Szenekenner
Registriert seit: 30.05.2010
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Manchmal wird mir so warm um's Herz, weil ich meine Patienten so sehr mag und so gerne mit ihnen zusammen bin. Es gibt natürlich auch ganz andere Tage, aber dieser Tage ist es sehr schön.
Drei Situationen zur Illustration:
Gestern Abend kam ich um kurz nach 20 Uhr nach meiner Angehörigengruppe noch mal auf die Station und hörte Musik aus der Küche. Ich ahnte sofort, dass es der ausgesprochen musikalische Herr K. ist, der da Gitarre spielt und ging hin. In der Küche waren außer Herrn K. noch vier andere Patienten. Eine saß am Tisch und aß, zwei machten mit ihren Handys Videos von der Musikdarbietung und einer, Herr R., sang mit Herrn K.
Sie sangen im Wechsel, jeder immer eine Strophe. Ich dachte noch, dass ich das Lied gar nicht kenne, aber die beiden ja offenbar schon, weil sie so sicher und professionell wirkten. Herr K. sang in seiner Muttersprache Polnisch, Herr R. sang Englisch. Er kann, das hatte er mir ein paar Stunden vorher erzählt, Steel Drum spielen und trommelte jetzt ein wenig auf einer Stuhlkante herum.
Es hörte sich total super an und sah auch super aus. Herr K. strahlte an der Gitarre eine immense Leidenschaft aus, wirkte ganz entrückt. Herr R. mit seinem eindrucksvollen Dreadlocks-Berg auf dem Kopf strahlte vor Freude.
Als sie aufhörten, waren wir alle ganz hin und weg, so schön war das. Ich fragte sie dann, ob das etwa improvisiert war. Ja, klar! sagten sie. Unfassbar. Das war gar kein bekanntes Lied und nicht einstudiert oder so, sie haben es einfach so aus dem Ärmel geschüttelt. Wunderbar!
Ich sprach noch kurz mit Herrn K., der sich freute, dass ich mich noch vom Voraufenthalt an ihn erinnere. Ich sagte ihm sicherheitshalber nicht, dass ich mich nicht nur wegen seiner schönen Stimme und dem Gitarrenspiel an ihn erinnere, sondern auch, weil er sich mir als ausgesprochen schwieriger Patient ins Gedächtnis gebrannt hat. Ich sagte ihm nur, dass ich noch gut weiß, dass ich ihm schon vor vier Jahren gesagt hatte, dass er auf eine Bühne gehört und nicht auf eine Entzugsstation. Drecks-Drogen. Jetzt kamen mir auch noch andere Erinnerungen. Er ist sicher nicht ohne Grund ein so "schwieriger" Mensch im Umgang mit anderen Menschen. Er ist rasch hochaggressiv, misstrauisch, eigenbrödlerisch. Er hat aber auch schon als sehr junger Mensch viele Jahre in Haft verbracht, nachdem er mit 16 Jahren einen Auftragsmord begangen hatte. Unfassbar.
Naja, mal sehen, wie er diesmal so drauf ist. War wohl länger clean, die letzten 2 Jahre, und es ging ihm gut, bis er vor 3 Monaten rückfällig wurde.
Heute Morgen stand ja eine Fahrt zum Sozialamt, zum Referat Drogenhilfe an, wo die Patienten, die in Methadon-Substitution wollen, einen Antrag stellen müssen, damit die Kosten für die psychosoziale Betreuung übernommen werden.
Heute war ich mit Herrn K. (ein anderer Herr K.) und Herrn S. unterwegs. Herr K. ist Jahrgang 1959, Herr S. Jahrgang 1958. Beide nehmen schon seit mehr als 30 Jahren Heroin. Ich kenne sie schon sehr lange. Beide sind so richtige "Alt-Junkies", wie aus dem Bilderbuch, vor allem Herr S. mit seinen halblangen Haaren, seiner hageren Statur und dem aus der Zeit gefallenen Kleidungsstil.
