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Alt 29.04.2019, 07:37   #14393
Jörn
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Zitat:
Zitat von Trimichi Beitrag anzeigen
will mit naturwissenschaftlichen Methoden beweisen, was erwiesenermaßen mit naturwissenschaftlichen Methoden nicht bewiesen werden kann
Ich finde es interessant, mit welchem Fleiß dieses Missverständnis immer wieder aufgetischt wird, obwohl es schon so oft beantwortet und klargestellt wurde.

Zudem ist die Wissenschaft ja gar nicht in der Beweispflicht, da sie nichts behauptet. Sondern die Religion ist in der Beweispflicht.

Nun scheitert die Religion nicht erst an einem "Beweis", sondern zuvor schon daran, eine einheitliche Behauptung aufzustellen, weil sich jeder Gläubige empört dagegen verwahrt, sein vorzüglicher Glaube hätte etwas mit dem kruden Aberglauben der anderen zu tun.

Von mir aus können religiöse Behauptungen, wenn sie denn endlich mal klar definiert würden, mit irgendwelchen Methoden bewiesen werden -- von mir aus mit schwarzer Magie. Das wird jedoch nicht gelingen.

Alles, was bis jetzt präsentiert wurde, ist nur eine Verpackung für: "Tja, öh... man muss halt glauben".
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Alt 29.04.2019, 09:30   #14394
qbz
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Registriert seit: 24.03.2008
Beiträge: 10.345
Zitat:
Zitat von Jörn Beitrag anzeigen
...........
• Kann die Philosophie, prinzipiell, eine Aussage darüber treffen, ob Gott überhaupt von unserer Existenz im Weltall weiß?

• Kann die Philosophie, prinzipiell, herausfinden, ob Gott einen Unterschied sieht zwischen uns und Tieren?

• Kann die Philosophie ein Urteil darüber abgeben, ob wir die von Gott bevorzugte Spezies sind? Und nicht etwa Bakterien? Immerhin sind wir Nahrung für Bakterien. Ganz besonders nach dem Tod.

Ich habe den Eindruck, als würde hier mit größter Mühe ein Unterfangen betrieben, welches prinzipiell nicht in der Lage ist, bedeutungsvolle Antworten zu geben, selbst dann, wenn der logische Nachweis eines Gottes gelänge. Warum wird dieses Unterfangen trotz dieser mürben Aussichten dennoch betrieben? Eine Möglichkeit wäre, dass die Philosophie lediglich vor den Karren der Religion gespannt wird, für jene, denen der Weihrauch und die Engel zu primitiv sind und daher lieber über Kant und Wallenstein reden. Die Religion wäscht sich womöglich mit dem Ansehen der Philosophie rein.

Fakt ist (und jeder kann es nachprüfen): Die Philosophie konnte in 3.000 Jahren nicht den winzigsten Beitrag dazu leisten, um herauszufinden, wer oder was Gott ist, ob es ihn gibt, und was er von uns will.

Ich bin nicht davon überzeugt, dass die Philosophie, soweit sie Gott betrifft, zu irgendwelchen Handlungsanweisungen oder moralischen Geboten kommen kann, die auf dem Willen eines Gottes basieren. Ich behaupte, das kann sie nicht, und zwar prinzipiell nicht.
Im Foyer der Berliner Humboldt Universität steht folgender bedenkenswerter Satz:



Aus den Thesen über Feuerbach
qbz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 29.04.2019, 10:45   #14395
Helmut S
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Registriert seit: 30.10.2006
Beiträge: 8.940
Da vom Laufen meine rechte A-Sehne schmerzt und vom radeln mein linkes Knie ... verbringe ich meine Zeit halt anders ...

Zitat:
Zitat von merz Beitrag anzeigen
Also nichts zu holen bei Kant?
Ein klares Jein. Was hat Kant versucht?

Er wollte eine wissenschaftliche Metaphysik entwickeln um Rationalismus und Empirismus zusammen zu bringen. Ergebnis: Zonk!

