Zitat:
Zitat von FlyLive
Ein allgemeines pauschales Leiden halte ich für erfunden - einen allgemeinen nachhaltigen Schaden halte ich auch für erfunden, da man sich nicht zwingend einer täglichen Auseinandersetzung zum Konfliktthema hingeben muss.
|
Ich habe solche Äußerungen schon lange nicht mehr gelesen. Ich bin verblüfft, dass es sowas überhaupt noch gibt. Ehrlich gesagt erinnert es mich an die Zitate, die in der heute-Show von "Bernd" Höcke zu sehen sind. So eine Art nassforsche Die-solln-sich-mal-nicht-so-anstellen-Rhetorik. Es wirkt in seiner Unbekümmertheit beinahe entwaffnend. Ungefähr wie das berühmte
"Dann soll'n sie halt Kuchen essen!".
Zitat:
Zitat von FlyLive
Verfolgungswahn
|
Ah ja. Na gut.
---------
Ich möchte noch zwei ernsthafte Gedanken beisteuern. Eigentlich sollte es ja um Religion und Religionskritik gehen, und eigentlich ist das Thema Sexualität nur in diesem Rahmen für mich ein Diskussionsthema. Aber ich möchte die Äußerungen von FlyLive nicht unkommentiert stehen lassen, auch um eventuellen Google-Zaungästen eine Argumentationshilfe zu bieten.
1. Das Schnitzel-Argument
Es wurde behauptet, man solle eben nicht bei jedem Schnitzel-Essen über Veganismus predigen -- selber schuld, wer es dennoch tut. Die Übersetzung lautet: Du musst den Leuten Deine Homosexualität nicht dauernd vor die Nase halten.
Zwar erkenne ich an, dass es viele Möglichkeiten gibt, eine Nervensäge zu sein. Das gilt definitiv auch für Homosexuelle. Aber wer mal in einem Fitness-Studio war, weiß, dass auch Heteros ein großes Talent haben, jeden Zweifel über ihre Sexualität auszuräumen. Diskussionsteilnehmer Flow hat neulich (keine Ahnung, warum ausgerechnet mir gegenüber) mehrfach betont, dass er für das Wochenende vor allem heterosexuelle Aktivität plant. Ich denke, dass wir uns alle darauf einigen können, dass wir solche hormonellen Ausbrüche mit einem Augenzwinkern auf sich beruhen lassen.
Jedoch! Die eigentliche Botschaft lautet:
"Homosexualität ist schlecht. Wenn Du es zu erkennen gibst, dann musst Du vorher sicherstellen, dass niemand was dagegen hat. Wenn Du das nicht tust, bist Du selber schuld!"
Aber es wird noch besser: Der Veganer kann jederzeit entscheiden, ob er die Diskussion führt oder nicht. Wer aber beim Betriebsfest mit seinem Freund auftaucht, stellt alle anderen Anwesenden unausweichlich vor die Frage, wie sie damit umgehen sollen. Selbst dann, wenn die beiden völlig stumm bleiben. Soll man die beiden darauf ansprechen? Soll man es konsequent ignorieren und so tun, als wären es zwei Berufskollegen? Soll man am besten gar nichts sagen, bevor man was Unpassendes sagt? -- Die schiere Anwesenheit löst etwas aus. Auch das homosexuelle Paar wird sich im Vorfeld sehr genau überlegen, mit welchem Kalauer man auf welche scherzhaft-tastende Bemerkung reagieren wird.
Der Veganer behält stets die Kontrolle. Er entschiedet, ob und wie er die Debatte führt. Er kann sogar entscheiden, wieder Fleisch zu essen. Homosexuelle sind jedoch nicht in der Lage, die Debatte zu kontrollieren. Wenn es raus ist, ist es raus. Was danach passiert, bestimmen andere. Und zwar nicht nur für die nächsten paar Tage, sondern für immer.
Natürlich kann man sagen:
Dann bleib' halt zu Hause! Darauf eine clevere Antwort zu geben, ist mir jedoch zu dumm.
2. Die anderen interessieren mich nicht
Das ist ein Zitat von FlyLive, der darauf besteht, dass meine Argumentation nur dann legitim wäre, wenn ich sie mit einer eigenen, möglichst ergreifenden Leidensgeschichte belege. Daraus folgt, dass nur Homosexuelle für sich selbst eintreten dürfen oder sollen. (Bevor man womöglich noch selbst für homosexuell gehalten wird.)
Nun gibt es aber gesellschaftliche Dinge, die gerade nicht von jenen gestaltet werden können, die sie eigentlich angehen. Ein einfaches Beispiel sind Kinder. Kinder sind darauf angewiesen, dass
andere eine kinderfreundliche Gesellschaft organisieren. Wohlgemerkt: Nicht nur die Eltern von Kindern. Sondern alle. Kurioserweise haben oft
kinderlose Bürger ein paar Groschen
mehr übrig, mit denen dann Kindergärten finanziert werden.
So funktioniert eine solidarische Gesellschaft. Wir haben uns für diese Form der Gesellschaft entschieden, weil sie für alle Vorteile hat -- sogar für die, die nur einzahlen und nichts rausbekommen. (Ich gehöre, wie viele kinderlose Freiberufler, zu dieser kläglichen Gruppe.) Ich bin damit einverstanden, denn: Kinderarmut ist scheiße für alle.
Tim Cook, der Apple-Chef, hat neulich ein gutes Zitat getwittert:
"Discrimination against anyone holds everyone back". Das Zitat spielt mit den Begriffen "anyone" und "everyone". "Anyone" bedeutet eine unbestimmte Person, den Einzelnen. "Everyone" bedeutet "wir alle". Diskriminierung gegen ein paar wenige ist scheiße für alle.
Er sagt das aus produktivem Interesse. Wenn Einzelne in der Firma sich nicht trauen, den Mund aufzumachen, dann verpasst die Firma ihr volles Potenzial. Deswegen sagt er, dass er die Unterschiedlichkeit seiner vielen Mitarbeiter nicht zähneknirschend zur Kenntnis nimmt und durch zahlreiche Regeln zu neutralisieren versucht -- sondern er feiert es. Denn es macht die Gemeinschaft am Ende stärker, kreativer und ideenreicher.
Die Homosexuellen in Deutschland können sich zwar beschweren und für ihre Rechte streiten. Aber eine friedliche und offene Gesellschaft werden am Ende nur die Heteros schaffen können, weil sie die Mehrheit sind. Die größte Mehrheit sind "wir alle". Und "wir alle" werden am Ende davon profitieren.
Deswegen sind Sprüche wie
"Mir egal, die anderen interessieren mich nicht" nicht hilfreich. Wer nur auf sich selber schaut, macht die Welt nicht besser.
Wenn kinderlose Bürger (und eben auch Homosexuelle) aus Solidarität die Kindergärten mitbezahlen sollen, dann können diese kinderlosen Bürger (und eben auch Homosexuelle) mit gleichen Recht verlangen, dass die Gesellschaft ihnen gegenüber in gleicher Weise solidarisch ist. Wer sagt:
"Ich interessiere mich nur für mich selbst" verstößt gegen einen Grundkonsens unserer Gesellschaft.