Ostersamstag! Was genau geschah an diesem Tag?
Nichts.
Deswegen bleibt Zeit für einen Rückblick auf den Karfreitag, speziell auf die Kreuzigung, die ich am gestrigen Feiertag aus Rücksichtnahme übergangen habe. Aus dem gleichen Grund verzichte ich auf die Bezeichnung "Fun Fact". Die die Kreuzigung und die Auferstehung so zentral sind, ist das Posting recht lang. Vielleicht interessiert's ja jemanden!
Punkt 1:
Jedes Jahr an Karfreitag sehen wir in den TV-Nachrichten eine große Menge an Touristen, die Jesus' letzte Schritte auf der "Via Dolorosa" beschreiten, und die anschließend von einer wundersamen Ergriffenheit erzählen. Zur Zeit von Jesus stand dort jedoch eine Mauer, nämlich die nördliche Stadtmauer von Jerusalem. Jesus kann also diese Gasse nicht beschritten haben. Die Ergriffenheit der Touristen ist daher reine Einbildung. In der Bibel wird die "Via Dolorosa" ebenfalls nicht erwähnt. Es handelt sich damit um eine spätere Legendenbildung, ähnlich dem Schloss Dracula in Rumänien.
Punkt 2:
Ganz Jerusalem war aufgrund des Passah-Festes voller religiöser Fanatiker. Die römische Besatzungsmacht war darauf bedacht, keine Aufruhr aufkommen zu lassen. Dies wird oft als Argument dafür verwendet, dass die Römer "kurzen Prozess" mit Jesus machten.
Aber der römische Statthalter Pontius Pilatus ging angeblich davon aus, dass Jesus sich als "König der Juden" betrachtete (obwohl dieser Begriff vor der Schilderung des Prozesses nirgends in der Bibel auftaucht). Wie plausibel ist es, dass die Römer den "König der Juden" ausgerechnet an einem der höchsten jüdischen Feiertage umbrachte und ihn zuvor mit einem Kreuz durch die aufgewühlte Stadt ziehen liess, sodass die Gefahr eines religiös aufgeheizten Tumultes drohte? Hätte man ihn nicht einfach im Kerker lassen können, bis alle Fanatiker wieder in ihren Dörfern waren? Das ist nicht sehr plausibel.
Nach
römischen Recht war eine Verurteilung zum Tode am selben Tage sowieso nicht erlaubt. Zwischen Anklage, Prozess und Exekution mussten gewisse Fristen verstreichen. Nach
jüdischem Recht hätte am heiligen Passahfest überhaupt nichts passieren dürfen, außerdem war Kreuzigung/Pfählung unbekannt, stattdessen gab es die Steinigung.
Punkt 3:
Der römische Statthalter begnadigte angeblich aufgrund einer Tradition jedes Jahr einen verurteilten Verbrecher. Das Volk durfte wählen. Wir kennen die Erzählung: Das Volk wählte Barrabas und forderte den Tod von Jesus.
Die römischen Traditionen sind allerdings bis ins Detail dokumentiert. Nirgendwo im römischen Reich, zu keiner Zeit, gab es eine solche Tradition.
Dies ist übrigens kein Irrtum in Folge zahlreicher Übersetzungen, kein unachtsam abgeschriebener Vers, keine überschwängliche Übertreibung. Sondern es ist plump gelogen. Hier werden die Leser absichtlich reingelegt. Erneut zeigt sich, dass es den Evangelien nicht daran gelegen ist, die Ereignisse korrekt darzustellen.
Das ist übrigens Schulstoff im Religionsunterricht. Gelehrt wird, dass Pontius Pilatus aufgrund einer Tradition regelmäßig eine Begnadigung vornahm. Das haben wir alle im Religionsunterricht gehört, stimmt's? Das beweist, dass Religionsunterricht vor allem eine Propaganda-Veranstaltung ist. Denn obwohl man
genau weiß, dass es überprüfbar falsch ist, wird es dennoch weiter gelehrt.
Punkt 4:
Der christliche Glaube ist vor allem ein Auferstehungsglaube. Ohne die Auferstehung wäre Jesus kein Gott gewesen. Paulus, der Begründer des Christentums, schrieb dazu:
Ist aber Christus nicht auferstanden, so ist unsre Predigt vergeblich; so ist auch euer Glaube vergeblich.
1. Korinther 15,14
Doch in der Bibel wird der Vorgang der Auferstehung nicht näher beschrieben. Es gibt auch keine Zeugen. Es kann sie gar nicht geben. Denn als die ersten angeblichen Zeugen zum Grab kamen, fanden sie bereits das leere Grab vor. Was davor geschah bleibt im Dunkeln. Bei Markus sitzt ein Jüngling am Grab, der lediglich sagt:
"Er ist auferstanden, er ist nicht hier" (Mk. 16,6).
