Seit ich mit P2 trainiere, habe ich mir auch einigen Aberglauben angewöhnt und unterhalte für mich zwei Halbgötter: 1. die Spargelkönigin, die all meine Geschäfts- und Familienbelange regelt und 2. den Grossen Kampfrichter, der sich um all meine Sport- und ausserfamiliären Privatbelange kümmert. Ab und zu verabreden sich die beiden auch im Universum, um sich abzustimmen (und mehr), und mir verschlüsselte Nachrichten zukommen zu lassen, die nur ich verstehe- oder auch nicht.
Der letzte Bon vor Feierabend am Sonnabend: Umsatz= Startnummer. Es ist einfach irre.
Ich hätte es wissen müssen: egal was ich mache, dieses Wochenende wird einfach alles laufen, egal wie sinnlos, masslos, überflüssig oder schwachsinnig es auch zu Anfang klingen mag. Begeistert schickte ich den Bon auch an P2, so recht geglaubt habe ich es aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Das Wochenende war eigentlich gut geplant. Obwohl ich nicht weit ausserhalb wohne und oft mit dem Rad in HH bin, hatte ich eine Übernachtung eingeplant, denn zwischen Startunterlagen (nur persönlich usw.) und dem Wettkampf fiel noch der Stammtisch des Triathlonclubs. "Prima", dachte ich, "da kann ich schön mit den anderen softes Carboloading machen". Der Laden wurde schon erwähnt und um der Wahrheit die Ehre zu geben: es darf gern mehr kosten, wenn es denn nur auch richtig schön viel besser ist, dafür dann aber lieber selten. Na ja, zunächst also auf der Messe die Unterlagen abgeholt und ehrlich erschrocken: Startblock D. Ursache dafür, wurde mir gleich klar, war, dass ich bei meiner Meldung in der guten alten Zeit 2019 für 2020 angegeben habe, 3:19:59 laufen zu wollen, ein damals durchaus realistisches Ziel, das ich seit dem längst vergessen und aus den Augen verloren hatte. Und keine Ahnung, wie es mit einem Wechsel des Startblocks aussieht. 2bc
Na ja, egal, bange machen gilt nicht, wir sehen uns morgen, fragen bringt hier eh nix, noch lockerer Bummel über die Messe usw., alles eingesammelt und später zum Stammtisch. Die Stimmung unter den anwesenden Starterinnen und Startern: eher zuversichtlich, eher defensiv. "Ich hatte Corona", sagten zwei, "Ich hatte Gürtelrose" sagte ich, "Darf ich Fleisch bestellen?" fragte meine schöne Nachbarin, "mach´ nur, wenn Du magst, ich bin raus", antwortete ich, wir einigten uns auf Amerikanische Nudelpfanne (ohne die Pute) und als wir dem Kellner unseren Sonderwunsch äusserten, fragte der, ob wir etwas anderes für die Pute wollten, nett gemeint, aber Tofu gab´s nicht, also einfach sensa tutti. Kommt also die Pfanne und ups, nur eine vegetarisch. Klar, das nette Angebot, wir kochen das nochmal, aber ich dann "nee, nehm´ ich", was auch sonst, hinterher essen geht ja nun gar nicht. Surprise, surprise, Pute finde ich eigentlich eher nicht so und selbstverständlich, hatte ich auch noch Wein, zu viel Wein eigentlich. Aber was soll ich machen? Die Damen charmant, der Hunger nach Kommunikation gross, die Vernunft gering. War halt so. Immerhin noch einigermassen zeitig im Bett und YEAH! Jackpot! Eine Einladung zum Frühstück bei P2, ebenfalls am Start, Porridge mit viel Obst und Nüssen, wunderbar, dazu noch 6 km vom Hotel und insofern lockeres Anschwitzen auf dem Rad vorm Start. Herrliches Frühstück, mit Mehralsgleichgesinnter, genau das richtige, top Timing, rechtzeitig an der Messe zum Start. 2bc
P2 hatte eine ganz andere Startzeit angegeben und ist auch so charakterlich ganz anders gestickt als ich. Seit der Entscheidung für den Marathon zieht sie gnadenlos und hochkonsequent den Plan ihres Trainers durch, hierzu habe ich schon vor Jahren hier mal geschrieben "Dazu bin ich aus charakterlichen Gründen nicht geeignet." Sie hatte also eine Zielzeit (bescheiden aber realistisch), ich nicht (mehr so richtig), sie hatte einen Matchplan (Negativsplit) und einen Startblock. Na gut, wird sich sicher gleich finden, mal sehen, und das mir, der ich eigentlich nichtmal eine Sportuhr habe, nur Apfel 6, auch gut, aber darauf kann ich ohne Brille gar nichts erkennen. OK, egal, P2 also in M abgeliefert und mache mich auf den Weg nach vorn zu D.
