Zwischen Hölderlinturm und Kälberstelle
Bericht von der 5. Auflage des Triathlons in Tübingen
Tübingen ist geeignet, das ganze Spektrum an Meinungen herauszufordern. Die Stadt selbst, die omnipräsente Universität, die Landschaft, die Kulturszene, die Sprache, die sportliche Szenerie, und eben darin auch der Triathlon.
Nach allerlei üblen Ereignissen in Form der drei großen "P" (Pleiten, Pech und Pannen) bei der ersten Auflage, hatte ich das Orga-Team verlassen und war nur noch staunender (und bisweilen kopfschüttelnder) Beobachter, der seine Skepsis aus etlichen Beobachtungen sowie irritierten Berichten von Teilnehmern nährte. Die schlechte Wasserqualität des Neckars (mit üblen Folgen), nachlässige Streckenkennzeichnung (dadurch Fahrfehler), ein Namenssponsor mit bemerkenswerter "Eigendynamik" usw usf. Da war einiges... 2016 wurde in diesem Faden ja auch sehr lebhaft diskutiert und kritisiert. Dann 2017 das Theater um die Absage und spätere Doch-wieder-Zusage der Veranstaltung - mit neuem Veranstalter. Im 5. Jahr gibt's nun schon den dritten Veranstalter - das ist bemerkenswert in der deutschen Triathlon-Szene. Freunde von auswärts spotteten schon angesichts der Schwäbischen Selbstvermarktung.: "Wir können alles - außer Hochdeutsch." Wirklich? Triathlon auch?
Dennoch hatte ich in den Vorjahren zur Unterstützung von Freunden und Kollegen beim Auf- oder Abbau geholfen etc. Aber selbst teilnehmen??
Eher nicht.
Dabei kenne ich die Stadt und ihr Umfeld gut, gerade das Kopfsteinpflaster der Altstadt ist mir seit dem früheren Stadtlauf nur zu vertraut. Aber der Heimvorteil will nicht so recht zur Begeisterung führen. Dennoch war ich jedes Jahr an der Strecke, habe Fotos gemacht, Freunde aus den verschiedenen Startfeldern lebhaft angefeuert und mich mit ihnen über persönliche Erlebnisse und Erfolge gefreut.
Das alles hatte ich - neben einer hartnäckigen Fußverletzung sowie der Blutspende am Dienstag zuvor - im Hinterkopf, als ich
> hier gespostet hatte, nicht teilnehmen, sondern helfen zu wollen. Im Edit hatte ich aber auch erkennen lassen, warum ich spontan doch mit einem Start liebäugeln würde.
So geschah es. Ich besorge mir am Samstag noch eine Nachmeldung für die Sprint-Distanz (Nr. 974 war die Drittletzte, die noch ausgegeben wurde) und traf mich mit
"Speedskater", der nach mehrstündiger Autofahrt zum ersten mal in Tübingen angekommen war und mit seinem Start einen der wenigen weißen Flecken seiner persönlichen Triathlon-Landkarte bunt färben wollte.
Ob ich ihm eine kurze Stadt- und Streckenführung geben könnte, hatte er angefragt. Ja klar, gerne!
Und so schlendern wir durch die Altstadt zwischen Neckar samt Schwimmausstieg, Wechselzone und Laufrunden hin und her, setzen uns schließlich in einen Biergarten direkt am Neckarufer und beobachten, wie etliche Bundesliga-Starter zwischen Stocherkähnen und Tretbooten schon mal die Wassertemperatur und den Wasserstand testen. An etlichen Stellen ist das Wasser tatsächlich nur knapp hüfthoch... Aber die Schwimmtechnik, die Wasserlage... ein Augenschmaus!
Sonntag geht es dann los. Speedskater startet um 9 Uhr, ich erst halb 11. Bei 20° Wassertemperatur würfele ich innerlich, ob mit Neo oder ohne, auf 750 m... Ich würfele eine 6 und ziehe das Ding an. Wenig später ab ins Wasser in der Nähe des Hölderlin-Turmes, mehr gehend als schwimmend zur Startlinie unter der Eberhardsbrücke. Noch 30 Sekunden. Noch 10. Dann kommt der Hupton - LOS!!
Der Versuch, eher vorne weg zu schwimmen, um der Waschmaschine zu entgehen, scheitert kläglich. Noch nie hab ich derart viele Schläge, Hiebe und Tritte eingefangen wie diesmal. Zurückfallenlassen ging auch schlecht, denn die vielen Brustschwimmer verpassen mir doch manchen entschlossenen Tritt in die kurzen Rippen und den Hals. Kein Spaß - meine Laune ist unterirdisch bzw. unterhalb des Wasserpegels.
Also an den Rand des Feldes, locker bleiben, lange Züge, gleiten, irgendwie weiterschwimmen.
Neo aus, dabei das Klettband mit dem Chip geöffnet... und plötzlich entdeckt, dass der Chip weg ist. Panik!
