Predigt zur Arche Noah, gehalten am 2. Februar 2014 von Pfarrerin Esther Kohn-Lutz (evangelisch).
Teil 2 von 2.
"Zurück zur Sintflut geschichte – zurück zu Gottes Enttäuschung über die Bosheit der Menschen.
Gott bereut, dass er die Menschen geschaffen hat : „ Gott sah, dass die Bosheit der Menschen groß war auf Erden und das Dichten und Trachten ihrer Herzen nur böse war immerdar, da reute es ihn, dass er die Menschen gemacht hatte auf Erden und es bekümmerte ihn in seinem Herzen und er sprach: Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe, vertilgen von der Erde. “
Nur – uns gibt es ja noch – sonst würden wir nicht heute hier im Gottesdienst zusammen sitzen und gemeinsam beten und singen und nach Orientierung fragen durch Gottes Wort. Also was war passiert? Einen gab es nun doch, der vor Gottes Augen Gnade gefunden hatte. Noah. Von ihm heißt es: „Er war ohne Tadel. Er war fromm. Er wandelte mit Gott..“
Er wandelte mit Gott – eine wunderschöne Beschreibung von einem Menschen, der mit Gott in allen Lebenssituationen im Gespräch bleibt, der sich mit Gott immer wieder berät, der sich durch Gottes Wort Orientierung geben lässt in allen Fragen des Lebens.
Noah und seine Familie – seine Frau, seine 3 Söhne – und die Familien seiner Söhne – die werden gerettet. Gott erzählt Noah, was er vorhat – und nun geschieht etwas mit Noah. Er, der mit Gott wandelte , wird nicht aufhören mit Gott zu wandeln – auch unter der lebensbedrohlichen und furchtbaren Katastrophe einer Sintflut… - aber er verstummt. In der ganzen Geschichte hören wir von Noah kein einziges Wort. Ihm hat es die Sprache verschlagen – er ist sprachlos wie wir auch.
Er streitet nicht mit Gott – warum Gott , wie kannst du das tun? Es ist doch deine Schöpfung!
Er bittet auch nicht für die anderen Menschen – wie Mose in seiner Fürbitte – vergib ihnen ihre Schuld – und lass uns wieder neu anfangen.
Er handelt auch nicht wie Abraham, als er erfährt, dass Sodom und Gomorra zerstört werden sollen – weil auch diese Städte nur geprägt von Kriminalität und zerstörerischer Gewalt waren.“ Gott, es wird außer mir sicher noch ein paar andere geben, die mit dir wandeln.. . rette die doch auch.“
Nein – Noah bleibt stumm…
War das in Ordnung? Oder ein Verrat an den anderen – den Nachbarn, den Freunden, den Genossen? In dem Buch „ Der Himmelsschlüssel“ von Leszek Kolakowski beschreibt er das Dilemma von Noah. Entweder erfüllt er die elementare Solidarität mit seinen Mitmenschen – und geht mit ihnen unter – oder er nimmt die einzige Chance wahr, dass es mit der Welt und der Menschheit weiter geht. Zum Glück hat er sich dafür entschieden… aber zu einem hohen Preis. Er wird alles tun, was Gott ihm sagt – aber er wird stumm bleiben. Und damit sein Unverständnis, seine Kritik an Gottes Verhalten zum Ausdruck bringen. Er befolgt alles aufs Genaueste, was Gott ihm jetzt für Anweisungen gibt. Dass er eine große Arche bauen soll dass sie aus Tannenholz sein soll, dass sie so groß sein soll, dass er und seine Familie darin für viele Monate leben könne n – und dass es viele kleine und große Ställe und Abteilungen geben muss – für alle Tiere, die auf der Arche Schutz finden werden – je ein Paar von allen Arten der verschiedenen Tiere. Denn – und jetzt kommt mitten in der Ankündigung der zerstörerischen Sintflut eine Verheißung, dass es danach doch wieder Leben geben wird….“ Um das Leben zu erhalten auf dem ganzen Erdboden.“ Ein einziges Fenster bekommt die Arche – das bleibt nun aber erstmal einige Monate zu…. Denn als dann alle drin waren, fing es an zu regnen – sintflutartig – das Wort kennen wir ja heute immer noch…Es regnete 150 Tage… alles verschwand in den Fluten -Menschen, Tiere, Bäume, Berge….
„ Allein Noah blieb übrig und was mit ihm in der Arche war.“ 150 Tage auf engstem Raum – man mag sich das garnicht vorstellen - schon als Familie kann man sich ja ganz schön auf den Wecker gehen, wenn man zu eng aufeinander hockt – und dann noch mit sovielen Tieren zusammen! Löwen und Elefanten, Schlangen und Eichhörnchen, Mäuse und Kamele….