Er wollte eine letztgültige Pflichtethik begründen. Ergebnis: Zonk!

Was hat er aber erreicht? Wir sprechen im Prinzip in der Erkenntnistheorie über eine Zeit vor Kant und eine Zeit nach Kant. Man nennt das auch "kopernikanische Wende in der Philosophie". Er stellt das Subjekt in das Zentrum der Erkenntnis (im Gegensatz zu vorher das Objekt). D.h. er sagt: Wir tragen bereits durch Anschauung und Nachdenken Eigenschaften in die Dinge hinein, die die Dinge an sich nicht haben und was wir zunächst den Dingen nicht ansehen. Das ist diese Sache mit "Wir können nichts über das Ding an sich wissen". Darüber is man sich auch einig, das is aber kein Problem, auch nicht für die Empiristen, den ein wesentliches Kriterium im Naturwissenschaftlichen ist die Intrasubjektivität von Phänomenen. Und irgendwie scheint die Evolution in uns die Prinzipien der Fähigkeit zur Anschauung und zum Nachdenken gleich angelegt zu haben. Also alles gut.


Typische, einsichtige Analogie zu dem was Kant meint: Farben. Man ist sich heute einig, dass Farben keine Eigenschaften des Dings an sich sind (sondern sog. sekundäre Qualitäten), sondern in uns durch Wechselwirkung der Oberfläche des Dings, dem Licht und unseren Rezeptoren. Der Mensch ist Trichromat (drei Rezeptoren), es gibt aber auch Tetrachromate (z.B. mit UV Licht Rezeptoren) Tiere. Übrigens kann man die Anlaogie "Farbe" auch gut (vielleicht etwas holprig, ok ) dazu verwenden um zu verstehen was Kant mit "a priori" meint: Wenn euch n Kumpel anruft und sagt, ich habe mir ein neues Auto gekauft, dann fragt ihr nicht: "Hat das Auto eine Farbe?" sondern ihr fragt: "Welche Farbe hat das Auto?" Ihr wisst a priori, dass Autos Farben haben. Dazu müsst ihr das Auto nicht sehen und das muss logisch auch nicht geprüft werden.

Kant hat jedenfalls mit der subjektzentrierten Erkentnisstheorie eine große Veränderung herbeigeführt. Moderne Bewusstseinsphilosophen (wie Metzinger), die interdisziplinär arbeiten und empirische Belege für das Phänomenale liefern (ich habe vor einem oder zwei Jahren mal das Buch "Der Ego Tunnel" von Metzinger empfohlen) profitieren heute davon.


Zitat:
Zitat von Zarathustra Beitrag anzeigen
Aus Deinem Beitrag lese ich, wenn ich Dich richtig verstehe, in der Hauptsache drei Kritikpunkte (meiner Wiedergabe Kants) heraus:
1. habe ich die Grenzen der Vernunft zu eng gesetzt; und
2. habe ich eine menschliche Unzulänglichkeit anstelle einer logischen Unmöglichkeit gesetzt.
3.'und'
[...]
Vor allem das "und" hat mich gestört, setzt es doch eine Unterscheidung und impliziert deshalb die engere Sichtweise von Vernunft (wie du in 1. ja anmerkst). Wo ich ebenfalls sehr große Schwierigkeiten hatte, war, dass sich mir der Verdacht aufdrängte, dass keine saubere Unterscheidung des Begriffes "Gott" als Idee und dem "Ding" Gott gemacht wird.

Zitat:
Zitat von Jörn Beitrag anzeigen
Man kann aus irgendeiner Erkenntnis heraus verabreden, so zu tun, als gäbe es Gott, oder auch nicht
Ich weiß nicht genau, was du mit "verabreden" meinst? Wenn Du zum Beispiel meinst, dass ich mich mit Keko darauf verabrede, dass es einen Gott gibt und wir nun deshalb am Sonntag in die Kirche gehen um zu ihm zu beten, dann stimme ich dir zu.

