Draußen ist es kalt, nass, dunkel und dreckig. Bestes Wetter um die Decke über dem Kopf wegzuziehen und zu laufen.
Kein Schwein unterwegs trifft es ganz gut. Selbst die Wildschweine trauen sich nicht aus ihrer Behausung. Einsam trabe ich im Odenwald, immer an einem Bach entlang.
Es ist so einfach . Ich habe keinen Druck, niemand will etwas von mir, muss einfach nur einen Schritt nach dem anderen setzen.
Nach 2 Stunden dämmert es sogar mir, dass es vielleicht doch keine so glorreiche Idee war, nach einer auch trainingstechnisch muskulär anstrengenden Woche, eine Wendepunktodysee in einsame Wälder zu wagen.
Egal, bei einer Mühle drehe ich geplant um, Beine platt, es regnet wieder mehr, verzichte auf Essen, gewässert werde ich eh von außen .
Mindestens 2 Stunden vom Kuchen entfernt, allein mit der MS. Was ist wenn ich schlappmache?
Längst vergessene Erinnerungen flackern auf. Da war doch mal was. Gerade auf dieser Strecke. Noch vor meiner Läuferzeit. Fast ganz verdrängt. Eine Herzensangelegenheit, war es die lebensrettende OP meiner Mutter oder anderes? Ein Versprechen. Eine Kerze gezündet, zu Fuß heim, an die 40 km, ohne Ahnung getrabt, wie weit komme ich? Laufen damals ungewohnt, Knie blockiert nach 3 Stunden, schleiche weiter, Sommer, heiß, kein Trinken, Bach ist verführerisch, Qualität aber auch bedenklich, Handys noch nicht erfunden, bin völlig platt, Kreis schließt sich zu heute.
Bin ich wirklich alle? Seit Taubertal kann ich darüber nur lächeln. Nichts krampft, Energie kommt aus meinem aktuell üppig gefüllten inneren Plätzchendepot , selbst die heftigen Gegenwindböen verblasen eher das Trübe. Die Seligkeit bald bei Herzblatt, dem Kuchen und der Couch zu sein gewinnt.
Damals wurde es noch eine lange Wanderung, Knie muckte auch Tage später, aber ich hatte mein Versprechen gehalten. Diesmal ist es nur zäh, nach knapp über 4 Stunden bin ich daheim, Laufen ist so einfach
Allen einen erkenntnisreichen Sonntag.
du bist so krass! Ich mache heute mal wieder gar keinen Sport, weil ich fett erkältet bin, wie du ja in meinem Blog gelesen hast. Und du bist jetzt vermutlich schon wieder einen Marathon gelaufen oder so...
Ich dagegen beschäftige mich mit Dingen, die du auch sehr magst, bzw. zumindest das Ergebnis meines Tuns: Kekse backen.
Als ich deinen letzten Eintrag las, schoss mir wieder mal durch den Kopf, dass du der Drecks-Krankheit sehr, sehr viel Raum einräumst in deinem Leben. Es steht mir nicht zu, dir Tipps zu geben oder klugscheißerisch zu sein, aber es fällt mir auf, dass du so viel mit der MS beschäftigt bist und das obwohl du - wie ich - so viel Schwein hast und nur sehr gering (ich ja gar nicht) von der Krankheit beeinträchtigt bist.
Jetzt, wo ich das tippe, denke ich, dass ich das vielleicht schon mal geschrieben habe: Auch wenn jeder seinen eigenen Weg geht, um mit so einer (mindestens potentiell bedrohlichen) Krankheit umzugehen, möchte ich dich ermutigen, ihr weniger Aufmerksamkeit zu schenken und mal zu schauen, wie sich das dann für dich anfühlt. Mein Weg der mitunter kompletten Verdrängung, der ja zuletzt dazu führte, dass ich fast drei Wochen mit einem unbehandelten Schub herumlief, ist auch auch nicht ideal, aber dass du dir im Wald Sorgen machst, weil du alleine und weit weg von zu Hause, aber mit MS unterwegs bist, erscheint mir auch nicht als optimal. Ich mein', wir sind doch immer mit MS unterwegs, Matthias, was soll passieren, da draußen im Wald? Ich meine, du schriebst mal, dass du schon mal mit Schwindel oder Fatigue zu tun hast oder? Dann bleibst du eben stehen oder gehst. Oder greifst du deinem Handy und rufst die Liebste an.