Also dann, auf dem Weg zu D, bei E, gucke ich über die Absperrung, wer steht da? Mein alter Kumpel, der postman, mein alter Sportbuddy seit vielen Jahren, mit dem ich auch im September in England war und hier und da, immer wieder, andauernd. "Ey Buddy, ist Quatsch, was soll ich da vorne, ich bleib hier bei Dir." Alles klar. So machen wir´s. Und gleich neben uns der Zugläufer für die 3:30 h.
Dauert nur wenige Sekunden, da erscheine eine schöne Frau, "Hallo postman", Küsschen links, rechts, "das ist Jan", bla bla bla, und ich so "Baby, was hast Du vor, wie schnell wirst Du laufen, wie wär´s mit einer lockeren Runde durch die Stadt, wir zwei", Ihr kennt das ja. "Joah, der Zugläufer, das haut hin", fand Jens auch gut, Mist, denke ich, das wird doch nichts, zu schnell, dazu der Wein, Du überzockst zum Start, wie ein Anfänger. Aber die Gesamtkonstellation verspricht Entertainment und das ist immer noch der Hauptantrieb, neben "Fit und beweglich ins Alter" (ein Ziel, das ich nach Meinung vieler Clubkameraden längst erreicht habe). Pläne? Zeitziele? Lächerlich. Alles gehabt. 2bc
Startschuss, Messe, Glacischaussee, alles eng, alles aufregend, Adrenalin satt, gucken, gucken, gucken, wo ist meine schöne Zugläuferin (aus technischen und Persönlichkeitsschutzgründen ab jetzt msZ), wo ist der Zugläufer, wo ist der postman? Alle da. Alles easy. Läuft an. Reeperbahn. Was für ein geiles Gefühl, oft befahren, mit Rad, mit Auto, Cyclassics, privat, etc. jetzt in den Nikes. Kurs West, Altona, Ottensen. Die Leute feiern, alles setzt sich, es gibt etwas Platz. Ich denke an Peter Greif und seine Lektionen ("Freilaufen, die blue line ist gut, aber nicht unbedingt das Optimum"). Kurz darauf befinde ich mich mit msZ vor dem Zugläufer. "Was soll das? Taktikwechsel?" - "Nein, da laufen zu viele, es ist zu eng." Na dann. Der Zugläufer im Rückspiegel, aber nicht weit, der postman, msZ, ich. Entspannt. Selbstgespräche. "Wie geht´s Dir, Jan?" Gürtelrose? Disbalance? Die alte Kniegeschichte? Nichts. Maximale Amplitude nach Westen, Wendepunkt in Othmarschen, chic und gediegen hier, viele Fans, Spass satt, dann auf die Elbchaussee und zurück Richtung Osten, erster Höhepunkt Landungsbrücken. Bis hierher trage ich über dem Clubeinteiler ein Funtionsshirt, das der gute alte Dude hier mal verscheuert hat, Triathlon Club NYC (den es gar nicht gibt), die Bedingungen sind heute top, wechselnd wolkig, nicht zu heiss, ein würdiger Abschied von dem Teil. Und tschüss. Ab jetzt leichteste Bekleidung, aber genau dafür habe ich sie. Was für ein Tag. Action. Und jede Menge Bekannte an der Strecke: Clubkameraden, Freunde usw., Triathlonszene. Die reinste Freude, ganzer Tag. Und der Track! Allerfeinstes Stadtmarketing. Sehenswürdigkeiten satt. Es nimmt kein Ende. Elphi, Speicherstadt, Wallringtunnel, Binnenalster, Kennedy, Kurs geht nach Norden. 2bc