Wenn "verabreden" meint "behaupten im erkentnisstheoretischen Diskurs", kann man das leider nicht, zumindest nicht lange Denn das würde sofort widerlegt werden. Man kann so tun als gäbe es den Gottesbegriff. Freilich.

Zitat:
Zitat von Jörn Beitrag anzeigen
Rechtfertigungen dienen dazu, konkrete Handlungen zu legitimieren.
Nunja. Es ging um die Rechtfertigungen der Behauptung ("Rede") der All-Eigenschaften eines existierenden Gottes gegenüber dem Übel in der Welt (Theodizee). Rechtfertigung im philosophischen Sinne meint da schon was anderes als im Sinne eines wie auch immer gearteten Regelwerks/Gesetzes. Es meint eine Begründung, keine Legitimation von Handlungen.

Zitat:
Zitat von Jörn Beitrag anzeigen
Für eine Rechtfertigung bringen mir alle philosophischen Denk-Experimente nicht genügend Gewicht auf die Waage. Im Grunde bringen sie überhaupt kein Gewicht auf die Waage.

[... Rede über die Eigenschaften von Gott oder Göttern uw.]
Es ist völlig korrekt, dass die philosophischen Argumente bezüglich göttlicher Eigenschaften nicht nur wenig, sonder gar kein Gewicht auf die Waage bringen. Um philosophisch über Eigenschaften von etwas zu debattieren, muss erst bewiesen werden, das etwas auch ist. Man kann freilich rein formal über den Begriff diskutieren, weil den können wir denken.

Mal ehrlich: Mir persönlich ist nicht bekannt, dass irgendein lebender, ernst zunehmender Philosoph (ausgenommen Religionsphilosophen wahrscheinlich, von denen ich aber nichts weiß) auch nur Ansatzweise der Meinung sei, einen Beweis für die Existenz Gottes zu kennen. Im Gegenteil: M.E. ist das Thema sowas von durch.

Zitat:
Zitat von Jörn Beitrag anzeigen
"Erkenntnis über die Existenz Gottes" maximal tragen?

Nehmen wir an, die Philosophie würde uns ohne jeden Zweifel darlegen, dass es einen einzigen wahren Gott tatsächlich gibt: Was weiter könnten wir daraus ableiten?
Ja gar nix. Ich habe oben ja schon geschrieben, dass Existenz keine Eigenschaft ist. Aus ihr kann man gar nix ableiten. Deshalb wird die Existenz z.B. in der Mathematik als Existenzquantor geschrieben und nicht als Prädikat.

Was mir wichtig erscheint: Möchte man selbst diese Dinge denken, hilft es sehr, dass man weiß, welche Gedanken schon einmal gedacht wurden, sich die Argumentation ansieht um dann zu sehen, ist es Wert nochmal in diese oder jene Richtung zu denken oder ob das vielleicht schon erledigt ist. Was mir heute für die Philosophie wichtig scheint ist, dass sie in der Praxis ankommt. Das sie raus geholt wird aus den Elfenbeintürmen (der Sprachphilosophie) rein in die Gesellschaft. Hier bin ich der Meinung - Vorwurf des philosophischen Populismus hin oder her - hat gerade Richard David Precht viel geleistet. Keine Ahnung ob es philosophische Bücher gibt, die mehr gelesen wurden als seine. Mir persönlich ist das unmittelbar im Leben mehr Wert als viele große Gedankengebilde, mögen sie noch so wichtig sein.

Was mich persönlich betrifft: Die Diskussion darum ob es einen Gott gibt oder nicht, holt mich nicht mehr hinter dem Ofen hervor. Es gibt Stand heute mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit schlicht Keinen. Schon gar nicht finde ich die Frage spannend, ob man Gott beweisen kann oder nicht. Spätestens seit Popper ist auch diese Frage längst beantwortet mit: Nein, kann man nicht. Auch nicht die Frage ob das was in der Bibel steht wahr ist oder nicht: Einen besseren Blick auf das Offensichtliche als das zu analysieren gibt es kaum.Natürlich stimmt das so nicht wie das da steht. Das ist frei verfügbares und belastbares Wissen.

