![]() |
Erich Mühsam:
Dämmerung
Traurig ist's und jämmerlicht, Wenn der Mensch im Dämmerlicht Früh den Weg nach Hause sucht Und dabei die Welt verflucht. Aus dem grauen Pflasterstein Grinst Verzweiflung, Laster, Pein, Und vom schwanken Lampenpfahl Flackert Aberwitz und Qual. In des Menschen bangem Leid Stöbert die Vergangenheit – Und er steigt voll Scham und Schmach Einer späten Hure nach. |
Ringelnatz:
Überall
Überall ist Wunderland Überall ist Leben Bei meiner Tante im Strumpfenband wie irgendwo daneben. Überall ist Dunkelheit Kinder werden Väter. Fünf Minuten später stirbt sich was für einige Zeit. Überall ist Ewigkeit. Wenn Du einen Schneck behauchst Schrumpft er ins Gehäuse, Wenn Du ihn in Kognak tauchst, Sieht er weiße Mäuse. |
Ludwig Thoma:
Kompromissler
Das Prinzip in seiner Brust, Tritt der liberale Streiter Vor den Kanzler froh und heiter Und auch stolz und selbstbewußt. Wie er steht im hohen Saal, Schaut er in die Gnadensonne, Und er fühlt mit stiller Wonne Ihren holden Wärmestrahl. Bei der seltnen Götterkost, Die ihm Adelige bieten, Lockern sich des Herzens Nieten, Taut der liberale Frost. Selig lächelnd fällt er um. Und in seiner Busentasche Schmilzt zur pulverigen Asche Müller’n sein Prinzipium. |
Erich Kästner:
Moralische Anatomie
Da hat mir plötzlich und mitten im Bett Eine Studentin der Jurisprudenz erklärt: Jungfernschaft sei, möglicherweise, ganz nett, besäße aber kaum noch Sammlerwert. Ich weiß natürlich, daß sie nicht log. Weder als sie das sagte, noch als sie sich kenntnisreich rückwärts bog und nach meinem Befinden fragte. Sie hatte nur Angst vor dem Kind. Manchmal besucht sie mich noch. An der Stelle, wo andre moralisch sind, da ist bei ihr ein Loch ... |
Joachim Ringelnatz:
Lampe und Spiegel
„Sie faule, verbummelte Schlampe!“ sagte der Spiegel zur Lampe. „Sie altes, schmieriges Scherbenstück!“ gab die Lampe dem Spiegel zurück. Der Spiegel in seiner Erbitterung bekam einen ganz gewaltigen Sprung. Der zornigen Lampe verging die Puste: Sie fauchte, rauchte, schwelte und ruste. Das Stubenmädchen ließ beide in Ruhe und doch – man schob ihr die Schuld in die Schuhe. |
Karl Kraus:
Vergleichende Erotik
So wird das Wunderbild der Venus fertig: Ich nehm hier ein Aug, dort einen Mund, hier eine Nase, dort der Brauen Rund. Es wird Vergangenes mir gegenwärtig. Hier weht ein Duft, der längst verweht und weit, hier klingt ein Ton, der längst im Grab verklungen. Und leben wird durch meine Lebenszeit Das Venusbild, das meinem Kopf entsprungen. |
Robert Gernhardt:
Vom Leben
Dein Leben ist dir nur geliehn – du sollst nicht daraus Vorteil ziehn. Du sollst es ganz dem andern weihn – und der kannst nicht du selber sein. Der andere, das bin ich mein Lieber – nu komm schon mit den Kohlen rüber. |
Wilhelm Busch:
Die Schnecken
Rötlich schimmert es im Westen Und der laute Tag verklingt, Nur das auf den höchsten Ästen Lieblich noch die Drossel singt. Jetzt in dicht belaubten Hecken, Wo es still verborgen blieb, Rüstet sich das Volk der Schnecken Für den nächtlichen Betrieb. |
| Alle Zeitangaben in WEZ +2. Es ist jetzt 01:19 Uhr. |
Powered by vBulletin Version 3.6.1 (Deutsch)
Copyright ©2000 - 2025, Jelsoft Enterprises Ltd.