Zeitlimit, Zeitlimit, Zeitlimit. Das ist mein Hauptgedanke am Abend vorm Wettkampf. Es muss einfach klappen, es wird keinen dritten Versuch geben. Im zarten Alter von 57, wann, wenn nicht jetzt? Und ich habe alles getan. Wirklich. Wettkampfbesprechung, Covid-Roules, Strecke leicht anders, aber alles irgendwie bekannt, bewährtes behalten. Die Abfahrt auf Kredit, einmalig in der Triathlonszene, auf der Reise nach T2 fährt man den Berg ja wieder hoch. Grosse Klasse, die Startnummern nach Nationen zu sortieren, so habe ich in T1 beim Einrichten nur deutsche Nachbarn und viel zu plaudern. Ich lerne weitere Hamburger kennen, mit und ohne Verein, Max wohnt in München, startet aber für einen Hamburger Club, es gibt viel zu erzählen. Den See kenne ich schon, das Kraftwerk, so herrlich klares Wasser, kühl. Und wie üblich liefere ich auch heuer gern wieder einen klassischen Anfängerfehler, warum nicht, 20 Jahre nach meinem ersten Wettkampf. Viel zu spät gehe ich zum einschwimmen, schlechte Position, dazu noch zu wenig Gewöhnung an das Wasser und was passiert? 20 min bekomme ich kaum Luft, muss stellenweise Brust schwimmen, denke mal wieder Zeitlimit, Zeitlimit, Zeitlimit und mache mir Sorgen. Aber irgendwann läuft´s, äh, schwimmt´s, die Zeit ist zwar unterirdisch, aber ich sitze im Sattel und alles ist gut, ganz anderes Gefühl als vor zwei Jahren. Ganz anderes Gefühl. Eine Stunde einfahren, dann der Aufstieg nach Alpe de Grand Serre, kein Problem, tanken, paar Gels und so, Abfahrt. Der Aufstieg nach Malissol, kein Problem, tanken, paar Gels und so, Abfahrt. Ornon, kein Problem. Und dann das Schlüsselerlebnis: an der Labestation, an der ich 2019 aufgab, bin ich so fit und so fahrgeil, ich verlange von den Volunteers - Sonnencreme! Eingecremt, getankt usw. - Action. Oisans, der Talort von Alpe d´Huez, geil, geil, geil. Mit einem Riesenrespekt fahre ich in den finalen Aufstieg, die berühmten 21 Kehren und - schon nach kurzer Zeit erreiche ich Kehre 21,
mit dem Schild für Lance Armstrong (Ihr könnt ihm alles nehmen, hier wird er für immer Etappensieger sein) und Fausto Coppi (der den schönen Kletterersatz prägte: "Iss nur soviel wie Du wirklich brauchst, den Rest schleppst Du den Berg hoch!"). Ich rechne: 13,2 km / 21 Kehren gibt kaum mehr als 600 m, die nächste Kehre ist also nie weit. Das hilft enorm. Und das Stevens läuft so leicht! Genau das richtige Rad für dieses Vorhaben. Meistens brauche ich noch nicht einmal das kleinste Ritzel, die Form ist top. Das macht noch selbstbewusster. Einmaliger Trip, ein Traum.
Was für ein Gefühl, im Sattel diesen Stein zu passieren!
Ab T2 grinse ich nur noch. Die drei Runden (knapp 20 km mit 320 hm) laufe ich, trotz für mich dünner Luft auf 1840 m, locker im 6er Schnitt. Fröhlich dauerfrohlockend laufe ich ins Ziel, dieses Mal mit meiner eigenen Alpe d´Huez-Finishermedaille. Keine war teurer, keine wurde härter erkämpft, wenn jetzt einer gekommen wäre und gesagt hätte: "Das war Dein letzter Wettkampf!", ich hätte mit keiner Wimper gezuckt. Heute will ich davon selbstverständlich nichts wissen! Kaum dass ich Shirt und Medaille habe, bin ich so gar, Essen ist nicht und auch an der göttlichen Tombola nehme ich nicht teil, ich will einfach nur ins Hotel, Badewanne.
Bis zur Siegesfeier bin ich aber wieder vollständig gesundet!
Vier Tage Frankreich für einen Triathlon, davon je einer für An- und Abreise. Macht das Sinn? Natürlich nicht. Aber sonst? Voll super! Unerreichbar. Einmalig. Und den Triathlon L von Alpe d´Huez lege ich Euch als einen der besten und spannendsten, von denen ich je gehört habe, ans Herz. Der Wahnsinn. Stolz. Grinsen, immer noch.