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Alt 14.07.2018, 20:19   #46
Klugschnacker
Arne Dyck
triathlon-szene
Coach
 
Benutzerbild von Klugschnacker
 
Registriert seit: 16.09.2006
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„Lerne, zu leiden, ohne zu klagen.“
Preußische Militärtugend

„Ohne Leiden bildet sich kein Charakter.“
Ernst Freiherr von Feuchtersleben

Der heutige Trainingstag war nicht einfach für mich. Er begann morgens um 9 Uhr am See. Meine kleine Trainingsgruppe war fast vollständig anwesend, nur Yvonne fehlte. Es war noch windstill, ein wolkenloser Sommerhimmel wölbte sich blau über dem spiegelglatten, grünen Wasser. Ich fühlte mich blendend.

Gemeinsam kraulten wir los. Das Wasser war griffig, die Arme drehten gut, und so propellerten wie vergnügt-konzentriert durch den See, der noch zu schlafen schien. Nur träge machten sich unter mir ein paar Fische vom Acker, und ein Haubentaucher war noch so unausgeschlafen und faul, dass ich ihn ums Haar unterpflügte. Okay, der Kerl ist vom Fach, dachte ich mir.

Nach vielleicht 3.5 Kilometern liefen wir wieder auf Grund, verwandelten uns von Fischen in Amphibien, erhoben uns schließlich auf unsere Hinterbeine, staksten aus dem Uferschlamm, und standen als Homo sapiens, Krone der Schöpfung, am Ufer. Jedesmal eine ergreifende Metamorphose. Niedergeschmettert ob diesen Anblicks machten Fische und Haubentaucher kehrt, wühlen sich tiefer in den Schlamm als sonst und senken beschämt den Blick.

Lieber Leser, wie wird dieser Trainingstag wohl weitergehen? Der Volksmund weiß es:
„Am ärgsten fällt der Größenwahn,
die kleinen Kreaturen an.“
Und so geschah es: Die Rückverwandlung von der Krone der Schöpfung in ein Sabber sabberndes, Schweiß schwitzendes, Flüche fluchendes, Schlürf schlürfendes, Rotz rotzendes, Fäkalien defäkierendes, Undenkbares denkendes, Unsägliches sagendes, salzberändertes, tropfendes, ekliges Irgendwas, in der Evolution zurückkatapultiert durch 80 Radkilometer an der aeroben Schwelle bei 32 Grad im Schatten.



Für das Radtraining (20km ein, 80km schnell, 20km aus) hatte ich mir einiges vorgenommen. Marcus und Oli waren dabei, was stets bedeutet, dass es sehr zügig werden wird. Es ist zwar nur Training, aber dennoch riecht die Luft auf dem Parkplatz am See, wo wir uns nach dem Schwimmen die Einteiler und Radschuhe anziehen, nach Wettkampf und Bewährungsprobe. Jeder hat sich etwas vorgenommen, will wissen, wo er steht. Scheibenräder und Aerohelme werden aus dem Kofferräumen geholt. Eine Dreiviertelstunde locker einrollen, dann geht planmäßig das Geballer los.

Ich habe hervorragende Beine, die mich bereits auf den ersten schnellen Kilometern an die Spitze des Feldes chauffieren. Die anderen folgen zunächst in Abständen von je 20m, doch als ich mich nach 10 Kilometern das erste mal umschaue, sehe ich eine Lücke von mehreren hundert Metern. „Läuft!“ denke ich mir zufrieden. Hauptsache den anderen den Tag versauen!

Das ist schon geil, geht es mir durch Kopf und Herz, wie mein EMWEE-Bike tief unter mir über das Asphaltband fliegt. Ich fühle mich einfach wohl auf dem Ding, zumindest im natürlichen Lebensraum dieser Spezies: flach und geradeaus. Mit steigender Sonne wirft der Wind einige Böen über die Felder und Straßen, ohne sich für eine Richtung entscheiden zu können. Ich mache mich ganz klein und höre mich unter dem Aerohelm gleichmäßig und tief atmen.

