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keko# 21.09.2016 08:02

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1257212)
Wie konnte sich das fiktive Aggressionsverhalten von 80/20 auf diesen Wert einpendeln? Es handelt sich um das Verhältnis zwischen Risiko und Nutzen einer Aggression in sehr frühen Kulturen. Ein aggressiveres Verhalten von 70/30 führt zu einem höheren Verletzungsrisiko und zu einer geringeren Zeit für Aufzucht und Nahrungssuche. Ein friedlicheres Verhalten führt zu geringem sozialen Status und Nachteilen bei der Eroberung eines Weibchens. Selbstverständlich sind das rein fiktive Beispiele.

Eine fiktive frühe Religion oder Ethik könnte versucht haben, das natürliche Aggressionsverhalten von 80/20 auf einen friedlicheren Wert zu drücken, zum Beispiel 95/5, aber diese Gesellschaft wurde durch aggressivere Individuen leicht unterwandert und konnte sich nicht durchsetzen. Man nahm ihnen einfach Stück für Stück ihren Besitz weg, weil man wusste, dass sie sich ohnehin kaum wehren.

Das bedeutet, dass das Aggressionsverhalten von 80/20 keiner menschlichen Absicht entsprungen ist, und von einer bestehenden Absicht auch kaum verändert werden kann, da es schlicht die evolutionär erfolgreichste Strategie darstellt. Zwar kann ein System von Sanktionen diesen Wert verändern, allerdings nur innerhalb dieser Gruppe. Konkurrierende Gesellschaften ohne diese Sanktionen werden sie möglicherweise überfallen, und mit den ganzen "Pazifisten" leichtes Spiel haben. Kurz: Es ist schwer, den sich natürlich ergebenden Wert von 80/20 zu beeinflussen.

Das stellt eine gewisse Parallele her zu fiktiven Gesellschaften, die überhaupt nicht daran denken, das Aggressionsverhalten, welches sich auf natürliche Weise als optimal herausgestellt hat, zu ändern. Auch bei ihnen werden wir zwangsläufig denjenigen evolutionär stabilen Wert für ihr Aggressionsverhalten finden, der sich durch natürliche Prozesse ergeben hat. Wir sitzen alle im selben Boot.

Das ist natürlich alles noch keine Moral in einem Sinn des modernen Menschen der Neuzeit. Aber die Grundlagen sind durch die Natur gegeben und die Spielräume sind relativ gering. Die Natur setzt Normen und damit das, was wir als "normales" Verhalten ansehen. Deswegen ähnelt sich die Geschichte aller Epochen immer wieder auf’s Neue. Wir verstehen auf Anhieb die grundsätzlichen Konflikte von Kulturen, die vor tausenden von Jahren existiert haben.
:Blumen:

Deine Argumentation halte ich für in sich schlüssig. Gleichwohl wirft dieser (fiktive, aber feste) Quotient natürlich viele Fragen auf (ich sitz im Büro und habe nicht die Zeit um ständig zu schreiben).
Schlüssig insofern, als dass du dich natürlich ausschliesslich auf dein naturwissenschaftliches Weltbild beziehst und alles darauf runterbrichst oder hinzerrst. Das ist ja auch legitm.
Dass dem alles so ist, kannst du natürlich auch nicht beweisen, dafür ist die Sache einfach unheimlich komplex. Es bleibt also auch wieder nur eine Theorie, ein Model.

Persönlich gesehen schrecken mich Weltbilder, die rein auf naturwissenschaftlichen Ketten beruhen, ab. Es ist nicht so, dass sie mich nicht interessieren oder ich dem nicht folgen kann, aber wohin kommen wir, wenn wir jeden Pups nüchtern naturwissenschaftlich, rein rational betrachten? In meinen Augen eine armselige Welt und die schlechtere Wahl. Religion und Glaube hat einen gewissen Zauber inne, den ich für wichtig halte.

keko# 21.09.2016 08:04

Zitat:

Zitat von neo (Beitrag 1257322)
Abgesehen davon: wi ich schon zuvor geschrieben habe - solch ein Austausch von Gedanken ist immer gut und war für mich Freude pur! Danke an alle Beteiligten! :Blumen:

Dem schließe ich mich an! Verschiedene Ansichten, ordentlich vorgetragen, sind unheimlich interessant :Blumen:

neo 21.09.2016 08:06

Zitat:

Zitat von keko# (Beitrag 1257323)
Deine Argumentation halte ich für in sich schlüssig. Gleichwohl wirft dieser (fiktive, aber feste) Quotient natürlich viele Fragen auf (ich sitz im Büro und habe nicht die Zeit um ständig zu schreiben).
Schlüssig insofern, als dass du dich natürlich ausschliesslich auf dein naturwissenschaftliches Weltbild beziehst und alles darauf runterbrichst oder hinzerrst. Das ist ja auch legitm.
Dass dem alles so ist, kannst du natürlich auch nicht beweisen, dafür ist die Sache einfach unheimlich komplex. Es bleibt also auch wieder nur eine Theorie, ein Model.

