gemeinsam zwiften | youtube | forum heute
4 Radtage Südbaden
4 Radtage Südbaden
Keine Flugreise
Deutschlands wärmste Gegend
Kilometer sammeln vor den Wettkämpfen
Traumhafte Trainingsstrecken
Training auf dem eigenen Rad
09.-12.05.2024
EUR 199,-
triathlon-szene.de | Europas aktivstes Triathlon Forum - Einzelnen Beitrag anzeigen - Tour de France 2020
Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 25.09.2020, 09:02   #444
Helmut S
Szenekenner
 
Registriert seit: 30.10.2006
Beiträge: 8.894
Guten Morgen!

Zitat:
Zitat von Hafu Beitrag anzeigen
...

Meine Intention war nicht den Einzelfallthread aufzuwärmen. Es ging mir darum, darzulegen, dass die Unschuldsvermutung nicht ein, wie du schreibst, "[...] ein für den Bereich des Strafrechtes (und nicht des Sportrechtes) reservierter juristischer Begriff. [...]" ist, sondern viel mehr. Die Reduktion auf "reservierten Begriff im Strafrecht" könnte ggf insofern in die Irre führen, dass man meinen könnte, im Dopingverfahren würde es nicht um Beweise und Schuldfeststellung gehen bevor man bestraft.

Vorangegangen war die Bemerkung von Körbel, dass Pogacar "[... ]Also unschuldig und zu Recht Sieger." sei. Darauf hin hast du mit dem o.g. Zitat geantwortet. Süffisanter Weise hast du auch das "unschuldig" noch weggelassen.

Zunächst scheint mir wichtig, dass wir Fundamentales klären: Die Unschuldsvermutung ist ein Rechtsprinzip das uns aus dem finsteren Mittelalter der Inquisition, der Folterung und der Hexenverbrennung in eine moderne Rechtsstaatlichkeit geführt hat. Das ist so essentiell, dass es in der Menschenrechtserklärung der vereinten Nationen niedergeschrieben ist. Auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention findet man sie explizit ausformuliert. Diesem Grundprinzip kann sich kein Rechtssubjekt von sich aus entziehen.

Die Operationalisierung in den verschiedenen Kontexten ist hier also die Verbindung dieses Prinzips hin zu konkreten Rechtsnormen in der Realität. Explizit ausformuliert findet man im die Unschuldsvermutung deshalb aber nirgends. In D ist sie nach einhelliger Meinung aus dem Rechtsstaatlichkeitsprinzip (GG) herleitbar. Sie ist deshalb auch nicht wie du schreibst "[...] für den Bereich des Strafrechtes [...] reservierter Begriff"

Ich hatte in meinem Beitrag bereits erläutert, dass es Ausnahmen dieser Operationalisierung gibt. Z.B. bei der Gefahrenabwehr. Auch kann z.B. jemand in Untersuchungshaft genommen werden, ohne dass gerichtlich eine Schuld festgestellt wurde. In dem Fall gilt die Unschuldsvermutung für diesen Akt nicht. Dein Beispiel mit dem "Blitzer" ist allerdings falsch. Nachdem man geblitzt wurde, gilt man als "Beschuldigter" - nicht als Schuldiger. Das ist ein Unterschied. Man erhält einen Anhörungsbogen, in dem man zur Sache Stellung nehmen kann. Man erkennt das schon an der Überschrift "Anhörungsbogen als Beschuldigter". Man kann es zugeben und bezahlen, dann ist es vom Tisch. Tut man das nicht, kann es nach Einspruch usw. zu einer Hauptverhandlung und einer Verurteilung kommen, sofern Beweise vorliegen. Letztlich muss man auch nicht dem Polizisten erklären, dass man der auf dem Foto nicht ist, sondern ggf. dem Richter.

Was hat das nun mit Sportrecht zu tun? Nun: Der Staat hat ein Gewaltmonopol. Verbände oder Vereine (im übrigen auch Privatpersonen) dürfen Gewalt nur durch Delegation oder staatliche Ermächtigung ausführen. Sie haben sich dabei aber an die normativen Vorgaben (i.W.S. Gesetze) des Staates zu halten. Beispiel: Wenn ein Sportverband in D als Strafe bei Dopingvergehen 100 Peitschenhiebe einführen würde, wäre das nicht zulässig. Sehr wohl kann aber eine Sperre als Sanktion eingeführt werden. Das widerspricht dem zugrunde liegenden Staatsrecht nicht. Das meine ich, wenn ich schreibe: Das Sportrecht findet im Kontext der vom Staat gesetzten Normen statt. Deshalb gilt die Unschuldsvermutung auch im Sportrecht. Genauer: Wenn es zu schiedsgerichtlichen Verhandlungen kommt, muss dem Beschuldigten nachgewiesen werden, dass er gedopt hat. Würde das Unschuldsprinzip hier nicht gelten, könnte man Sportler verurteilen, von denen man glaubt, dass sie gedopt haben. Früher verbrannte man Hexen, von denen man (meist der Inquisitor) glaubte, dass sie mit dem Teufel im Bunde stehen.

Wie dieses "Beweisen" im Einzelnen geschieht, steht auf einem anderen Blatt. Deine Einlassungen zum Anscheinsbeweis fallen in in den Themenbereich. Allerdings ist der Anscheinsbeweis kein quantitatives Kriterium o.ä. wie du schreibst "[...]wenn wesentlich mehr für die Schuld eines Beschuldigten als für seine Unschuld spricht[...]" sondern im Grunde ein Schlußverfahren von bewiesenen Tatsachen auf nicht bewiesene Tatsachen. Es ist ein Verfahren zur Erleichterung in der Beweisführung. Um einen Anscheinsbeweis zu entkräften muss man im Übrigen auch nicht das Gegenteil beweisen, sondern nur, dass auch ein anderer logischer Schluß möglich wäre. Das Gericht kann das dann würdigen oder nicht. Auch in Schiedsgerichtverfahren gilt nämlich das Prinzip des "Beweismaßes" (wann darf der Richter etwas als wahr annehmen). Eine mögliche Erklärung, dass mir Ausserirdische über Nacht unbemerkt aus Spaß Epo injeziert haben, erfüllt diesen Anspruch nicht. Mit dem Rechtsgrundsatz "in dubio pro reo" hat das allerdings überhaupt nichts zu tun wie du intendierst.

Körbel hat also in diesem Sinne völlig recht, wenn er sagt Pogacar ist unschuldig. Es gibt weder Beweise, noch ein Verfahren oder gar ein Urteil oder Sanktionen.

Ob Pogacar verdächtig ist, ist eine andere Frage. Die ist spannend zu diskutieren und deine kompetenten Ausführungen hierzu stimme ich nahezu zu 100% zu. Wenn du nach deren Reflektion für dich eine moralische Schuld von Pogacar (oder wem auch immer) feststellt ist das auch in Ordnung meine ich. Es bleibt aber letztlich dabei, dass er - wie Körbel sagt - sportrechtlich unschuldig ist und deshalb auch keine Sanktionen möglich sind.

Wenn wir hier also über die Tour de France 2020 und deren Sieger sprechen, dann ist es selbstverständlich on-topic, wenn man die Leistungen kritisch hinterfragt und einen Verdacht formuliert. Eine "Brandmarkung" als "schuldig" halte ich aber aus o.g. Gründen für falsch. Eine Etikettierung seiner Leistung als "verdächtig" und auch die öffentliche Diskussion darüber halte ich für richtig.

Helmut S ist gerade online   Mit Zitat antworten