Einen Meter weiter lag er dann... Puh! Ab auf's Rad, alles gut abgesperrt, langsam Fahrt aufnehmen. Macht Spaß, die leeren Hauptstraßen runter zu brettern, die sonst so voller Verkehr sind und wo ich die Radwege zu nutzen gewohnt bin. Ab Lustnau ziiieht es sich, immer so 1-2% aufwärts, man merkt es erst, wenn man versucht, voll mit Druck zufahren. Die letzten Km bis zum Wendepunkt an der "Kälberstelle" führt die Bundesstraße kurvig aufwärts, , so 4%. Ich freue mich schon auf den Rückweg. Doch da gibt es eine Überraschung: Die Regen- und Gewitterfront in der Nähe bietet im Nebenprogramm heftigen, böigen Gegenwind - bääh, ich bin doch nicht schon wieder in Hamburg!
Auf gleicher Strecke wieder zurück, ab in die Stadt, über den "Indianersteg" zurück auf die Plataneninsel, Rad abstellen, und die letzte, die zäheste Etappe in Angriff nehmen, über die Alleenbrücke, durch den Fußgängertunnel, die Ammergasse runter... und dann steil die Gasse hoch zum Rathaus. Der Kurs schlängelt sich um die Häuser der historischen Altstadt, rauf und runter, rechts, links. Da ist einiges dabei, was die Beine müde macht und die Lungen zum Keuchen bringt. Da kann ich die Erys zählen, die mir seit Dienstag fehlen... egal, weiter, weiter. Zwischendurch mal einen Becher Buffer und zwei mit Wasser schnappen (einen für den Kopf) - Junge, bleib locker!
Im Schlussspurt auf dem Blauen Teppich der Eberhardsbrücke greife ich mir noch mal einen vor mir, den ich "verdächtige", in meiner AK zu sein und den ich vorhin auf der Radstrecke nicht halten konnte. Am Zielbogen steht Daniel Unger, der mir grinsend die Hand zum Abklatschen hinhält, und dann bin ich durch. Bekomme eine wunderschöne Medaille mit dem Hölderlinturm als Motiv, an einem feinen rot-blauen Band... und dann will nur nur noch mein Erdinger. Na gut, hier gibt's Bitburger 0,0%, schmeckt auch sehr gut.
Ich genieße es, war ein tolles Erlebnis, jenseits der Zeiten. Bei den SEN6 geht es um andere Dinge als Zeiten und Plätze, dennoch freue ich mich über AK-Platz 3.
Später treffe ich noch Tübinger Freunde, gratuliere "Speedskater" zu einem starken Rennen auf der OD, und dann schauen wir gemeinsam den atemberaubenden Vorstellungen zu, die die Ladies und Männer der 1. Bundesliga am frühen Nachmittag abliefern. Wie die durch's Wasser pflügen - teilweise in langen, weiten Delfinsprüngen! WOW !!! Und wie sie einige Zeit später auf 2 Rädern die Mühlstraße runtergeflogen kommen, um in rasender Schnelle abzuspringen, zu wechseln und wieder die Mühlstraße hochzuhetzen...
Ich war da doch vorhin selbst, schnaufe in Gedanken noch... beim bloßen Zuschauen.
Großen RESPEKT allen Athlet*innen !!
Fazit der eigenen Premiere: Eine feine, absolut empfehlenswerte Veranstaltung mit reichlich Endorphinspektakel und Muskelkaterpotential! Die DTU ist erstmalig selbst als Veranstalter des Tübinger Triathlons aufgetreten, hat fast alles sehr gut gemacht. Einzige kleine Negativ-Fußnote: Die Ergebnislisten hängen erst sehr, sehr spät aus, niemand weiß Genaues über Sieger und Platzierte. Das ist teilweise immer noch so: Über 4 Tage nach Wende der Veranstaltung gibt es online bei mika:timing immer noch keine AK-Ergebnislisten. Und zum ersten Mal werden die ersten 3 aus den AKs nicht bei der Siegerehrung berücksichtigt. Das finden einige Agegrouper gar nicht so lustig; sie machen schließlich den überwiegenden Teil des Starterfeldes aus. Der anwesende DTU-Vertreter räumt das Versäumnis ein und gelobt Besserung für's nächste Jahr.
Vielleicht hat man da einfach doch etwas zu viel auf einmal gewollt: Die "Jedermann"-Wettbewerbe über die Schnupperdistanz, SD und die OD, dazu SD-Staffeln. 1. Bundesliga bei Männern und Frauen, Deutsche Betriebssportmeisterschaften ...
Und auch wichtig: es macht stets Spaß, mal Foris "live und in Farbe" kennenzulernen und gemeinsam in unserem faszinierenden Sport unterwegs zu sein. Schade, dass nicht mehr dabei waren...
Als ich zu Hause bin, kann ich neben den klassischen 4 Disziplinen und der 5. (Stadtführung) sowie 6. (genießen) und 7. (anfeuern!) noch eine achte erledigen: Rad flicken. Irgendwie hab ich mir nämlich einen schleichenden Platten geholt. Aber bis ins Ziel hab ich nichts gemerkt...
Und was habt IHR in Tübingen erlebt?