Persönlich gesehen schrecken mich Weltbilder, die rein auf naturwissenschaftlichen Ketten beruhen, ab. Es ist nicht so, dass sie mich nicht interessieren oder ich dem nicht folgen kann, aber wohin kommen wir, wenn wir jeden Pups nüchtern naturwissenschaftlich, rein rational betrachten? In meinen Augen eine armselige Welt und die schlechtere Wahl. Religion und Glaube hat einen gewissen Zauber inne, den ich für wichtig halte.

Da geht es mir nicht anders mit der emotionalen Einschätzung ... Schließlich gibt es nichts irrationaleres als den Rationalismus ...

MattF 21.09.2016 08:07

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1257283)
Hast wohl recht, sorry. :Blumen:

Mich ärgert die Behauptung der Religionen, ohne sie gäbe es keine Moral. Zum Beispiel durch Joseph Ratzinger. Darum habe ich versucht, Argumente plausibel zu machen, die zeigen, dass sich Moral zwangsläufig ganz von selbst bildet. Sie ergibt sich zwangsläufig aus der Interaktion und dem in der Natur überall herrschenden Gebot, Ressourcen sinnvoll einzusetzen.

Aber wenn man in deinem Denkmuster bleibt muss man sich fragen wieso sich Religionen durchgesetzt haben? Doch dann nur weil sie anderen Formen der Moralbildung überlegen oder zumindest ebenbürtig sind. Sonst wären die Religionen nach der Aufklärung ausgestorben (zumindest im Westen).

neo 21.09.2016 08:08

Zitat:

Zitat von MattF (Beitrag 1257327)
Aber wenn man in deinem Denkmuster bleibt muss man sich fragen wieso sich Religionen durchgesetzt haben? Doch dann nur weil sie anderen Formen der Moralbildung überlegen oder zumindest ebenbürtig sind. Sonst wären die Religionen nach der Aufklärung ausgestorben (zumindest im Westen).

Good one! :Blumen: :)

LidlRacer 21.09.2016 08:34

Zitat:

Zitat von MattF (Beitrag 1257327)
Aber wenn man in deinem Denkmuster bleibt muss man sich fragen wieso sich Religionen durchgesetzt haben? Doch dann nur weil sie anderen Formen der Moralbildung überlegen oder zumindest ebenbürtig sind. Sonst wären die Religionen nach der Aufklärung ausgestorben (zumindest im Westen).

Von "durchgesetzt" kann m.E. keine Rede sein. Die heutigen Religionen sind ja relativ zur Menschheitsgeschichte sehr jung. Vorher gab's tausende andere, die bereits "ausgestorben" sind.
Wer weiß, wann die heutigen "aussterben"?

neo 21.09.2016 08:39

Zitat:

Zitat von LidlRacer (Beitrag 1257331)
Von "durchgesetzt" kann m.E. keine Rede sein. Die heutigen Religionen sind ja relativ zur Menschheitsgeschichte sehr jung. Vorher gab's tausende andere, die bereits "ausgestorben" sind.
Wer weiß, wann die heutigen "aussterben"?

Ich denke, es geht nicht um spezielle, einzelne Religionen, sondern um das Konzept "Religion" ...

keko# 21.09.2016 08:44

Zitat:

Zitat von neo (Beitrag 1257333)
Ich denke, es geht nicht um spezielle, einzelne Religionen, sondern um das Konzept "Religion" ...

Und ob sich die atheistische Ausprägung, wie z.B. in DE, durchsetzt, ist auch fraglich. Momentan kommen ja sehr viele Gläubige zu uns mit einer höheren Geburtenrate.
Ich vermute, dass Glaube/Religion in DE in Zukunft sogar wieder an Bedeutung gewinnen wird.

Megalodon 21.09.2016 08:50

Zitat:

Zitat von zappa (Beitrag 1257196)
Nur meldet sich dazu grad keiner, weil ein paar zu dominant sind. Entschuldigung dafür.

Ich frag mich gerade, wie sinnvoll es ist, mit Leuten zu diskutieren, die der Auffassung sind, dass Frösche und Fische moralisches Verhalten an den Tag legen.

Mich erinnert das auch an die Aussage, durch Fleischverzicht ein weniger schlechter Mensch sein zu wollen.

