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Alt 24.08.2018, 12:09   #62
Klugschnacker
Arne Dyck
triathlon-szene
Coach
 
Benutzerbild von Klugschnacker
 
Registriert seit: 16.09.2006
Ort: Freiburg
Beiträge: 22.917
Hallo allerseits!

Übermorgen startet der Ironman Vichy. Ich werde nicht starten.

Ich bin ganz gut in Form, habe mein Training absolviert, und auch das Gewicht stimmt. Tatsächlich war ich zuletzt während meines Zivildienstes so leicht. Das war um das Jahr 1741, zumindest ungefähr.

Ich bin vor etwa 5 Wochen seelisch in ein Loch gefallen. Unerwartet, was den Zeitpunkt und die Heftigkeit betrifft. Das Training hat mich ab diesem Moment nicht mehr interessiert. Ich habe dennoch weiter trainiert, ein hartes Programm wie immer, zusammen mit meinen Freunden Urs, Sabine und Peter. Das wird schon wieder, dachte ich mir. Wurde es aber nicht.

Triathlontraining ist hart und fordernd. Ich kann mehrere Stunden 40km/h fahren, wenn ich weiß, warum ich das mache. Je härter es wird, desto berauschender und befriedigender kann ich das empfinden, desto glücklicher macht die Erschöpfung. Jeder von Euch kennt das. Aber wenn man nicht weiß oder nicht spürt, warum man das macht, ist es eine ganz andere Sache. Es ist sinnlos anstrengend, und es gibt Dir nichts zurück.

Ich habe dennoch weiter trainiert. Immer wieder raus zum See, 3km schwimmen, dann das Rad aus dem Kofferraum, kurbeln, danach ein Koppellauf oder auch nicht. Unterwegs Gespräche mit den Kumpels, Scherze, nette Sticheleien, erwartungsvolle Erörterungen über über die Form und den nahenden Renntag. Ein unsichtbarer schwarzer Rabe stets auf meiner Schulter, der mir beim Schauspielern zuschaut. Und dazu die ständige Hoffnung, die verdammte sinnlose Trainingseinheit oder der Trainingstag möge bitte bald vorbei sein, und gleichzeitig die Angst davor, dass er vorbei ist, und ich mit dem Raben alleine bin.

Am letzten Sonntag, vor fünf Tagen, habe ich meinem Freund und Trainingspartner Urs gesagt, dass ich nicht nach Vichy mitkommen werde. Das war schwer. Für uns beide. Ein Jahr lang haben wir uns gemeinsam vorbereitet. Er hat mich zuerst nicht verstanden. „Eine Zeit unter 10 Stunden schaffst Du doch auch ohne voll bei der Sache zu sein, und dafür lohnt es sich doch!“ sagte er. Damit hat er recht, doch es trifft nicht den Punkt. Es ist nicht wie bei einer mäßigen körperlichen Form, wo man mit Willenskraft doch noch etwas erreichen kann, und anschließend glücklich ist. Was mir gerade fehlt ist der Wille. Ich war immer ein Wettkampftyp, ein Racer, der im Rennen seine besten Leistungen abruft. Aber im Moment bin ich das nicht. Außerdem fehlt mir die Fähigkeit, Glück zu empfinden. So geht das nicht.

Bevor Ihr fragt: Ja, ich war beim Doc und habe Unterstützung gesucht und erhalten. Das hat geholfen.

Was nervt ist, dass man sehr häufig und reflexartig, wenn man mit Freunden oder Bekannten spricht, eine angebliche Midlife-Crisis diagnostiziert bekommt. Ein Freund brachte mich so weit, dass ich mir schließlich das Buch kaufte „Wer bin ich? Wohin gehe ich? Und mit wem?“ von Jorge Bucay.

Ich habe es gelesen. Aber das ist totaler Quatsch, zumindest für mich. Ich weiß, wer ich bin. Ich weiß nicht genau, wohin ich gehe, aber immerhin, wohin ich gehen möchte. Wer weiß schon, was die Zukunft bringt? Und ich weiß, mit wem ich gehen will.


Wie jetzt weiter? Zunächst einmal tut es gut, am Sonntag kein Rennen über die Langdistanz bestehen zu müssen. Bestehen meint: Mich vor meine eigenen Ansprüchen zu bewähren. Es tut gut, das gegenüber Urs, Sabine und Peter ausgesprochen und damit besiegelt zu haben. Urs und Sabine sind heute bereits in Frankreich, und ich werde ihnen am Sonntag von Herzen die Daumen drücken. Ich bin sicher, Urs wird am Samstag eine SMS schreiben, ich solle doch noch schnell kommen. Peter rockt eine Woche später in Zofingen. Danke, dass Ihr für mich da wart.


„Krisen sind die Wachstumsphasen der Liebe“ las ich einmal in eine Buch, in dem es um die Liebe zwischen zwei Menschen geht. Vielleicht gilt das ja auch für mich persönlich. Vielleicht kann ich daran wachsen. Oder weniger feierlich formuliert: Für irgendwas muss der Scheiß ja gut sein (Rabe: „Nö, muss er nicht“). Ihr seht, ich mache schon wieder schlechte Witze, also geht es bergauf.


In Erinnerung wird mir ein Schwimmtraining der letzten Wochen bleiben. Allein draußen im See. Die Sonne ist schon weg, es wird dunkel, der Sommerwind wühlt auf dem Wasser, als ich immer weiter hinaus kraule. Wie rau und ungestüm und feindlich das Wasser ist, dort an der Oberfläche, wo man Luft holt. Wo es nur zwei Richtungen gibt die zählen, oben oder unten, zwei Zustände, atmen oder nichtatmen, festhalten oder loslassen, kämpfen oder aufgeben. Und nur wenige Zentimeter darunter: Der dunkle See, das ruhige, tiefe Wasser, schwarz und still, ohne Richtungen und Horizonte. Wie das lockt. Schön wie der Schlaf. Ich kraulte an Land und stand noch lange am Ufer.
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