Intensive Ausdauerbelastungen sind eine seltsame Mischung aus Nichtsdenken und konzentriert sein. Gedankenfetzen ziehen vorbei, ohne verweilen und sich entfalten zu können. Mein Gehirn tut jetzt genau eine Sache und sonst nichts. Ein tolles Gefühl.

Nach 20 Kilometern nehme ich die erste Zwischenzeit. 40.4 km/h ist der Schnitt gewesen. Nanu, nicht mehr? Eigentlich habe ich ziemlich hart dafür schuften müssen. Eigentlich mehr, wie mir jetzt auffällt, als mir auf Dauer lieb ist. Der Schweiß rinnt an mir herab, außerdem läuft seit dem Seeschwimmen meine Nase, als gäbe es kein Morgen. Während allerlei Körperflüssigkeiten das Weite suchen, muss ich mal dringend etwas trinken. Dieses Durcheinander von Fließrichtungen und Flüssigkeiten, mit denen man im echten Leben nicht viel zu tun haben möchte, geht mir auf den Wecker. Es hat etwas Embryonales, wo man unverkrampft sein Breichen futtert und gleichzeitig in die Windel kackt. Ich habe zu kämpfen.

Oli führt die nächsten 20 Kilometer und macht seine Sache besser. 41.6 km/h zeigt der GPS-Tacho jetzt im Schnitt. Trotzdem geht Marcus nach vorne, und es wird noch schneller. Ich fahre einige Minuten an meiner anaeroben Schwelle, um noch mitzukommen. Teils begeistert es mich, dass ich dazu überhaupt in der Lage bin. Teils macht es mich jedoch ein wenig fertig, denn das ist wirklich eine Scheißplackerei und wir haben noch nicht einmal die Hälfte geschafft.

Den nächsten Abschnitt, Ballerkilometer 40-60, geht es munter durcheinander, jeder überholt jeden. Wer sich gerade gut fühlt, macht das Tempo, die anderen fliegen in einem Abstand von 10-20 Meter hinterher. 40.7 km/h im Schnitt für dieses Segment.

Die letzte Teilstrecke, Ballerkilometer 60-80, führt Urs. 40.3 km/h fährt er durchschnittlich, eigentlich eine machbare Aufgabe. Doch wir sind bereits alle so paniert, dass er uns auf den letzten Kilometern davon fährt. Nächstes Jahr startet er in der M55. Da sieht man mal wieder: Einen alten Hasen darf man nie unterschätzen.

Insgesamt ergibt sich so ein Schnitt von 40.7 km/h für die 80 Kilometer. Damit sind wir alle zufrieden.

Unfassbar für uns Jungs ist die mentale Leistung von Sabine. Sie ballert die 80 Kilometer nämlich alleine, da heute keine gleich starke Trainingspartnerin da war. Unvorstellbar für mich. Yvonne fehlt uns.

Die Tankstelle, die wir traditionell nach getaner Arbeit für einen Zwischenstopp ansteuern, sieht uns in einem Zustand, für den selbst das Neandertal sich geschämt hätte. Verschwitzt, verklebt, verrotzt, verkrustet, von Mückenleichen verunstaltet, erschöpft und durchgevögelt sitzen wir debil grinsend auf dem Randstein und genießen kalte Cola wie einen Chateau Sage-Bavard Jahrgang 69. Nur schneller. Also viel schneller. Nach 10 Minuten trage ich mit Peter so viel Leergut zur ratlosen Tankwartin, dass der dafür vorgesehene Behälter, ein kniehoher Zementkübel, überquillt.

Den anschließenden Koppellauf durfte ich aufgrund familiärer Verpflichtungen schwänzen, werde aber morgen entsprechend nachsitzen.



Ist das, was wir hier machen, das schlauste Training der Welt?

Ganz gewiss nicht, wenn es auch nicht das schlechteste ist. Doch abseits aller Lehrbücher und Theorien lehrt es uns klassische Ausdauertugenden. Nämlich Selbsteinschätzung, also die Balance aus Bescheidenheit und Selbstvertrauen, sowie – bitte entschuldigt das altmodische Wort – die Tapferkeit, ohne die gute Rennen einfach nicht zu machen sind.
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