Zur Zeit dreht sich die Diskussion in der Öffentlichkeit ja bereits darum, wieweit wir öffnen können und welche Inzidenzzahlen angesichts erster, durchaus statistisch messbarer Impferfolge aktuell gerade noch vertretbar sind.
V.a NRW in Form von Laschet und Gesundheitsminister Laumann spielen da (IMHO) eine hoch problematische Rolle und weigern sich, die in den Öffnungsplänen vorgesehene Notbremse zu ziehen.
Ihre Hauptargumente: die Inzidenzen steigen derzeit v.a. wegen der Ausweitung der Schnelltests (d.h. einer sinkenden Dunkelziffer, weil man jetzt mehr Infekte erfasst). Das zweite Argument, ist, dass die Risikogruppen bereits geimpft seien, so dass man aktuell höhere Inzidenzen akzeptieren könne.
Beides klingt auf den ersten Blick logisch, aber beide Argumente haben erhebliche Schwächen. Die Erhöhung der Zahlen aktuell hängen fast ausschließlich mit dem erhöhten R-Wert der B1.1.7-Mutante zusammen und diese dritte Welle wurde von allen seriösen Modellierungen so vorhergesehen. Mittlerweile ist die Mutante B1.1.7, die vor zwei Wochen noch weniger als 50% der Covid-19-Fälle ausgemacht hat, bereits auf 75% angestiegen. Alle positiven Fälle bei uns in der Klinik (Mittlerweile 5 Patienten und zwei Mitarbeiter alleine in den letzten zwei Wochen) sind auf die Mutante zurückzuführen.
Auch der Verweis auf geimpfte Risikogruppen ist hochproblematisch, denn große Teile der Risikogruppen sind noch komplett ungeimpft und die Mehrzahl der Geimpften haben erst eine Impfung erhalten und verfügen daher nur über einen eingeschränkten Schutz.
Und dann muss ich hier noch eine Geschichte erzählen, die mir meine Frau gestern zugetragen hat.
Inzidenzzahlen und Mortalitätsziffern auf irgendwelchen Dashboards des RKI oder auf worldometer sind eine Sache. Dahinter stecken aber immer auch Schicksale.
Ein Schüler einer Kollegin meiner Frau (2.Klasse) fehlte gestern entschuldigt beim Wechselunterricht. Sein Vater (44J) ist am WE überraschend verstorben, beim Kartenspiel mit seinem Sohn.
Der Vater war vor 4 Wochen covid-19-positiv getestet worden, hatte einen eher milden Verlauf und musste nie ins Krankenhaus. Er hatte Übergewicht, ansonsten wusste meine Frau von keinen Hintergründen wie z.B. weiteren Risikofaktoren. So ein plötzlicher Todesfall aus scheinbarem Wohlbefinden heraus ist in der Regel plötzlicher Herztod (durch Kammerflimmern) oder eine Lungenembolie bei unerkannter tiefer Venenthrombose. Beide Zustände kommen nachweisbar massiv gehäuft im Zusammenhang mit covid-19 vor. Es ist schwer vorstellbar, dass es bei einem plötzlichen Todesfall in diesem Alter keinerlei Zusammenhang zu dem kürzlich durchgemachten Infekt gibt und ich musste an eine Coronavirus-Update-Folge vom Oktober 2020 denken:
Zitat:
...Anja Martini:...wir schützen nur Risikogruppen und wir schützen nur die Älteren, um dann den Jungen die Möglichkeit zu geben, einfach ihr Leben fortzuführen, das zu machen, was sie eigent-lich immer tun. Dieser Brief hat mittlerweile relativ viele Unterschriften bekommen. Und das Ziel ist, am Ende eine höhere Herdenimmunität hinzukriegen. Ist das überhaupt machbar?
Christian Drosten:Es gibt zwei Dinge, die gegen diese Idee sprechen....wenn man diese Erkrankung in den jüngeren Altersgruppen durchlaufen lassen würde, das würde dazu führen, dass wir ganz viele Infektionen auch in diesen jüngeren Altersgruppen auf einmal hätten. Wir haben hier eine Pandemie vor uns. Wir sind immunologisch nicht geschützt gegen dieses Virus. Und dann sind die Anteile von Risikopatienten in diesen jüngeren Altersgruppen so hoch, dass wir auch da wieder an die Belastungsgrenze der Medizin kämen. Wir hätten hier auch einen anderen Typ von Patienten, der gesellschaftlich noch mal ganz anders wahrgenommen werden würde. Da würden junge Familien auch den Familienvater verlieren oder auch die Mutter. Das ist einfach noch mal eine ganz andere Konsequenz. Und das kann man einfach so nicht durchlaufen lassen.
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Diese Podcast-Episode war plötzlich vor meinem inneren Auge. Und im Gegensatz zu Drostens Überzeugung "Das kann man einfach so nicht durchlaufen lassen", haben sich Teile von Deutschland offensichtlich durchaus (vermutlich ohne sich der vollen Konsequenz ihrer Entscheidung bewusst zu sein) dazu entschlossen, die Pandemie so durchlaufen zu lassen und den Verlust von einzelnen Familienvätern (und -müttern) aus bestimmten Risikogruipen gesellschaftlich in Kauf zu nehmen