In der Sueddeutschen Zeitung erschien ein lesenswerter Kommentar zum ZeroCovid-Aufruf.
Nun ist die Forderung nach einem härteren, dafür kürzeren Lockdown per se nicht neu. Bereits im Dezember hatten europäische Wissenschaftler eine gemeinsame Strategie gefordert, um bis zum Frühjahr die Zahl der neuen Corona-Fälle auf zehn pro eine Million Menschen zu senken. Zu den Unterzeichnern gehörten der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité und Clemens Fuest, der Präsident des Münchner Ifo-Instituts. "Zero Covid" beruft sich ausdrücklich auf diese Initiative. Nun liegt die propagandistische Wirkung - man könnte auch sagen: ihr PR-Erfolg - von "Zero Covid" eben in der Null. Es soll nicht weniger Infektionen geben, sondern gar keine. Null ist null. Das jedoch ist reines Wunschdenken. Oder, um die taz zu zitieren, eine "halbtotalitäre Fantasie".
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Über diese Aussage können Fachleute diskutieren. Aber der PR-Effekt von "Zero Covid" wäre weg, würde man den Leuten sagen, dass die Null sowieso nicht zu erreichen ist. Der Duktus des Aufrufs ist deshalb ganz anders. Man wisse, "dass wir den Schutz unserer Gesundheit gegen kurzfristige Profitinteressen und große Teile der Politik erkämpfen müssen". Der Kampf gegen Corona als Form des Klassenkampfes - darauf muss man kommen. Das Neue Deutschland prägte in einem Bericht über "Zero Covid" dazu passend den schönen Begriff "kapitalistischer Seuchenstaat".
Der Aufruf ist wie schon von vielen Seiten (auch Drosten und Kekulé haben sich in ihren jeweiligen Podcasts kritisch dazu geäußert) kritisiert worden. Der Inhalt und Duktus entspricht einem Flyer der "Interventionistischen Linken" am 1. Mai. Ein paar schön klingende Forderungen und schillernde Wärter ("Solidarität"), dazu allerdings eine moderne Homepage und die Anlehnung an das Priesmann-et-al-Paper aus dem Dezember. Zack, fertig: ideales Propaganda-Material.
Der SZ-Kommentar schließt deshalb passenderweise mit folgender Frage:
Ob wohl alle Erstunterzeichner vorher gelesen haben, wofür sie ihren Namen hergeben?
Allerdings würde ich tatsächlich fast davon ausgehen, dass die meisten ihn gelesen haben, denn der Kreis besteht hauptsächlich aus linken Aktivist:innen und Influencern.