Der Trend geht ja vielerorts hin zum Neuartigen. Man erinnere sich an das neuartige Coronavirus 2019 oder auch die neuartige Zeckenart der Gattung Hyalomma mit gelb-braun gestreiften Beinen, die von Zugvögeln eingeschleppt wurde und ihre Beute aus bis zu 10 Metern Abstand erkennt.
Nun also die neuartigen mit Wasserpflanzen vergesellschafteten Blaualgen.
Diese tragen beunruhigende Namen wie Tychonema, Phormidium oder Microcoleus, was zumindest dem Klang nach ähnlich gefährlich erscheint wie Treponema pallidum und und eine Mischung aus Mykobakterium und E. coli.
Doch zurück in den See. Diese neuartigen fädigen Cyanobakterien können giftige Stoffe, darunter das Anatoxin A, welches auch bezeichnet wird als ein VFDF. Ach so, vermutlich ist das nicht allen geläufig: VFDF ist das Akronym für Very Fast Death Factor.
Anatoxin A ist ein Agonist des nikotinischen Acetylcholinrezeptors. Acetylcholinrezeptoren sind beispielsweise an der motorischen Endplatte periphärer Nerven zu finden und man muss weder Arzt noch Biochemiker sein um zu verstehen, dass die Bindung von Acetylcholin an den Rezeptor dazu führt, dass dieser durch entspechende Ionenströme aktiviert wird und die Zelle depolarisiert. Diese Erregung führt zur Bildung von Aktionspotentialen, was wiederum zur Kontraktion des von diesem Nerv innervierten Muskel führt. Während es nun bei der Aktivierung des Rezeptors durch den eigentlichen Liganden Acetylcholin nur zu einer kurzen Depolarisation der Zelle kommt, sorgt das Toxin für eine dauerhafte Konformationsänderung des Rezeptors, was letztendlich zum Funktionsverlust des Rezeptors.
Klinisch merkt das der Besitzer der jeweiligen Nervenzelle an einem Verlust seiner Kordinationsfähigkeit und durch die Dauererregung der motorischen Endplatten zu Krämpfen und letztendlich zu Atemstillstand.
In den Berliner Badegewässern fanden sich in den vergangenen Jahren neben anderen weniger toxischen Cyanobakterienstämmen auch immer wieder Kolonien der eben beschriebenen neuartigen mit Wasserpflanzen vergesellschafteten Blaualgen, wobei die einzigen sicher dokumentierten Todesopfer durchweg caniner Art waren.
Wer sich bis hierhin durch diesen Text gequält hat, herzlichen Glückwunsch, here comes the good news: der LD50-Wert für Mäuse lag bei 0.25 mg/kg Körpergewicht. Ich müsste also, zugrundegelegt mein Organismus funktioniert ganz ähnlich wie der einer Maus, satte 12.5 mg reinstes Blaualgentoxin zu mir nehmen, um mich in dieser Weise ins jenseits zu befördern.
Um die erforderliche Menge Toxin überhaupt zu sich nehmen zu können, wäre ein Bad im See nicht ausreichend. Man müsste schon ein oppulentes Mahl zu sich nehmen, bei dem Wasserpflanzen an Blaualgenjus gereicht werden, eine große Portion bitte.
Insofern: einfach beim Schwimmen Schnauze halten und auch nix durch die Nase schlucken, erst recht keine Pflanzen.
Ob man das Anatoxin A nicht möglicherweise antidotieren könnte mit Botulinumtoxin A, welches ja bekanntermaßen erregungshemmende Wirkung an der Synapse ausübt, ist eigentlich Gegenstand meiner aktuellen Forschung. Leider jedoch ist Botox aktuell nicht lieferbar, zumindest nicht jenseits des Schwarzmarktes, weswegen ich vermutlich sowohl runzlig als auch ohne Nobelpreis enden werde.
Die neueste Superlative der Wasserwelt ist übrigens in Guadeloupe zu bewundern.
Dort fand sich an verrottenden Mangrovenblättern das grösste Bakterium der Welt, welches auf den blumigen Namen Thiomargarita magnifica hört und mit bis zu 2 cm Grösse mit dem blossen Auge zu erkennen ist.
Anfangs fälschlicherweise für einen Pilz gehalten, hat das prächtige Megabakterien von den Forscher*innen der Science den Kandidatenstatus eines missing link der Evolution erhalten.