Mein Bereitschaft geht aktuell gegen Null, mich mit solch schrägem Gedankegut auseinander zu setzen.

neo 21.09.2016 08:51

Zitat:

Zitat von keko# (Beitrag 1257334)
Und ob sich die atheistische Ausprägung, wie z.B. in DE, durchsetzt, ist auch fraglich. Momentan kommen ja sehr viele Gläubige zu uns mit einer höheren Geburtenrate.
Ich vermute, dass Glaube/Religion in DE in Zukunft sogar wieder an Bedeutung gewinnen wird.

Ich denke auch, daß sich das mittelfristig wieder ändern wird ...

zappa 21.09.2016 08:57

Zitat:

Zitat von keko# (Beitrag 1257334)
Und ob sich die atheistische Ausprägung, wie z.B. in DE, durchsetzt, ist auch fraglich. Momentan kommen ja sehr viele Gläubige zu uns mit einer höheren Geburtenrate.
Ich vermute, dass Glaube/Religion in DE in Zukunft sogar wieder an Bedeutung gewinnen wird.

Meine These hier ist: "Je mehr subjektiv wahrgenommene Unsicherheit und Angst, desto mehr Affinitiät zu Narrativen, insbesondere religiösen, aber nicht nur diesen."

LidlRacer 21.09.2016 08:59

Zitat:

Zitat von neo (Beitrag 1257333)
Ich denke, es geht nicht um spezielle, einzelne Religionen, sondern um das Konzept "Religion" ...

Das Konzept "Religion" führt sich schon selbst dadurch ad absurdum, dass es so viele widersprüchliche Religionen gibt und gab.
Warum das so wenige Menschen erkennen, ist mir allerdings auch rätselhaft.

zappa 21.09.2016 09:04

Zitat:

Zitat von LidlRacer (Beitrag 1257345)
Das Konzept "Religion" führt sich schon selbst dadurch ad absurdum, dass es so viele widersprüchliche Religionen gibt und gab.
Warum das so wenige Menschen erkennen, ist mir allerdings auch rätselhaft.

Weil die Menschen nun mal mehrheitlich maßgeblich in "ihrem" System leben. Da gibt es genug systemimmanente Widersprüche auszuhalten und weg-zu-rationalisieren. Da braucht es nicht auch noch systemübergreifende Widersprüche auf Metaebenen, die übrigens auch nicht immer alltagspraktisch relevant sind :-)

neo 21.09.2016 09:05

Zitat:

Zitat von LidlRacer (Beitrag 1257345)
Das Konzept "Religion" führt sich schon selbst dadurch ad absurdum, dass es so viele widersprüchliche Religionen gibt und gab.
Warum das so wenige Menschen erkennen, ist mir allerdings auch rätselhaft.

Scheint dann wohl nicht ganz so absurd zu sein und seinen (evolutionären) Sinn zu haben, auch wenn er sich uns nicht immer erschließt ... darum sagte ich ja: "Es gibt nicht irrationaleres als den Rationalismus." ;) Alles erklärt er uns auch nicht :)

keko# 21.09.2016 09:07

Zitat:

Zitat von LidlRacer (Beitrag 1257345)
Das Konzept "Religion" führt sich schon selbst dadurch ad absurdum, dass es so viele widersprüchliche Religionen gibt und gab.
Warum das so wenige Menschen erkennen, ist mir allerdings auch rätselhaft.

Es gibt durchaus Gleiches bei Eingottreligionen. Wenn´s hier um Naturwissenschaft geht, geht man auch gern ins Abstrakte um irgendwelche Muster herauszuarbeiten. Bei Religionen kommen dann auf einmal ganz konkret Esel ins Spiel.

neo 21.09.2016 09:08

Zitat:

Zitat von zappa (Beitrag 1257346)
Weil die Menschen nun mal mehrheitlich maßgeblich in "ihrem" System leben. Da gibt es genug systemimmanente Widersprüche auszuhalten und weg-zu-rationalisieren. Da braucht es nicht auch noch systemübergreifende Widersprüche auf Metaebenen, die übrigens auch nicht immer alltagspraktisch relevant sind :-)

https://www.youtube.com/watch?v=gP5NXzFT1Uk ;)

Jörn 21.09.2016 09:19

Darwin hat uns gezeigt, dass komplexe Dinge nicht einfach vom Himmel fallen, sondern sich entwickeln. Sie entwickeln sich aus einfachen Anfängen und gewinnen mit der Zeit an Komplexität.