Die wirklich interessante Frage ist m.E. doch, warum gibt es immer noch (gebildete und intelligente) Menschen, die das alles trotzdem Glauben oder anderer Meinung sind?

Jörn hat irgendwann mal gefragt, warum denn die religiösen Aussagen nicht einfach mal vernünftig geprüft werden? Er fragt, wenn man immer und immer wieder auf Widersprüche stößt, muss man doch mal an den Annahmen zweifeln? Dem stimme ich völlig zu. Insbesondere meine ich auch: Wenn man sieht, dass alles argumentieren nicht zum Ziel führt und trotz der Wahrheit und Korrektheit der Argumente der Gesprächspartner nicht überzeugt werden kann, dann muss man sich doch mal fragen, an was das liegt? Liegt es evtl. am Wesen des Menschen? Hier schneiden wir dann Themen an, die den Menschen direkt betreffen wie z.B. positives Selbstbild, kognitive Dissonanz und kognitive Verzerrungen.

Ich bin übrigens auch der Meinung, dass Religionskritik im (teilweise) säkularisierten Staat nur eine Seite der Medaille ist. Die andere Seite muss Staatskritik sein. Das Kirchen wie besessen um den Machtanspruch und gegen den Machtverlust kämpften und kämpfen ist klar. Das kann man ihnen streng genommen nicht mal verübeln meine ich. Wer gibt seine Macht freiwillig auf? Die Frage ist doch nun, wie kann der Staat in 2019 immer noch zulassen, dass die Kirchen Macht und Einfluß haben? Muss nicht der Staat den Weg der Säkularisierung konsequent weiter gehen? Er hat mit den Staatsgewalten alle Werkzeuge in der Hand. Und: Alles was dann im Machterhaltungskampfe an Handlungen unternommen wird soll und muss einer Prüfung durch eine einzige Instanz standhalten. Diese Instanz m.E. ist der Rechtsstaat.

In diesem Sinne

Geändert von Helmut S (29.04.2019 um 10:50 Uhr).
Helmut S ist gerade online   Mit Zitat antworten
Alt 29.04.2019, 10:59   #14396
Helmut S
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Zitat:
Zitat von qbz Beitrag anzeigen
Im Foyer der Berliner Humboldt Universität steht folgender bedenkenswerter Satz:



Aus den Thesen über Feuerbach
Dem ersten Teil des Satzes stimme ich zu. Dem "aber" und dem zweiten Teil nicht. Ich denke hier springt Marx zu kurz und am Ursächlichen vorbei.

Man muss nicht die Welt sondern das Denken der Menschen und deren Verhaltensweisen verändern. Das Thema haben wir ja auch bei der Klimawandeldiskussion.

Was soll diese Welt von der Marx spricht eigentlich sein? Die Welt ist alles was der Fall ist, oder was?

Helmut S ist gerade online   Mit Zitat antworten
Alt 29.04.2019, 11:57   #14397
qbz
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Zitat:
Zitat von Helmut S Beitrag anzeigen
Dem ersten Teil des Satzes stimme ich zu. Dem "aber" und dem zweiten Teil nicht. Ich denke hier springt Marx zu kurz und am Ursächlichen vorbei.

Man muss nicht die Welt sondern das Denken der Menschen und deren Verhaltensweisen verändern. Das Thema haben wir ja auch bei der Klimawandeldiskussion.

Was soll diese Welt von der Marx spricht eigentlich sein? Die Welt ist alles was der Fall ist, oder was?

Ich habe schon mit Absicht den Link auf die Feuerbachthesen gesetzt, wo der Satz ja thesenartig ausgeführt ist und Marx den Unterschied zwischen seinen Ansichten und zu Feuerbach erläutert: "Aber das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse."

