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Ringelnatz:
Ich bin das Riesenkrokodil.
Meine Großmutter war ein Drachen. Ich verschlucke, wenn ich will, Einen Esel und noch größere Sachen. Ich liege oft tausende Jahre still Und klappere dann mit den Zähnen. Ich bin das Riesenkrokodil. Ich kann entsetzlich gähnen. Klapp klapp Schnapp schnapp Uohahhh … |
Christian Morgenstern:
Unter Zeiten
Das Perfekt und das Imperfekt tranken Sekt. Sie stießen aufs Futurum an (was man wohl gelten lassen kann). Plusquamper und Exaktfutur blinzten nur. |
Heinrich Heine:
Mir träumt‘: ich bin der liebe Gott,
Und sitz im Himmel droben, Und Englein sitzen um mich her, Die meine Verse loben. Und Kuchen ess ich und Konfekt Für manchen lieben Gulden, Und Kardinal trink ich dabei, Und habe keinen Schulden. Doch Langeweile plagt mich sehr, Ich wollt, ich wär auf Erden, Und wär ich nicht der liebe Gott, Ich könnt des Teufels werden. |
Hermann Hesse:
Ich liebe Frauen –
Ich liebe Frauen, die vor tausend Jahren Geliebt von Dichtern und besungen waren. Ich liebe Städte, deren leere Mauern Königsgeschlechter alter Zeiten betrauern. Ich liebe Städte, die erstehen werden, Wenn niemand mehr von heute lebt auf Erden. Ich liebe Frauen – schlanke, wunderbare, Die ungehorsam ruhn im Schoß der Jahre. Sie werden einst mit ihrer sternenbleichen Schönheit der Schönheit meiner Träume gleichen |
Wolf Wondratschek
Poesie ist Erinnerung
An all die Liebenden, die sich Nach dem Tode sehnten und weiterlebten. Und wenn sie endlich sterben, wird es zu spät sein für jeden von uns. |
Frank Wedekind:
Auf dem Faulbett
Auf mein Faulbett hingestreckt Überdenk ich so meine Tage, Forschend, was wohl dahintersteckt, Dass ich nur immer klage. Ich habe zu essen, ich habe Tabak, Ich lebe in jeder Sphäre, Ich liebe je nach meinem Geschmack Blaustrumpf oder Hetäre. Die sexuelle Psychopathie, Ich habe sie längst überwunden - Und dennoch, ich vergess es nie, Es waren doch schöne Stunden. |
Wilhelm Busch:
Lebenslauf
Mein Lebenslauf ist bald erzählt. – In stiller Ewigkeit verloren Schlief ich, und nichts hat mir gefehlt, Bis daß ich sichtbar ward geboren. Was aber nur? – Auf schwachen Krücken, Ein leichtes Bündel auf dem Rücken, Bin ich getrost dahingeholpert, Bin über manchen Stein gestolpert, Mitunter grad, mitunter krumm, Und schließlich mußt ich mich verschnaufen. Bedenklich rieb ich meine Glatze Und sah mich in der Gegend um. Oweh! Ich war im Kreis gelaufen, Stand wiederum am alten Platze, Und vor mir dehnt sich lang und breit, Wie ehedem, die Ewigkeit. |
Robert Gernhardt:
Als er sich mit vierzig im Spiegel sah
Seht mich an: der Fuß der Zeit trat mir meine Wangen breit. Schaut mein Ohr! Die vielen Jahre drehten es in’s Sonderbare! Ach des Kinns! Es scheint zu fliehn, will die Lippen nach sich ziehn! Ach der Stirn! Die vielen Falten drohen mir den Kopf zu spalten! Die Nase! O, wie vorgezogen! Der Mund! So seltsam eingebogen! Der Hals! So krumm! Die Haut! So rot! Das Haar! So stumpf! Das Fleisch! So tot! Nur die Augen lidumrändert strahlen blau und unverändert, schauen forschend, klar und mild auf’s und aus dem Spiegelbild, leuchten wie zwei Edelsteine – sind das überhaupt noch meine? |
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