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Gebt mir nur die Schuld, den Rest könnt ihr behalten
Neulich fragte mich eine Mutter, wann denn unser Sohn Fußball spielen würde. Ich hatte ordnungsgemäß wie folgt geantwortet: "Dienstags und freitags hat er Training hier im Ort, sonntags Torwarttraining in Wiesbaden und jeden zweiten Montag Torwarttraining hier im Verein." Ich gucke in Augen, die nicht verwundert, sondern irgendwie ein bisschen angeekelt wirken.
Irgendjemand wirft ein, dass die Kinder ja in der Regel noch am Wochenende ein Spiel oder Turnier haben. "Stimmt", sage ich und gucke schuldbewusst. Dann stellt sich raus, dass die Frau eigentich etwas ganz anderes wissen wollte. Nämlich, wann - wenn ihr Sohn denn mal zum Training kommen wolle - das Training wohl sei. Ich erkläre, dass ich das nicht genau sagen kann, weil ihr Sohn ja in einer anderen Altersklasse unterwegs wäre. Aber sie hört mir schon gar nicht mehr richtig zu und ich höre dann, dass so ein Programm auch nicht zu ihnen (gemeint ist die Familie) passen würde und dass ihr Sohn im Sport auch keine Leistung bringen müsse. Dann sage ich gar nichts mehr und denke nach.
Meine Gefühlswelt kann sich für keine Richtung entscheiden: In einem Strudel zwischen Belustigung, Verärgerung und Unverständnis treibe ich so hin und her. Belustigt, weil ich merke, dass jemand eigentlich schon eine Frage nicht so stellt wie er eigentlich will. Verärgert, weil ich mich fühle, als würde ich etwas falsch machen. Unverständig, weil ich mich frage, zu wem, bitte, die Hobbies von Kindern denn in erster Linie passen sollten.
Von Letzterem kann mein Mann ja ein Lied singen. Bis 30 hat er sich eher wenig bewegt, dann hat er Squash gespielt und Krafttraining gemacht. In seiner Jugend waren ihm Sportler suspekt. Fußball fand er ganz schlimm. Und dann wurde er mit 40 Vater und erhielt postwendend (ja, das Schicksal ist manchmal eine dumme S**) ein Energiebündel mit ausgeprägten Aversionen und Vorlieben. Bewegung (fast) von Anfang an. Es war manchmal zum Haareraufen.
Was wäre ich mit dem Kind gern mal ins Theater gegangen oder gar ins Weihnachtsmärchen. Fehlanzeige. Wir hatten es mit "Mama Muh" versucht als das Kind 3 Jahre alt war. Das Stück beginnt. Eine Kuh kommt auf einem Fahrrad angefahren. Das Kind meint: "Eine Kuh kann doch gar kein Fahrrad fahren." Als nächstes betritt ein großer schwarzer Rabe mit Riesenschwingen die Bühne. Der Blonde will nicht mehr. Wir verlassen das Sommertheater und setzen uns an die 100 Meter entfernte Skaterbahn. Der Junior sitzt dort eine gute Stunde wie festgewachsen bis die Theatervorstellung zu Ende ist. Dann fahren wir mit den anderen heim. Auch, wenn er gern noch etwas geblieben wäre.
Nein, Fußball hätten wir unserem Sohn sicherlich nicht ausgesucht, aber ich soll den ja auch nicht spielen und wegen so etwas werden wir uns bestimmt nicht streiten. Natürlich gibt es auch noch andere Dinge, die interessant sind, aber leider hat so eine Woche nur 7 Tage mit je 24 Stunden. Da passt gerade noch ein bisschen Tec-Rugby und Ballsport rein. Freibad muss im Sommer natürlich auch sein (unvergessen das freundliche Runterwinken und erste spontane Springen vom 5er, natürlich, OHNE seiner Mutter vorher was zu sagen, die einem nur ein paar hinderliche Vorsichtsmaßnahmen mit auf den Weg gegeben hätte). Und Minigolf und Slackline. Rad stände eigentlich auch mal wieder an.
Ja, manchmal würde ich gern etwas anderes unternehmen: Theater, Konzert, Museum, Kino. Geht alles nicht. Einen Museumsbesuch werde ich demnächst mal durchsetzen, aber alles andere ist mir den Stress nicht wert. Ferngesehen wird ja mittlerweile mal. Das hatte mich mit der Sportbesessenheit ein bisschen verwöhnt, denn - so hatte ich mir das Ganze versucht schön zu reden - wer sich als kleiner Knirps auf arte die Dokumention "Afghanistan - Mit Cricket aus der Krise" fasziniert reinpfeift, dürfte dann doch nicht an Hyperaktivität leiden und Sport vielleicht wirklich von ganzem kleinen Herzen lieben.
Vielleicht kommen wir als Eltern ja unserer Erziehungsaufgabe nicht nach, aber dann ist es so. Wie gesagt: Gebt mir nur die Schuld ...
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