Ist doch nur Sport
Das Kind ist sauer. Da reden immer alle von "Ihr seid ein Team" und dann werden die Kinder aus seiner Sicht doch ganz unterschiedlich behandelt. Der Dicke findet das ungerecht. Und auf Ungerechtigkeiten reagiert er extrem empfindlich. "Woanders ist es anders," sage ich, "aber nicht immer besser." Willkommen in der Welt des Fußballs.
Als der erste Fußballtrainer uns fragte, welche Pläne wir denn mit dem Kind hätten, haben wir gelacht. Naja, wurde uns gesagt, es gäbe schon immer wieder Eltern, die am sportlichen Horizont für ihre Kinder eine Fußballkarriere und für sich selbst große Häuser und teure Autos sähen. Als der zweite Trainer nach dem Plan fragte, reagierten wir ein wenig unwirsch und beim dritten haben wir es dann endlich, endlich verstanden: Ja, so viele da draußen haben Pläne mit ihren Kindern. Da dürfen 8-Jährige nur eine Sportart betreiben, weil die Väter der Meinung sind "Wenn, dann richtig". Was immer das heißen mag. Mancher Nachwuchskicker muss auch abends um 20 Uhr ins Bett, wenn er am nächsten Vormittag um 11 Uhr ein Spiel hat. Oder ein entnervter, rauchender 130-Kilo-Vater pfeift seine Frau am Spielfeldrand an, dass der Sohnemann jawohl grade Pommes gegessen haben müsse; würde man ja sehen, dass der beim Laufen überhaupt keine Luft mehr bekäme.
Überhaupt wird die Luft dünner. Der Dicke bleibt cool. In die Kreisauswahl will er und wird zum Sichtungstraining eingeladen. Er ist ein zurückhaltendes und rücksichtsvolles Kind, kein Angeber. Aber am Tag des Trainings sieht man, dass er will. Die Eltern sind weiterhin planlos. Dem Kind gelingen Dinge, die es sonst nicht kann. Wettkampftyp, sagt meine beste Freundin immer. Leistungsschwankungen wie die Mutter, denke ich. Am Ende ist er drin in der Auswahlmannschaft.
Der Anruf von einem Profiverein kommt dann doch sehr überraschend. Klar gibt es begabte Kinder, aber unserer? Der Dicker freut sich und will mal hin. Wir fahren dann mal hin. Planlos und haltungslos. Wir sehen das entspannt, weil wir nicht glauben, dass sie ihn haben wollen. Leute mit mehr Fußballahnung sehen das anders. Das Kind hat auch keinen Plan und so spielt es auch. Zaghaft und zurückhaltend. Macht nichts, denke ich. Manchmal ist es auch ganz gut, wenn einem Entscheidungen abgenommen werden. Und so ist es dann auch: Absage. Über die Begründung muss ich schmunzeln: Es gäbe andere Kinder, die körperlich deutlich robuster seien. Klar, denke ich, das nennt sich relativer Alterseffekt und zieht sich bis in die Nationalmannschaft. Unser Junior ist im Oktober geboren, da wird es immer Größere und Stärkere geben. Der Kicker nimmt´s locker, und ich bin erleichtert, dass keine Tränen fließen und ihm das wohl nicht so wichtig war.
In der Vereinsmannschaft sind jetzt viele neue Jungs. Fast alle akquiriert, fast alle Kreisauswahlspieler. Der Druck steigt Der Dicke gibt sich unbeeindruckt. Einige müssen gehen, andere dürfen bleiben. Er behauptet sich gut. Seine bisherige Rückennummer "7" wollen einige, weshalb sie ausgelost wird. Nur einer darf seine Trikotnummer behalten: Die "10" bleibt beim Trainerkind. Kann man so entscheiden, keine Frage. Ob man das dann mit "Er bringt immer seine Leistung und hat sie verdient" begründen sollte, weiß ich nicht. Oder wie der Dicke meint: "Die sagen immer "Ihr seid alle ein Team" und dann behandeln sie alle unterschiedlich." Ich sage, wie ich das sehe. Offen und schonungslos. Er fragt, ob er mit Fußball aufhören kann, wenn er einen anderen Sport gefunden hat. "Es ist deine Freizeit", antworte ich, "da kannst du machen was du willst. Du brauchst auch gar nicht zu machen. Das ist alles vollkommen in Ordnung!" Am Ende will er dann doch wieder zum Training. Immerhin macht´s schnell, denke ich. Über 5 Kilometer stehen wir hier kurz vor der Wachablösung. Neulich ist er 3 Plätze hinter seinem Vater ist Ziel gekommen. Freudestrahlend stand er vor mir und mir fiel nichts Besseres ein als "Wo kommst du denn her?" zu fragen.
Während ich das hier schreibe muss ich an die Mutter denken, die ihren Sohn im Profiverein neulich so mies behandelt hat. Ich habe am Spielfeldrand gestanden und dem Kind heimlich "Daumen hoch" gezeigt, um ihn aufzumuntern. Heimlich habe ich hinter meiner Sonnenbrille geweint.
Vor ein paar Minuten ist der Blonde eingeschlafen. Eine ganze Zeit hat er noch sein aktuelles Lieblingslied vor sich hingeträllert "Lass die andern sich verändern und bleib´ so wie du bist."
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