„ Da gedachte Gott an Noah und an alles wilde Getier und an alles Vieh, dass mit ihm in der Arche war und ließ Wind auf die Erde kommen und die Wasser fielen. „
Gott erinnert sich an Noah – und jetzt geht es darum, wie er und seine Familie und die ganzen Tiere gerettet werden können. Gott ließ Wind auf die Erde kommen – klar, Wind trocknet …. Aber es ist auch eine theologische Aussage und erinnert an die Schöpfung: Gottes Geist – Gottes „ Wind“ schwebte über dem Wasser - beides Mal ist es das gleiche Wort: ruach. Es soll einen Neuanfang geben – jetzt nicht mehr aus dem Chaos – dem Tohuwabohu wie am Anfang der Schöpfung – sondern aus dem Chaos der Flut. Und die Brunnen der Erde wurden verstopft – Vorstellung, dass das Wasser von unten durch die Brunnen kam – und die Fenster des Himmels wurden geschlossen – die Schleussen des Himmels… 150 Tage dauerte es nun, bis das Wasser wieder ablief… und die Arche strandete – auf dem Berg Ararat…Heute Armenien – das hat Archäologen und andre Menschen immer wieder dazu gebracht, auf dem Berg Ararat nach Bruchstücken der Arche zu suchen .
Das ist ja auch das besondere dieser biblischen Urgeschichten – sie sind so zu sagen kollektive Geschichten der Menschheit – und gleichzeitig durch manche Ortsangaben wirken sie so, als wären sie an einem bestimmten Ort geschehen. Nun gut – der Berg Ararat ist seitdem natürlich ein „ Heiliger Berg“ – der Ort, an dem wieder Neues Leben begann – ein Ort der Verheißung. Gestrandet zu sein heißt aber noch nicht gleich, wieder wirklich leben zu können – das wissen alle diejenigen, die nach dem Krieg damals oder nach Kriegen heute dann irgendwo nach gelungener Flucht „ stranden“ – zwar lebendig, aber noch in keinster Weise beheimatet.
Es ist garnicht einfach den richtigen Moment zu finden, wann ich bereit bin , mich wieder der Außenwelt zu öffnen…. Nach 40 Tagen tat Noah an der Arche das Fenster auf – frische Luft!!!! Wieder Kontakt zur Außenwelt! Und jetzt sehen wir das Bild vor uns, dass Nolde und andere gemalt haben. Wie Noah als ein alter Mann seine Hand aus der Luke ausstreckt und erst einen Raben fliegen lässt. Der flog immer hin und her – bis die Wasser vertrockneten auf Erden. Dieses Herumflattern – da spürt man förmlich den Windhauch der Flügel – es trocknet immer mehr… der Sehnsucht nach freiem Leben wird freien Lauf gelassen. Aber – Sehnsucht ist noch keine Realität für neues Leben. Noah lässt eine Taube fliegen die findet keine Nahrung und kommt wieder zurück. „ Da aber die Taube nichts fand, wo ihr Fuß ruhen konnte, kam sie wieder zu ihm in die Arche. Denn noch war Wasser auf der ganzen Erde. Da tat er die Hand heraus und nahm sie wieder zu sich. „ Noch konnte die Taube nicht zur Ruhe kommen – noch können die Menschen nicht zur Ruhe kommen. Nach weiteren 7 Tagen lässt Noah wieder eine Taube fliegen – und die kam zur Abendzeit zurück – „ und siehe, ein Ölblatt hatte sie abgebrochen und trug es in ihrem Schnabel.“ Ein Zweig von einem Ölbaum! Man kann sich das garnicht intensiv genug vorstellen - diese Freude: es ist vorbei! Wir können bald wieder auf der Erde als Gerettete leben! Ein Zeichen des Lebens – die Flut ist vorbei!
Der Ölzweig ist seitdem zu einem Symbol des Friedens geworden. Hier in der Predigerkirche sehen wir ihn gemalt – als Attribut für den Frieden als eine der Tugenden. Picasso hat die Taube mit dem Ölzweig mehrfach gemalt – gezeichnet – sie ist zu einem wichtigen Symbol der Friedensbewegung geworden. Ein Symbol für die Sehnsucht nach Frieden. Wenigstens ein Ölblatt ist schon sichtbar!
„ Nach dieser Sintflut möchte ich die Taube,
und nichts als die Taube,
noch einmal gerettet sehn.
