Bunte-Tussi des Triathlon
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Samstag, 12. Juli 1807, der Tag vor dem Rother Schlachtfest.
Es ist schon kurz nach 5 Uhr und ich erreiche gerade den Rother Landkreis und wenige Stunden später Roth. Schnell überlasse ich mein Pferd dem Stalljungen irgendwo in einer Seitenstraße, zufällig dort, wo es morgen dann hinunter geht zum Brauhaus. Hastig geht es weiter in Richtung Dorfzentrum, längst mal wieder mit einer genialen Ausrede im Gepäck, warum ich viel zu spät dran bin. Warum bin ich eigentlich immer so spät? Es nervt mich selbst wohl am meisten. Ich laufe nur kurz über die Pferdemesse, suche beiläufig nach mir bekannten Gesichtern, finde natürlich keine. Aber eigentlich will ich ja sowieso ganz woanders hin, will weg von hier, hab anderes vor.
Bewaffnet mit meinem Schwert, in einer dieser weißen, von mir so gehassten überdimensionalen Halfter, geht es in den angrenzenden Rother Stadtwald. Die Musik der Messe wird dabei Schritt für Schritt leiser und die Reihen abgestellter Pferde, Landstreicher, leichter Frauen und Aussätziger lichten sich. Fast instinktiv laufe ich immer weiter in den Stadtwald hinein. Ich muss nicht nach der Richtung oder dem Weg fragen, kenne ihn noch, auch nach 21 Jahren. Der Weg wird wieder flacher und dann taucht mein Ziel allmählich hinter den hohen Bäumen und zwischen den Sträuchern auf: die Rother Lichtung. 1786 war hier der Höhepunkt der Rother Schlacht, von hier ging es hinunter in Richtung Kanal, vorbei an dem heutigen Messe- und Vergnügungsgelände, das damals so noch gar nicht existierte. So war es wohl, im Juli 1786, beinahe mein letzter Tag in Roth, als ich hinunter in Richtung Kanal stürmte und dort irgendwo die unschöne Erkenntnis machte, dass ich dem Tod vielleicht nicht immer weglaufen kann. Zwar lernte ich dann die schöne Rother Maid kennen, huschte mit ihr durchs Unterholz, entkam dem Tod. Doch ich kehrte nie mehr zurück zur Lichtung.
Ich stehe wie ein kleiner Junge am eisernen Eingangstor und versuche mein Glück und tatsächlich -- es lässt sich öffnen. Erinnerungsgetränkt und fast ehrfürchtig schreite ich vorsichtig über die Wiese. Sogar die Knochen eines verendeten Pferdes liegen noch dort. Ob es wohl noch von „meiner“ Schlacht ist? Ich schließe meine Augen, genieße die Ruhe, stehe verlassen auf der Wiese herum, bin nur hier und jetzt. Dann plötzlich, ich bin nicht mehr Herr der Situation, bin im Juli 1786, bin ganz weit weg. Im Nu lege ich das Schwert im weißen Halfter ab, meine Beine treiben mich nach vorne, es gibt jetzt kein Halten mehr. Nur noch 200 Schritt, schnell, schneller, ... lauf! lauf! lauf!. Bin schon auf der Südseite der Wiese, die letzte Kurve um die morsche Eiche, vorbei am Ostgraben, die vielen Leichen scheinen mich anzufeuern, meine Eltern tauchen vor meinem Auge auf, meine vierzehn Geschwister, es ist ein starker Kampf heute von mir. Der kurze Blick zurück über die Schulter, hat sich jemand herangeschlichen? Ich kämpfe ihn mit bloßen Händen nieder, er hat keine Chance gegen mich. Herbert von Walchshöfer peitscht uns in die Sicherheit des Waldes und holt so das allerletzte aus uns raus. Bin bereits am Waldrand, noch wenige Meter, ich sprinte über die Wiesengrenze. Detlef Kühnel der Grosse steht da und klatscht uns alle ab. Ein toller Kampf, ich reiße die Arme hoch. Wo gibt es warmes Bier? Haben sich auch meine Feinde gerettet? Nein, ich glaube, heute habe ich ihnen ihre Grenzen aufgezeigt.
Mein Herz pocht heftigst bis hinauf in mein kleines Hirn und schlägt mir dabei förmlich die Träume raus. Atemlos bis über beide Ohren im Laktat stehend, bin ich plötzlich wieder alleine auf der Lichtung, erkenne meine Situation. Nur mein weißes Schwerthalfter liegt noch verlassen ein paar Meter vor mir. Ich hebe es auf, lache dabei in mich hinein, über mich und meine Fantasie. Scheinbar habe ich nur getan und zu Ende gebracht, was mir schon seit über zwei Jahrzehnten unterbewußt auf den Nägeln brannte. Gehe nun wieder hinüber in den Stadtwald und sinniere dabei, ob sich das ganze Leben etwa nur im Kopf abspielt. Ein flüchtiger Blick zurück zur Lichtung, wohl jetzt zum letzten Mal. Dann hinunter zur Pferdemesse, die Musik wird wieder lauter und dröhnt. Tauche dort ein, bin wieder zurück. Zurück in der Gegenwart und freue mich auf morgen.
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