von den Eltern steht?" "Ja, klar," antworten die beiden. "Ja, und woran?", frage ich verwirrt nach. "Na, zum Beispiel am Blick Richtung Tribüne nach einer misslungenen Aktion", erklärt Dante. Meine Güte, denk ich nur.

Auf dem Heimweg erzählt das Kind, was ihm so durch den Kopf geht. Den Dribbelkünstler fand er blöd. "Bringt doch nichts," meint er richtig sauer. "Naja, die Trainer haben gesagt, ihr sollt zeigen, was ihr könnt und das hat er gemacht." "Ja, und?", gibt das Kind sich bockig, "Einmal hat´s geklappt und wie oft nicht? Hast du mal gesehen, was der gemacht hat, wenn er in der Abwehr den Ball verloren hat? Der ist STEHENGEBLIEBEN, Mama, in der ABWEHR! Das ist doch kein Fußball!!" "Der wird schon weiterkommen," sage ich noch, und dann lassen wir das Ganze auf sich beruhen.

Dass Max nicht mal richtige Hallenschuhe gehabt habe, meint er dann noch. Der konnte in seinen Schuhen nicht einfach so abbremsen, sondern musste immer noch ein Stück auslaufen. "Ach," versuche ich ihn beruhigen, "vielleicht haben die die richtigen Schuhe einfach zu Hause vergessen." "Nein," erwidert er, "das waren so weiche Nike free oder so und die Sohle war ganz weiß und sauber." Gesehen hatte ich das auch, aber ich wollte mir keine Gedanken darüber machen, warum Leute ihr Kind schlecht vorbereitet in Situationen bringen, in denen sie wahrscheinlich nur verlieren werden.

Wer gewonnen und wer verloren hat, werden wir nach dem 4. Dezember erfahren, dem Tag des letzten Sichtungstermins. Dann gehen Zu- und Absagen per Post an die Eltern. Ich gehe davon aus, dass der Dicke eine Absage bekommt, aber ich bin sicher, dass er es locker nimmt.

Gelernt hat er, dass Fußball ganz anders sein kein, als er das sonst so gewohnt ist und dass es auch Irokesenhaarschnitte im Kindesalter geben kann. Abgeschreckt hat ihn das alles nicht, sondern es hat ihm trotzdem Spaß gemacht. Und erst am Abend wird mir klar, dass ihm der Termin viel wichtiger war, als ich vermutet hatte. "Endlich ist die ganze Aufregung weg, Mama", meint er und geht zufrieden ins Bett.

Geändert von Pantone (28.11.2015 um 18:04 Uhr).
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