Sie sind beide intelligent, und hatten einen Beruf und waren/sind verheiratet. Sie lieben noch die Musik der 70er Jahre und den Rock der 80er Jahre und haben sich im Leben nicht nur für Drogen interessiert. Herr S. z.B. ist früher viel in Afrika gereist und kann unglaubliche Geschichten davon erzählen. Sie sind immer mit ein, zwei Autos hingereist, die sie dann dort irgendwo verkauft haben, um davon die Rückreise zu finanzieren. Sie sind bis tief hinein gefahren nach Afrika und haben total viel dort erlebt.
Heute mit ihnen unterwegs zu sein, war ein großer Spaß. Sie haben nicht über Drogen gequatscht, wie das sonst viele Patienten tun, sondern über alte Zeiten und über gemeinsame Bekannte ("Weißt du noch, wie der Uwe sich 1978 eine nagelneue BMW gekauft hat?" Ich merkte an, dass ich 1978 sieben Jahre alt war. Herr K. sagte, dass er 1978 seine Ausbildung beendet hat.) Sie erzählten von ihren Eltern. Herrn K.s Mutter lebt noch, ist über 80 und gesünder als ihr Sohn. Herr S. erzählte, dass beide Eltern tot sind und dass, als seine Mutter starb, er zum ersten Mal das Gefühl völliger Einsamkeit verspürt hat.
Auf der Rückfahrt diskutierten sie über die Probleme von Drogenkonsum, bzw. Substitution in Bezug auf Sexualität und lachten dann herzlich darüber, als Herr S. sagte, dass er schon gerne wieder eine Beziehung hätte, denn er ist seit seiner Scheidung 1997 oder so Single, aber Lust auf Sex hätte er nicht. Er hätte gerne eine Partnerin, die ruhig auch schon Anfang 60 sein dürfe. (Herr K.: "Hauptsache, sie kann kochen, was?" Herr S.: "Ja, so 'ne Art Mutterersatz!")
Wir sind dann noch im Supermarkt gewesen, wo sich Herr K. mit Süßigkeiten eingedeckt hat und hatten zusammen einen schönen Vormittag.
Am Mittag war ich mit meiner Kollegin Birgit in der Studentenmensa essen. Als wir gerade zurück zur Klinik kamen, stand das schon wieder ein Riesentross von der Feuerwehr aufgereiht auf der Straße. Der Einsatz schien beendet und ein Fehlalarm gewesen zu sein, weil ein sehr attraktiver Einsatzleiter entspannt zum Wagen zurück schlenderte. Birgit: "Ach du Kacke, hoffentlich war das nicht schon wieder bei uns in der Tagesklinik!" Ich: "Könnte gut sein. Als ich da gerade mein Futter warm machte (das ich mit in die Mensa nahm), lagen da Schnitzel rum."
Sven von der Haustechnik verabschiedete sich gerade von der Feuerwehr und bestätigte uns, dass der Fehlalarm natürlich doch mal wieder von dem Rauchmelder in der TK Küche ausgelöst worden war. Vermutlich haben die Hasen mal wieder die Schnitzel in ca. 800 Grad heißes Fett geworfen. Als die Haustechniker jedenfalls oben ankamen, war die Küche noch völlig verraucht und das obwohl die Fenster automatisch vom Brandalarm geöffnet wurden...
So ein Einsatz wird der Klinik mit 1000 Euro in Rechnung gestellt. Das Training lebenspraktischer Fähigkeiten, zu dem die Kocherei der Patienten in der TK zählt, ist jedenfalls ein teurer Spaß, denn sie lösen mindestens alle 4-6 Wochen einmal einen Alarm aus, teilweise auch öfter, je nachdem welche Chaoten da in der Küche zugange sind. Ich ging spaßeshalber mit einem Klingelbeutel zu den Patienten, aber habe nichts zusammenbekommen.
Die Klinik sollte vielleicht doch endlich mal für die Küche die viel teureren Melder bestellen, die auf Hitze reagieren und nicht auf Rauch.
Ihr seht: Ich habe eine schöne, teilweise lustige Arbeit, auch wenn sie ab und zu überhaupt nicht schön und lustig ist.
Viele Grüße
J.
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