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the grip 30.07.2013 20:09

Ringelnatz:
 
Ich bin das Riesenkrokodil.
Meine Großmutter war ein Drachen.
Ich verschlucke, wenn ich will,
Einen Esel und noch größere Sachen.

Ich liege oft tausende Jahre still
Und klappere dann mit den Zähnen.
Ich bin das Riesenkrokodil.
Ich kann entsetzlich gähnen.

Klapp klapp
Schnapp schnapp
Uohahhh …

the grip 03.08.2013 00:34

Christian Morgenstern:
 
Unter Zeiten

Das Perfekt und das Imperfekt
tranken Sekt.
Sie stießen aufs Futurum an
(was man wohl gelten lassen kann).

Plusquamper und Exaktfutur
blinzten nur.

the grip 04.08.2013 18:36

Heinrich Heine:
 
Mir träumt‘: ich bin der liebe Gott,
Und sitz im Himmel droben,
Und Englein sitzen um mich her,
Die meine Verse loben.

Und Kuchen ess ich und Konfekt
Für manchen lieben Gulden,
Und Kardinal trink ich dabei,
Und habe keinen Schulden.

Doch Langeweile plagt mich sehr,
Ich wollt, ich wär auf Erden,
Und wär ich nicht der liebe Gott,
Ich könnt des Teufels werden.

the grip 06.08.2013 09:50

Hermann Hesse:
 
Ich liebe Frauen –

Ich liebe Frauen, die vor tausend Jahren
Geliebt von Dichtern und besungen waren.

Ich liebe Städte, deren leere Mauern
Königsgeschlechter alter Zeiten betrauern.

Ich liebe Städte, die erstehen werden,
Wenn niemand mehr von heute lebt auf Erden.

Ich liebe Frauen – schlanke, wunderbare,
Die ungehorsam ruhn im Schoß der Jahre.
Sie werden einst mit ihrer sternenbleichen
Schönheit der Schönheit meiner Träume gleichen

the grip 08.08.2013 09:38

Wolf Wondratschek
 
Poesie ist Erinnerung
An all die Liebenden, die sich
Nach dem Tode sehnten und weiterlebten.

Und wenn sie endlich sterben,
wird es zu spät sein
für jeden von uns.

the grip 10.08.2013 22:03

Frank Wedekind:
 
Auf dem Faulbett

Auf mein Faulbett hingestreckt
Überdenk ich so meine Tage,
Forschend, was wohl dahintersteckt,
Dass ich nur immer klage.

Ich habe zu essen, ich habe Tabak,
Ich lebe in jeder Sphäre,
Ich liebe je nach meinem Geschmack
Blaustrumpf oder Hetäre.

Die sexuelle Psychopathie,
Ich habe sie längst überwunden -
Und dennoch, ich vergess es nie,
Es waren doch schöne Stunden.

the grip 13.08.2013 09:58

Wilhelm Busch:
 
Lebenslauf

Mein Lebenslauf ist bald erzählt. –
In stiller Ewigkeit verloren
Schlief ich, und nichts hat mir gefehlt,
Bis daß ich sichtbar ward geboren.

Was aber nur? – Auf schwachen Krücken,
Ein leichtes Bündel auf dem Rücken,
Bin ich getrost dahingeholpert,
Bin über manchen Stein gestolpert,
Mitunter grad, mitunter krumm,
Und schließlich mußt ich mich verschnaufen.

Bedenklich rieb ich meine Glatze
Und sah mich in der Gegend um.

Oweh! Ich war im Kreis gelaufen,
Stand wiederum am alten Platze,
Und vor mir dehnt sich lang und breit,
Wie ehedem, die Ewigkeit.

the grip 15.08.2013 10:59

Robert Gernhardt:
 
Als er sich mit vierzig im Spiegel sah

Seht mich an: der Fuß der Zeit
trat mir meine Wangen breit.
Schaut mein Ohr! Die vielen Jahre
drehten es in’s Sonderbare!
Ach des Kinns! Es scheint zu fliehn,
will die Lippen nach sich ziehn!
Ach der Stirn! Die vielen Falten
drohen mir den Kopf zu spalten!
Die Nase! O, wie vorgezogen!
Der Mund! So seltsam eingebogen!
Der Hals! So krumm! Die Haut! So rot!
Das Haar! So stumpf! Das Fleisch! So tot!
Nur die Augen lidumrändert
strahlen blau und unverändert,
schauen forschend, klar und mild
auf’s und aus dem Spiegelbild,
leuchten wie zwei Edelsteine –
sind das überhaupt noch meine?


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