Du bist einer meiner persönlichen Helden, Matthias, aber nicht weil du mit MS diese ganzen verrückten Sportdinge tust, sondern einfach weil du sie überhaupt tust. Vielleicht sind meine Gedanken Blödsinn, vielleicht ist die fast ständige Auseinandersetzung mit MS für dich gar nicht belastend, so wie sie es für mich ganz sicher wäre. Dann vergiss alles, was ich geschrieben habe. Wenn es aber doch eine Belastung ist, dann lass uns beide versuchen, uns in der Mitte zu treffen: Wir kommen uns einfach ein Stück entgegen, in dem ich ein bisschen weniger gut verdränge und rechtzeitig daran denke, dass ich nur fast gesund bin und du läufst einfach durch den Wald, arbeitest, lebst, liebst, isst Kuchen, ohne so oft in dich hineinzuhorchen, ob die MS muckt oder nicht. Sie macht doch eh, was sie will. Lassen wir sie einfach und tun es ihr gleich. Darin bist du nämlich mein großes Vorbild!
Ich hoffe, dass du mir die Zeilen nicht übel nimmst, glaube es aber nicht, weil ich weiß, dass du weißt, dass du für mich ein - wenn auch ferner - Freund bist.
Ganz liebe Grüße und einen schönen Sonntag!
Judith
vielen Dank für Deine ausführlichen Anmerkungen, passt alles , nur, ob es jetzt gut ist oder nicht, wegen der MS mache ich mir besonders während dem Sport keine Gedanken. Das kam wirklich falsch rüber.
Ganz im Gegenteil. Gestern dachte ich sogar, ich müsste, zumindest Stand jetzt, froh darüber sein. Mein Leben hat sich dadurch verbessert .
Ich darf und sage seitdem auch mal "Nein", wenn mir etwas zuviel wird.
Für mich ist wichtig, dies selbst entscheiden zu dürfen. Manches wie hohe sportliche Umfänge fallen mir leicht, anderes wie Turnierschach lasse ich lieber, auch wenn es mich ab und zu nochmal reizen würde. In der Kombination mit meinem Beruf ist es mir aber zu riskant. Ich denke ohne MS hätte mich die Stressspirale böser erwischt.
Meine Gespenster und Dämonen haben andere Ursachen, lediglich in der Wahrnehmung deutlich durch die MS verstärkt, aber sonst haben sie zu ihr keinen Bezug.
Ich glaube, unter anderem Su Bee, kann mich gut verstehen. Mit Familie erhöht sich die Freude, aber auch das Gefahrenpotenzial des ganz normalen Lebens.
Autounfall, Krebs(gutartig), anstehende Operationen, wochenlanges Koma und immer wieder Neues . Bis jetzt sind wir aber wirklich sehr gut davon gekommen.
Zurück zu meiner Bemerkung, zwei Stunden von daheim allein mit der MS war wirklich nicht negativ gemeint. Es war eher, völlig unabhängig von ihr, realistisch aufzuwachen und zu merken. Was hast Du da schon wieder angestellt ?
Es regnet immer mehr, du bist platt, hast Gegenwind, schwere Beine und musst jetzt noch mindestens 2 oder mehr Stunden durchhalten.
Aber gerade solche Aktionen geben mir unheimlich viel mentale Kraft
Nochmals gute Besserung und Dein Motto rettet mich tagtäglich
Es regnet immer mehr, du bist platt, hast Gegenwind, schwere Beine und musst jetzt noch mindestens 2 oder mehr Stunden durchhalten.
Aber gerade solche Aktionen geben mir unheimlich viel mentale Kraft.