Er analysiert halt die Philosophien im Zusammenhang mit den sozialen Verhältnissen und den Eigentumsverhältnissen, in denen die Menschen leben, und mit den Wechselwirkungen zwischen den sozialen Verhältnissen und den Bewusstseinsformen. Indem die Menschen die Welt verändern (Produktivkräfte sowie Produktionsverhältnisse), verändern sie sich auch selbst mit und ihr Bewusstsein. Marx denkt nicht in einer zeitlichen Konsequenz im Sinne wie "erst Bewusstsein"-"dann Wirklichkeit" oder umgekehrt, sondern analysiert, wie beides zusammenwirkt. (Arbeitsteilung-Warenproduktion-Markt-Waren-/Geldfetisch etc.)

Meines Wissens sind in ärmeren Gegenden der Erde Religionen deutlich stärker in der Bevölkerung verbreitet als in den reicheren und gebildeteren Regionen, d.h. die unsichere Existenz und der geringere Grad der Bildung wirken sich auf die religiösen Überzeugungen bei weiten Teilen der Bevölkerung aus. Weniger Einfluss haben die Religionen, sobald sich die ausgebeuteten Menschen eine gesicherte Existenz erkämpfen und nicht durch Philosophie im Unterricht (um mal die Gedanken von Marx auf ein vereinfachtes Beispiel zu übertragen).

Geändert von qbz (29.04.2019 um 21:10 Uhr).
qbz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 29.04.2019, 12:11   #14398
Helmut S
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Zitat:
Zitat von qbz Beitrag anzeigen
Weniger Einfluss haben die Religionen, sobald sich die ausgebeuteten Menschen eine gesicherte Existenz erkämpfen und nicht durch Philosophie im Unterricht (um mal die Gedanken von Marx auf ein konkretes Beispiel zu übertragen).
Ja, das hat auch der Berthold Brecht erkannt: "Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral"
Helmut S ist gerade online   Mit Zitat antworten
Alt 29.04.2019, 23:49   #14399
Jörn
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Zitat:
Zitat von Helmut S Beitrag anzeigen
Wenn man sieht, dass alles argumentieren nicht zum Ziel führt und trotz der Wahrheit und Korrektheit der Argumente der Gesprächspartner nicht überzeugt werden kann, dann muss man sich doch mal fragen, an was das liegt? Liegt es evtl. am Wesen des Menschen? Hier schneiden wir dann Themen an, die den Menschen direkt betreffen wie z.B. positives Selbstbild, kognitive Dissonanz und kognitive Verzerrungen.
An was liegt es? Warum glauben Menschen?

Für mich ist das die Frage aller Fragen. Es ist insofern eine schwierige Frage, als dass gläubige Menschen in der Regel nicht bereit sind, an ihrer Beantwortung mitzuwirken. Es ist also ein Bereich, bei dem man nicht mit den Gläubigen spricht, sondern über sie. Das ist natürlich für eine öffentliche Forumsdebatte nicht sehr schön, weil man ja hier vor allem miteinander reden sollte.

Aber ich kann vielleicht von mir selbst und meiner eigenen Odyssee durch zahlreiche Debatten berichten. Seit dem religiösen Terror (9/11, Charlie Hebdo) habe ich für mich beschlossen, dass Religionskritik öffentlich hörbar sein sollte, und dass eine öffentliche Debatte über religiöse Dinge erlaubt sein müsste. Diese Debatte hat natürlich Chancen in beide Richtungen, aber für mich ist dabei die Richtung "weg vom Glauben" interessant.

Die Frage lautet dann für mich: Wo ist der Hebel, den man in der Debatte bewegen müsste, um Gläubige vom Glauben wegzubringen (oder sie zum Glauben hinzuführen)? Ich habe dabei über die Jahre verschiedene Theorien probiert, weil ich nicht wusste, was funktionieren würde.

• Meine erste Theorie war, dass es an den Inhalten der Religionen liegt. Das hat sich als völliger Reinfall erwiesen. Den Gläubigen sind die Inhalte meistens nicht bekannt. Nicht nur das: Sie haben auch keinerlei Interesse daran. Es geht sogar noch weiter: Mit nichts kann man Christen so sehr verärgern, als wenn man sie mit den Details des Christentums konfrontiert.