Ich ginge ja unter in diesem Meere!
flög sie nicht aus, brächte sie nicht
in letzer Stunde das Blatt.“
So beschreibt die Dichterin Ingeborg Bachmann ihre Hoffnungssehnsucht…( Ingeborg Bachmann, Sämtliche Gedichte).
Und dann – wieder 7 Tage später – schickt Noah die dritte Taube los – sie kommt nicht wieder – sie findet nun Nahrung außerhalb der Arche.
Die Wasser waren vertrocknet – Neues wächst auf – und Noah - von ihm heißt es, dass er jetzt das Dach von der Arche abmontiert – jetzt brauchen wir keinen Schutz mehr!
Gerettet! Überlebende! Und jetzt?
Wir haben letzten Montag am 27. Januar an die Befreiung der meist jüdischen Menschen aus dem KZ Ausschwitz gedacht – und da gab es verschiedene Lesungen. Unter andrem auch mit Texten von Eli Wiesel. Damals ein Junge – gerettet aus Auschwitz – ein Überlebender. Aber, er beschreibt in seinen biografischen Erzählungen, dass er jahrelang mit einem sehr schweren Gewissen lebte – warum hatte er überlebt – und nicht andre? Er konnte sich nicht nur freuen übe seine Rettung – sondern hat das auch eine große Last erlebt - welche Aufgabe habe ich als Überlebender?
Noah ist dankbar, dass er und seine Familie gerettet wurden – dass das Leben weitergeht – dass jede Tierart weiterleben kann – aber er ist auch ein Gezeichneter. Er bringt Gott ein Dankopfer – schweigend…
Und Gott?
Er schließt einen neuen Bund mit den Menschen – eigentlich mit der Erde. „ Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen. Denn das Dichten und Trachten des menschlichen >Herzens ist böse von Jugend an.“
Das klingt resigniert… aber auch irgendwie realistisch. Das menschliche Herz ist nicht böse von Geburt an – aber es gibt vieles, was einen Menschen prägt…. Wozu ein Mensch sich hinreißen lässt deswegen – das Stichwort mit der Jugend weist darauf hin.
Was hat sich jetzt eigentlich verändert?
Der Mensch ist fähig zum Guten und zum Bösen. Für Gott ist das kein Grund mehr für eine Sintflut.- Er will verlässlich bleiben . „Solange die Erde steht soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“ Die Verlässlichkeit des Lebensrhythmus – eine Kurzform der Hoffnung. Es wird alles nach und nach wieder kommen – ein Wechsel der Rhythmen, auf den ich mich verlassen kann, Grundlage für ein Leben in innerer und äußerer Ruhe.
Der Mensch ist fähig zum Guten und zum Bösen – und braucht eine Orientierung für sein Leben. Das ist die Konsequenz Gottes: die Menschen brauchen eine Wegweisung, um mit Gott – und mit ihren Mitmenschen – wandeln zu können. Gesetze und Gebote entstehen…
Am Ende der biblischen Flutgeschichte steht die von Gott her unbedingte Zusage, nie wieder eine solche Flut über die Erde zu bringen. Angesichts der Frage, ob eine solche globale Vernichtung möglich sei, vermittelt die biblische Flutgeschichte die Antwort: Ja, eine solche Zerstörung ist möglich, aber sie ist Vergangenheit und wird nie wiederkommen! Die geschehene Gewalt Gottes vermittelt zugleich die Gewißheit ihrer Nichtwiederholung. Und doch bleibt die bedrückende Schilderung der göttlichen Gewalt. Aber gerade hier gibt es etwas zu lernen, nämlich daß Gott selbst lernt. Zunächst bereut Gott seine Schöpfung. Der Gedanke der Reue Gottes schließt ein, daß Gott Dinge tut, die ihm leid tun. In der Vorstellung eines perfekten, allmächtigen und allwissenden Gottes geht die biblische Rede von Gott nicht auf. Aber das Erstaunliche ist nun, daß es zu einer Reue über die Reue kommt.