Lieber Matthias,
genau DAS sind die Dinge, die mir bei dir - jenseits der MS - allergrößten Respekt abnötigen. Und innerlich die Sinnfrage aufkommen lassen. Aber weil es dir gut tut, muss ich das akzeptieren, auch wenn ich dein Pensum nicht immer verstehe.
Daher mein Glückwunsch zu deinem besonderen 2. Adventssonntag!
__________________ "Sport hat die Kraft, die Welt zu verändern. Er hat die Kraft, zu inspirieren. Er hat die Kraft, Menschen zu vereinen, wie es sonst nur weniges kann. Sport kann Hoffnung erwecken, wo vorher nur Verzweiflung war." (Nelson Mandela)
Was einen so den übervollen Tag begleitet und nicht denkbar und direkt behütbar ist, kommt dann auf den langen ruhigen Einheiten manchmal wie ein Brett.
Das kenne ich auch.
Außer bei meinem Koma-Schwimmen, scheint mein Kopf dann zuviel Zeit zu haben.
Ich hoffe aber, dass du trotz deiner irrsinnig langen Läufe ein bisschen Notfallausrüstung dabei.
Wenn ich ENDLICH wieder länger laufen darf/kann, habe ich auch wieder meinen Trailrucksack dabei mit bisschen trinken, einem Riegel, dem Smartphone, einer Trillerpfeife, einer warmen Ersatz-Mütze, Rettungsdecke (diese Gold-Silberfolie).
Ich hab das Zeug schon gebraucht. Glücklicherweise nicht für mich.
.. auch wenn ich dein Pensum nicht immer verstehe.
Dankeschön für die Aufmunterung.
Mein Pensum ist für einen Langstreckenläufer wirklich nichts besonderes und seit Sommer bin ich halt zu 90% Läufer. Toi, toi, toi verkrafte ich die Umfänge besser als knallige Tempoeinheiten.
Zitat:
Zitat von Su Bee
Ich hoffe aber, dass du trotz deiner irrsinnig langen Läufe ein bisschen Notfallausrüstung dabei.
Also: schee uffbasse!
Vielen Dank, wir verstehen uns
Ich habe einen Riegel und neuerdings oft mein Smartphone dabei. Mein altes Notfallhandy funktionierte im Notfall eh nie, war also selbst ein Notfall
Ob ich bei uns in der Wildnis Empfang oder überhaupt vernünftige Möglichkeiten zum Abholen hätte, ist etwas anderes. Das macht mir aber keine Sorgen, auch wegen der MS nicht. Abgesehen von einem Restrisiko, dass man auch daheim umkippen, kann, bin ich hochmotiviert wieder nach Hause zu kommen .
Beim Sport kenne ich so gut wie keine negativen Gedanken. Die MS ist immer dabei und das kann ich auch nicht ausblenden, weil ich bei jedem Kurvenfahren, Laufen, Drehen usw. meine Grenzen erfahre. Dies sehe ich aber nicht als Einschränkung, genauso wenig wie mittlerweile nötige Pausenzeiten. Durchschaffen ist jetzt die Ausnahme und gefährlich. Der Gedanke an die MS belastet mich zumindest aktuell nicht.
Die letzten Monate und Jahre hatte ich meine bisher größte betriebliche Herausforderung. Anfangs nur strategisch im Hintergrund, seit 1,5 Jahren notgedrungen an vorderster Front. Gerade die letzten 3 Monate waren extrem.
Die einzige echte Einschränkung durch die MS sind meine Nerven. Früher wurde ich um meine Nervenstärke beneidet. Heute muss ich extrem aufpassen, um normales Niveau zu halten.
Dies gelingt mir gerade in solchen Krisenzeiten vor allem durch Sport mit Spaß und hohen Umfängen oder schönen Zielen sowie Familie und Freunde.
Momentan sind wir sinnbildlich für Taubertal bei KM 95, das Ziel naht. Völlig platt, aber das Gröbste zumindest in meinem Bereich scheint geschafft. An Weihnachten hoffe ich auf paar Tage zum Durchschnaufen, dann 3 Monate zum Konsolidieren und dann auf mein üppiges Urlaubskonto mit fast noch dem ganzen 2017+2018er Urlaub.