Die Kirchen versichern ihren Anhängern aber immer wieder die verlässliche Zeugenschaft. Ein Blick in die Bibel zeigt jedoch, dass es nur eine Zeugenschaft des leeren Grabes geben kann, nicht jedoch eine Zeugenschaft der Auferstehung, weil nämlich niemand dabei war.
Die Kirchen geben sich größte Mühe, diesen feinen Unterschied zu verwischen. Die Gläubigen sollen den Eindruck haben, der entscheidende Vorgang wäre bezeugt, während die Theologen sehr genau wissen, dass ebendies nicht gemeint ist. Bezeugt ist ein leeres Grab.
Punkt 5 und grandioses Finale:
Höhepunkt der Bibelfilme, die über Ostern im TV ausgestrahlt werden, ist die dramatische Gerichtsszene mit Pontius Pilatus und die anschließende Kreuzigung des unschuldig verurteilten Jesus. Der Mob schreit: "Kreuzigt ihn! Kreuzigt ihn!" Und der Zuschauer weiß, wie ungerecht das ist. Das lässt kaum jemanden kalt.
Schauen wir uns die Szene genauer an. Die Ausgangslage ist wie folgt:
- Die Römer sind die "Bösen". Sie haben Jerusalem (das jüdische Heiligtum) besetzt.
- Die Juden als rechtmäßige Bevölkerung und als das "auserwählte Volk" sind die "Guten".
- Jesus ist Jude.
Im Gerichtsprozess drehen sich diese Rollen völlig um:
- Verraten wird Jesus von Judas, einem Juden.
- Angeklagt wird Jesus nicht von den Römern, sondern vom jüdischen Rat, aufgrund diverser Verstöße gegen das Tempel-Gesetz.
- Der fiese Statthalter Pontius Pilatus verhört Jesus, findet jedoch keine Schuld an ihm. Pontius Pilatus, als Vertreter der Römer, ist daher ebenfalls unschuldig.
Um die Unschuld der Römer weiter zu unterstreichen, gibt es diese Szene:
Er [Pontius Pilatus] aber sagte: "Was hat er denn Böses getan?" Sie [die Juden] schrien aber noch mehr: "Lass ihn kreuzigen!" Da aber Pilatus sah, dass er nichts ausrichtete, sondern das Getümmel immer größer wurde, nahm er Wasser und wusch sich die Hände vor dem Volk und sprach: Ich bin unschuldig am Blut dieses Menschen; seht ihr zu!
Matthäus 27,23
Ist es nicht erstaunlich, wie sich die Rollen plötzlich geändert haben? Es wäre plausibel gewesen, die Geschichte so zu schreiben, dass Jesus den Römern missfiel und daraufhin vom fiesen Pontius Pilatus umgehend hingerichtet wurde. Viele heutige Christen denken, so stünde es tatsächlich in der Bibel, aber das ist nicht zutreffend.
Die späteren Evangelisten schreiben in einer Zeit, zu der Jerusalem und das dortige Judentum längst zerstört waren. (Der Jerusalemer Tempel als Zentrum der jüdischen Welt wurde von den Römern im Jahr 70 endgültig zerstört.) Das junge Christentum spaltete sich vom Judentum und kämpfte um Anerkennung und Einfluss. Die neuen Feinde waren deswegen nicht mehr die Römer, sondern die störrischen alten Juden, die sich einfach nicht zum Christentum bekehren wollten.
Mit den römischen Besatzern musste man sich hingegen arrangieren; außerdem waren es die (römischen) Heiden, die als neue Christen gewonnen werden konnten. Man hätte ihnen also kein Evangelium präsentieren können, in dem sie (die Römer) den Mord an Jesus zu verantworten hatten.
Während also früher die Juden die "Guten" waren, und die Römer die "Bösen", waren nun plötzlich die Juden die "Bösen" und die Römer... jedenfalls nicht grundsätzlich schlecht, wenn sie sich denn taufen ließen.
Als Jesus predigte:
"Liebe Deinen Nächsten", da meinte er noch den Juden. Denn es waren ja nur Juden vor Ort, um seine Predigt zu hören. Aber nun waren die Nächsten die Christen, und die Juden waren die Feinde. Im Alten Testament hieß es noch, die Juden wären das auserwählte Volk, und der Bund mit Jahwe gelte ewig. Aber ab der Verurteilung von Jesus waren die Juden die Teufel.
Wäre es dabei geblieben, dass die Juden das allein auserwählte Volk Gottes waren (und der Rest nur Abschaum), hätte sich das Christentum nie ausbreiten können. Aber die Ausbreitung war das einzige Anliegen der Evangelisten. Also mussten sie diese Erzählweise überwinden. Die Kreuzigungs-Legende ermöglicht genau dies: Es schiebt die paar Juden, die es noch gab, in die schmutzige Ecke und öffnet sich damit allen anderen, sogar den verhassten Römern.
Heute ist Rom das Zentrum des Christentums. So ein Zufall.
Besten Dank fürs Lesen!