|
Johann Karl August Musäus:
Hör an, mein lieber kleiner Sohn,
Ich merke, Du verstehst mich schon
Und weißt wol, daß bei später Nacht
Dein Vater emsig Verse macht.
Nun, diese, wenn sie fertig sind,
Verwahre Du, mein liebes Kind,
Bis morgen früh der Himmel graut,
In Deinem Bettl; dann werde laut,
Und wenn Mama davon erwacht
Und freundlich Dir entgegenlacht,
So reich‘ dies Blatt, der Liebe Pfand,
Ihr hin mit Deiner kleinen Hand,
Und lächle ihr so himmlisch schön,
So sanft, – Du wirst mich wol verstehn, –
Daß sie beim ersten Morgengruß
Durch Dich Entzücken fühlen muß.
Auch darfst Du morgen ja nicht schrein,
Mußt frömmer als ein Lämmchen sein.
Warum das Alles? Fragest Du.
Du sollst’s erfahren, höre zu!
Die Mutter schlief, nach Deinem Brauch,
Vor Zeiten in der Wiege auch;
Und nun ist heut ihr Wiegenfest,
Das uns der Himmel feiern läßt;
Darüber hat wol Niemand sich
Zu freun mehr Recht als Du und ich;
Drum wollen wir zur Vorsicht flehn,
Daß wir es noch recht oft begehn.
Die reine Unschuld fleht aus Dir,
Die treuste Zärtlichkeit aus mir,
Die als das beste Opfer glüht
Zum Schöpfer, der uns beide sieht;
Und ihm ist die Erhörung leicht,
Die Beiden uns zum Glück gereicht.
Der lieben Mutter bestes Loos
Sei einst, mich grau zu sehen, Dich groß !
__________________
Das Leben ist ein Zeichnen ohne die Korrekturmöglichkeiten des Radiergummis.
|