Der Zugläufer? Weg. postman? Dito. msZ? An meiner Seite. Es kann mich härter treffen. Wie geht es mir? Keine Probleme. Kein Abweichen vom Tempo. Alle knapp fünf Minuten meldet sich Apfel 6, genannt Steve und sagt im Grunde immer das selbe: "Letzter Kilometer in 4:50 min!" Die Abweichungen sind lächerlich, jeder einzelne 5er Split lief knapp unter 25 min. Irre. Nie zu erhoffen gewagt. Wann platze ich? Das kann nicht gut gehen. Aussenalster, Winterhude, die Fuhli (brechend voll), überall Bands, die Hamburger sind froh, endlich wieder Leben in der Bude. Jede Menge Zickzack oben in Alsterdorf, dann endlich eine Brücke über den Fluss, so langsam erfolgt der Kurswechsel Richtung Süden, Eppendorf,
What´s on a mans mind
der Klosterstern. Da realisiere ich: es wird mir nichts mehr passieren. Ich werde durchlaufen, präzise wie eine Automaticuhr. Nach Klosterstern kommt Krugkoppelbrücke, Anglo German Club, Pöseldorf. Noch einmal trinken bei km 37,5, noch eine Banane bei km 40, nichts ... Doch! Als msZ einmal kurz vor mir ist, weht ihre Startnummer weg, sie merkt nichts. Ohne Nummer keine Zielzeit! Umdrehen, 10 m zurück gegen die Strömung, die Nummer einsammeln - arghhh! was für ein Schmerz, anhalten, bücken, dann alle Körner reinwerfen, um msZ einzuholen aber sie hat es so verdient für all die Arbeit und zum Dank kriege ich ein strahlendes Lächeln. Nun wird es doch noch mal knapp mit der Kraft, aber zu spät. Karo ahoi. Ziel erreicht in nie für möglich gehaltener Zeit. Dankbare Umarmung für msZ und yeah! Was für eine wunderbare Finishermedaille.
Was für ein arrogantes Shirt. Ganz weit vorn. Die Sights drauf, stilisiert, die Strecke auch und kein Zweifel: es gäbe noch viel mehr, was man einzeichnen könnte. Wunderbar. Und auf der Rückseite
das ist richtig gut, genau das ist Marathon. Arbeiten, km für km, immer weiter, immer ein Strich. Abgehakt. Abgehakt. Aber echt.
Zu Hause werde ich fürstlich bewirtet: Hirschfilet, gebratener Spargel, Salzkartoffeln, passener Wein. Herrlich. Nur angemessen für diesen Tag. Und früh ins Bett, total gar. Die Schmerzen, Euch allen bekannt, werden vergehen, was bleibt,... dafür trainieren wir. Nochmal Marathon? Wohl kaum. Zu viel Zeit, zu viel Schmerzen, zu lange Regeneration. Noch schneller, wozu? Kann das gesund sein? Ich glaube nicht. Ich bin dankbar, besonders Nadja Abdallah, die als Osteopathin so wunderbar meine Disbalance behandelt hat, meinem Club und seinem Lauftrainingsangebot, P2 für all die Zeit und das wunderbare Grundlagenausdauertraining und natürlich dem Grossen Kampfrichter, dafür, dass ich es kann und der Spargelkönigin, dass ich es mir leisten kann. Und klar, es wird weiter Sport geben, Ausdauersport, logo. Dieses Jahr starte ich natürlich auch noch: Dresden 70.3, Hölle von Q und Fördecrossing. Fit und beweglich ins Alter, immer noch. 3:27:05, ich frohlocke. 6 1/2 Jahre schrieb ich an diesem Blog. Das ist das Ergebnis. AK 59 von 549. Jeder Tag in den Schuhen hat sich gelohnt. Immer wieder. Aber gern was anderes.
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Regeneration im Triathlon
Einen knallharten Trainingsplan schreiben kann der Dümmste. Schneller macht hartes Training aber nur in einer Balance mit optimaler Regeneration.Im Studio: Arne Dyck
Durchbruch: Was wirklich schneller macht
Persönliche Tipps aus dem Training der Triathlon-Langstreckler Peter Weiss und Arne DyckWettkampfpacing Rad