Dieses Prinzip finden wir nun an vielen Stellen, nicht nur in der Biologie, sondern quasi überall. Intelligenz, Bewusstsein, Kultur, Moral: Auch diese Dinge haben sich entwickelt, aus so simplen Elementen, dass ihre Anfänge kaum erkennen lassen, was später daraus wurde.

Wo also vermutet man den Anfang? Beim Menschen? Aber was ist der Anfang des Menschen? Hier kann man ebenfalls keine exakte Grenze ziehen, sondern der Mensch (und mit ihm alle menschlichen Eigenschaften) ist langsam erwacht. Also liegt der Verdacht nahe, dass auch unsere Moral langsam erwacht ist, und dass frühere Spezies ebenfalls eine (weniger entwickelte oder andere) Moral hatten.

Die Frage, ob Affen einen Gerechtigkeitssinn haben, ist mittlerweile beantwortet. Experimente weisen nach, dass sie eindeutig auf ungerechte Belohnung innerhalb einer Gruppe reagieren. Gerechtigkeitsempfinden hat sicherlich etwas mit "Moral" zu tun. Diese Erkenntnis ermutigt dazu, noch weiter entfernte Spezies zu untersuchen, etwa Wolfsrudel.

Für mich ist die Erkenntnis wichtig, dass unsere Moral nicht wie ein Lichtschalter eingeschaltet wurde; und auch, dass sie nicht "von oben" diktiert wurde. Stattdessen ist es wie alles andere das Ergebnis eines langen Prozesses, der nicht erst mit den Menschen begann.

Ich finde Arnes Darstellung überzeugend (und faszinierend), dass Moral sich quasi zwangsläufig entwickeln musste, weil die Mechanismen von Evolution und Auslese dazu führen. Und dass die ersten Anfänge sogar ohne ein Bewusstsein auskamen.

Wir betrachten Moral und Kreativität als etwas, was dem Menschen vorbehalten ist, weil er ein Bewusstsein hat. Moral erscheint uns als etwas, was wir selbst (oder Gott) erfunden haben und kontrollieren. Aber vielleicht ist es Zeit, diese Ansicht über Bord zu werfen.

Klugschnacker 21.09.2016 10:26

Zitat:

Zitat von MattF (Beitrag 1257327)
Aber wenn man in deinem Denkmuster bleibt muss man sich fragen wieso sich Religionen durchgesetzt haben? Doch dann nur weil sie anderen Formen der Moralbildung überlegen oder zumindest ebenbürtig sind. Sonst wären die Religionen nach der Aufklärung ausgestorben (zumindest im Westen).

Zitat:

Zitat von neo (Beitrag 1257328)
Good one! :Blumen: :)

Das ist eine gute Frage, deren Antworten aber kein Geheimnis sind.

Zuerst eine Einschränkung zu Deinem zweiten Satz: Religionen haben relativ wenig zur Moralbildung beigetragen. Die Moral der Menschen ist über alle Kulturen und Religionen hinweg sehr ähnlich. Die wesentlichen der christlichen 10 Gebote gelten praktisch überall. Wir sind es gewohnt, auf diejenigen Merkmale zu achten, die zwischen den Religionen einen Unterschied machen, und übersehen dabei, dass sich ihre moralischen Konzepte weitgehend ähneln. Gott, Sünde, Strafe, Jenseits, Vervollkommnung und so weiter.

Religionen beeinflussen nicht nur die (feineren Ausgestaltungen) der Moral, sondern auch Lebenseinstellungen und Weltbilder. Sie üben politische und gesellschaftliche Macht aus, die mit Moralfragen nichts zu tun hat. Hier ist der Einfluss der Religionen wesentlich stärker. Das sehen wir an der Geschichte der westlichen und vergleichsweise der islamischen Welt, wenn man sie über die letzten 1000 Jahre vergleicht. Will man die Existenz der Religionen über ihre Auswirkungen erklären, die sie auf die Menschen oder ihre Gesellschaften haben, müsste man vor allem die Machtfrage klären und nicht die nach dem Sinn ihrer moralischen Anschauungen.

Warum konnten und können sich Religionen etablieren?

Das hat natürlich viele Gründe, und ich kann hier nicht alle aufzählen und verteidigen. Ich picke mal zwei heraus, etwas willkürlich, aber vielleicht kommen wir später noch auf andere. Vorsorglich schicke ich voraus, dass wir auf eine Verbindung von genetischen mit sich daraus ergebenden kulturellen Entwicklungen stoßen werden.

