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the grip 03.11.2013 12:00

Erich Mühsam:
 
Dämmerung

Traurig ist's und jämmerlicht,
Wenn der Mensch im Dämmerlicht
Früh den Weg nach Hause sucht
Und dabei die Welt verflucht.

Aus dem grauen Pflasterstein
Grinst Verzweiflung, Laster, Pein,
Und vom schwanken Lampenpfahl
Flackert Aberwitz und Qual.

In des Menschen bangem Leid
Stöbert die Vergangenheit –
Und er steigt voll Scham und Schmach
Einer späten Hure nach.

the grip 05.11.2013 10:42

Ringelnatz:
 
Überall

Überall ist Wunderland
Überall ist Leben
Bei meiner Tante im Strumpfenband
wie irgendwo daneben.
Überall ist Dunkelheit
Kinder werden Väter.
Fünf Minuten später
stirbt sich was für einige Zeit.
Überall ist Ewigkeit.

Wenn Du einen Schneck behauchst
Schrumpft er ins Gehäuse,
Wenn Du ihn in Kognak tauchst,
Sieht er weiße Mäuse.

the grip 07.11.2013 11:39

Ludwig Thoma:
 
Kompromissler

Das Prinzip in seiner Brust,
Tritt der liberale Streiter
Vor den Kanzler froh und heiter
Und auch stolz und selbstbewußt.

Wie er steht im hohen Saal,
Schaut er in die Gnadensonne,
Und er fühlt mit stiller Wonne
Ihren holden Wärmestrahl.

Bei der seltnen Götterkost,
Die ihm Adelige bieten,
Lockern sich des Herzens Nieten,
Taut der liberale Frost.

Selig lächelnd fällt er um.
Und in seiner Busentasche
Schmilzt zur pulverigen Asche
Müller’n sein Prinzipium.

the grip 10.11.2013 13:14

Erich Kästner:
 
Moralische Anatomie

Da hat mir plötzlich und mitten im Bett
Eine Studentin der Jurisprudenz erklärt:
Jungfernschaft sei, möglicherweise, ganz nett,
besäße aber kaum noch Sammlerwert.

Ich weiß natürlich, daß sie nicht log.
Weder als sie das sagte,
noch als sie sich kenntnisreich rückwärts bog
und nach meinem Befinden fragte.

Sie hatte nur Angst vor dem Kind.
Manchmal besucht sie mich noch.
An der Stelle, wo andre moralisch sind,
da ist bei ihr ein Loch ...

the grip 12.11.2013 09:58

Joachim Ringelnatz:
 
Lampe und Spiegel

„Sie faule, verbummelte Schlampe!“
sagte der Spiegel zur Lampe.
„Sie altes, schmieriges Scherbenstück!“
gab die Lampe dem Spiegel zurück.

Der Spiegel in seiner Erbitterung
bekam einen ganz gewaltigen Sprung.
Der zornigen Lampe verging die Puste:
Sie fauchte, rauchte, schwelte und ruste.

Das Stubenmädchen ließ beide in Ruhe
und doch – man schob ihr die Schuld in die Schuhe.

the grip 14.11.2013 11:03

Karl Kraus:
 
Vergleichende Erotik

So wird das Wunderbild der Venus fertig:
Ich nehm hier ein Aug, dort einen Mund,
hier eine Nase, dort der Brauen Rund.
Es wird Vergangenes mir gegenwärtig.

Hier weht ein Duft, der längst verweht und weit,
hier klingt ein Ton, der längst im Grab verklungen.
Und leben wird durch meine Lebenszeit
Das Venusbild, das meinem Kopf entsprungen.

the grip 17.11.2013 10:59

Robert Gernhardt:
 
Vom Leben

Dein Leben ist dir nur geliehn –
du sollst nicht daraus Vorteil ziehn.

Du sollst es ganz dem andern weihn –
und der kannst nicht du selber sein.

Der andere, das bin ich mein Lieber –
nu komm schon mit den Kohlen rüber.

the grip 19.11.2013 10:11

Wilhelm Busch:
 
Die Schnecken

Rötlich schimmert es im Westen
Und der laute Tag verklingt,
Nur das auf den höchsten Ästen
Lieblich noch die Drossel singt.

Jetzt in dicht belaubten Hecken,
Wo es still verborgen blieb,
Rüstet sich das Volk der Schnecken
Für den nächtlichen Betrieb.


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