Bemerkenswerterweise gibt Gott die Zusage der Erhaltung der Erde und des Menschen auf ihr, bevor es eine neue Menschheitsgeschichte gibt. Mehr noch: Was den Menschen betrifft, so sieht Gott ihn nach der Flut nicht anders als zuvor, nämlich fehlerbehaftet, ja böse. Wie aber kann diese "conditio humana", dieses Wesen des Menschen einmal zur Vernichtung der Erde, dann aber zu ihrer auf Dauer zugesagten Erhaltung führen? Es gibt zwei wichtige Aspekte der Antwort. Der eine bezieht sich darauf, daß Gott nach der Flut das Eigengewicht der Erde und der außermenschlichen Natur neu sieht. Waren Erde und Tiere zuvor wie ein Anhängsel des Menschen gleichsam "mitgefangen, mitgehangen", so sieht Gott sie danach in ihrer eigenen Würde, ihrem eigenen Gewicht an. In dieser Hinsicht bekommt die Erde eine Bestandsgarantie, nicht weil, sondern obwohl der Mensch ist, wie er ist. Aber wenn es nur das wäre, so hätte Gott ja auch einer Erde ohne den Menschen eine Zukunft eröffnen können. So gilt die Garantie der Erhaltung auch den Menschen. Aber sie sind nicht anders geworden. So bleibt nur die Feststellung, daß Gott sich in einem entscheidenden Punkt geändert hat. Gott hat sich vom enttäuschten Idealisten mit dem Projekt der absoluten Utopie verwandelt in einen utopischen Realisten.
Gott lernt, daß auch die zweitbeste aller möglichen Welten ein lebenswertes Leben ermöglicht. Die Welt des neuen Projekts ist weder die Welt, wie sie eigentlich sein sollte, noch ist sie die Welt, wie sie nun einmal ist. Es ist die Welt, wie sie sein kann, wenn die Menschen sich an bestimmte Grundregeln halten. Diese Grundregeln sind als Gebote an Noah und seine Söhne am Ende der Flutgeschichte formuliert. Es sind in der jüdischen Auslegung die "noachitischen Gebote". Als das erste der sieben noachitischen Gebote gilt das Rechtsprinzip selbst. Es ist bemerkenswert, daß dabei die Anerkennung des Rechts der Anerkennung Gottes vorangestellt ist. Doch die Anerkennung, die Geltung des Rechts selbst ist Voraussetzung dafür, daß seine Bestimmungen eingehalten werden.
Es folgen die Meidung von Götzendienst und Gottesleugnung, ferner das Verbot von Mord, Diebstahl und Unzucht, schließlich die Pflicht, sich von jeder Brutalität gegenüber Tieren fernzuhalten. Während die "Zehn Gebote" (der Dekalog) Mose und dem Volk Israel gegeben sind, sind Adressatinnen und Adressaten dieser Gebote alle Menschen, die von Noah und seinen Nachkommen abstammen, d.h. die gesamte Menschheit. Die Verbindung von Verheißung und Gebot im Blick auf ein neues Leben nach der Flut ist in der Bibel grundlegend. Die Welt nach der Flut ist nicht mehr nur "gut" und "sehr gut". In dieser realen Welt zu leben bedeutet, mit Konflikten und auch mit Gewalt zu leben. Daher bedarf es der Gebote, denn die Menschen wissen nicht aus sich selbst heraus, was gut ist. Daher muß ihnen gesagt sein, was gut ist. Wenn sie sich das gesagt sein lassen, dann kann auch die "zweitbeste der möglichen Welten", die vorfindliche, "unsere" Welt eine lebenswerte sein.
Seit der Noahgeschichte erleben Menschen in ganz unterschiedlicher Weise in ihrem Leben Situationen als etwas, was über sie hereinstürzt wie ein Flut – wie eine Flut, die zu zerstören versucht, oft genug von >Menschen verursacht. Aber – gegen diese politischen und privaten Sintfluterfahrungen gibt es nun die Verheißung Gottes – von Gott her wird es keine Zerstörung mehr geben – und: Die Symbole des Friedens werden bleiben – die Taube und der Regenbogen.
Und so will ich uns zum Schluss eine „Bitte“ vorlesen von einer Frau, die als Jüdin vor den Nazis fliehen musste – ins Exil in die Dominikan. Republik reisen musste – und erst nach 10 Jahren Exil wieder nach Deutschland kommen konnte - Hilde Domin. ( siehe Jürgen Ebach, Noah. Die Geschichte eines Überlebenden S. 232)
Bitte
Wir werden eingetaucht und mit Wassern der Sintflut gewaschen,
wir werden durchnässt bis auf die Herzhaut.
Der Wunsch nach der Landschaft diesseits der Tränengrenze taugt nicht,
der Wunsch, den Blütenfrühling zu halten, der Wunsch, verschont zu bleiben,
taugt nicht.
Es taugt die Bitte, dass bei Sonnenaufgang die Taube
den Zweig vom Ölbaum bringe.
Dass die Frucht so bunt wie die Blüte sei,
dass noch die Blätter der Rose am Boden eine leuchtende Krone bilden.
Und dass wir aus der Flut, dass wir aus der Löwengrube und dem feurigen Ofen
immer versehrter und immer heiler
stets von neuem zu uns selbst entlassen werden.
Amen"
(Quelle: Evangelisch.de)