Meine umfangreiche Beschäftigung mit christlichen Schriften, ihrer Auslegung und ihrer Historie, hat sich für die Debatte als nutzlos erwiesen. Zwar kann man damit Leute beeindrucken, die unentschieden sind. Aber man kann bereits Gläubige damit nicht beeindrucken. An den Inhalten liegt es nicht.

• Meine nächste Theorie war, dass es an Werten, Sinn und Moral liegt. Das war der größte Reinfall von allen. Die Debatte verstummt sofort, sobald sie auf dieses Thema einschwenkt. Vor allem dann, wenn es um die Grundlagen (um ihre Begründung) in den christlichen Schriften geht. Nach meiner Beobachtung ist niemand ein Christ, Moslem oder Jude, weil er bestimmte Werte teilt. Es ist die falsche Denkrichtung. Die Richtung ist nicht: "Ich finde bestimmte Werte gut, diese werden im Christentum vertreten, also mache ich dort mit". Sondern die Richtung ist: "Ich bin Christ. Welche Werte muss ich folglich vertreten?"

Werte, Sinn und Moral lösen sich in den Religionen auf zu "Folgsamkeit". Die Werte werden nicht begründet, sondern verordnet. Eine Debatte über Sinn und Moral wird von vielen Gläubigen in der Regel als Angriff auf ihre Loyalität gewertet. Sie geraten in einen Loyalitätskonflikt zwischen dem, was verordnet wurde, und dem, was sie selbst für richtig halten. Wenn dann noch ein Atheist in dieser Wunde herumstochert, wird es zu viel. Das Thema wird gemieden. Über Werte wird zwar gerne von Kanzeln und auf Parteitagen gesprochen, aber nur deswegen, weil Widerspruch und Debatte nicht zu befürchten sind.

• Meine nächste Theorie war (und ist), dass es psychologische und historische Gründe hat. Bestimmte Eigenschaften unseres Denkapparats und unserer Psyche lassen sich missbrauchen. Die Ausbeutung dieser Entdeckung hat sich in Jahrtausenden evolutionär perfektioniert. Evolutionär im Sinne von: Was gut funktioniert hat (und profitabel war), schaffte es ins nächste Jahrzehnt. Es ist so, als hätte sich ein Hütchen-Spieler dreitausend Jahre lang perfektioniert. (Man zeige mir eine einzige große Religion, die nicht profitabel ist.)

Nach meiner derzeitigen Hypothese besteht Glaube aus verschiedenen (wenigen) Immunisierungsstrategien, die auf ein paar Fehlschlüssen basieren, die wiederum durch Rhetorik verschleiert werden. Das Einfallstor sind Sehnsüchte, für die wir vor allem in den ersten Lebensjahren anfällig sind, weil sie mal evolutionär vorteilhaft waren. Etwa das dringende Bedürfnis, als kleines Kind von seinen Eltern geliebt und versorgt zu werden. Oder die Angst, vom Vater bestraft zu werden. Diese Ängste und Sehnsüchte werden von der jeweiligen Priesterkaste nicht etwa besänftigt oder abgebaut, sondern kultiviert, oft ins Absurde übersteigert (grenzenlose Liebe, grenzenlose Strafe) und zum unverzichtbaren Zentrum erhoben. Weil es das Zentrum ist, kann es weder infrage gestellt noch abgeschüttelt werden.
Jörn ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.04.2019, 19:29   #14400
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Zitat:
Zitat von qbz Beitrag anzeigen
Erklären wir mal den Unterschied zwischen Naturwissenschaften u. Metaphysik an einem einfachen Beispiel, für alle verständlich:
[...]
Liefern wir alle Autos mit einem Christophorus Schutzpatron Anhänger aus, sinken dann die Unfallzahlen? Nein. Der Metaphysiker hingegen glaubt, weiss, behauptet, der Christophorus Anhänger schützt ihn vor einem Unfall.
Das läßt mich an der Stelle ja schon etwas stutzen ... ist das tatsächlich dein Verständnis von (theoretischer) Philosophie ?

Grüße ...
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