1.
Zurück in die Steinzeit. Fragen wir uns zunächst etwas flapsig, warum der Homo sapiens sich durchsetzte und nicht der Neandertaler. Auch das hat viele Gründe, aber ein entscheidender lag in den Gruppengrößen, die sich jeweils als stabil erwiesen. Der Neandertaler lebte in kleinen Gruppen mit wenigen Dutzend, maximal 150 Mitgliedern. Man kannte sich untereinander, hatte direkte soziale Verbindungen, was die Gruppe zusammenhielt. Überschritt die Gruppengröße einen kritischen Wert, wurden diese Verbindungen indirekter und schwächer, und die Gruppe spaltete sich irgendwann.

Der Homo sapiens konnte in wesentlich größeren Gruppen mit stabilem Zusammenhalt leben. Einer der Gründe dafür war die Entwicklung des fiktiven Denkens. Sie ergab sich durch die genetisch gesteuerte Weiterentwicklung des Gehirns. Fiktives Denken bedeutet, sich etwas vorstellen zu können, das nicht oder noch nicht existiert. Das befähigt den Menschen beispielsweise, an die Zukunft zu denken. Ohne diese Fähigkeit wäre der Mensch kaum sesshaft geworden, denn Ackerbau und Viehzucht erfordern ein in die Zukunft gerichtetes planendes Handeln. Fiktives Denken ist jedoch vor allem im sozialen Leben wichtig: Wie wird mein Gegenüber handeln, wenn X oder Y.

Das fiktive Denken hatte Einfluss auf die Gruppengröße. Das ist auch heute der Fall. Um Gesellschaften mit mehreren hundert Millionen Menschen stabil zu halten, bedienen wir uns des fiktiven Denkens. Wir seien eine Nation oder ein Verbund von Nationen und definieren uns über die Menschenrechte oder über die genaue Art der Gottheit, nach deren Regeln wir zu leben trachten, um ewiges Leben zu erhalten. Begriffe wie Nation, Menschenrechte, Gottheit und Jenseits sind allesamt fiktive Konstruktionen, die außerhalb unserer Gehirne nicht existieren.

Weil der Homo sapiens innerhalb seiner Gruppen gemeinsame Leitbilder, abstrakt legitimierte Anführer und gesellschaftliche Rollen entwickeln konnte, waren nun Gruppen von mehreren hundert und mehr Mitgliedern stabil. Homo sapiens konnte sie deshalb entwickeln, weil sein Gehirn zum fiktiven Denken fähig war, und weil er fiktive Vorstellungen und Bilder per Sprache weitergeben und etablieren konnte. Die Grundlage ist eine genetische Weiterentwicklung, die eine kulturelle Entwicklung ermöglichte. Man kann sich leicht ausmalen, dass der in kleinen Gruppen lebende Neandertaler gegen die überlegen kooperierenden modernen Menschen schlechte Karten hatte.

Das fiktive Denken ermöglichte nicht nur Bilder zur Definition und Abgrenzung der eigenen Gruppe, zum Beispiel "Volk", "König" und so weiter, sondern bot auch Aberglauben in jeder Form eine Entfaltungsmöglichkeit. Aberglauben ist nichts anderes als fiktives Denken. Verkleidet man einen Affen als Schamanen, halten ihn seine Gruppenmitglieder nicht für ein Wesen, das mit dem Jenseits in Verbindung steht. Bei den zum fiktiven Denken befähigten Menschen ist das ganz anders, sie halten sehr seltsame, abstrakte Geschichten für wahr.

Auf dieser Grundlage entwickelten sich Religionen. Der Entwicklungsfortschritt gegenüber dem Neandertaler bestand nicht darin, über eine Religion zu Verfügen. Sondern des fiktiven Denkens fähig zu sein, das ein planendes Handeln ermöglichte und für sozialen Zusammenhalt sorgte. Die Religionen fahren quasi Huckepack auf dieser tieferliegenden Fähigkeit der Menschen. Die Frage ist also falsch gestellt, wenn wir uns fragen, welchen Vorteil uns Religionen böten. Religionen sind lediglich eine Begleiterscheinung der menschlichen Fähigkeit zum fiktiven Denken.

Sobald Religionen einmal da sind, entwickeln auch sie sich im Sinne einer kulturellen Evolution. Sie entwicklen sich dabei jedoch nicht – ein häufiges Missverständnis – in die Richtung größeren Wohles für den Menschen. Sie entwickeln sich in diejenige Richtung, die gut ist für Religionen.


2.
Menschenkinder lernen von ihren Eltern. Vor allem durch Beispiel, aber entscheidend auch durch sprachliche Vermittlung. Dass man Krokodile nicht streicheln und die knallroten Beeren nicht essen soll, müssen sie daher nicht selbst herausfinden, sondern sie hören es von ihren Eltern. Das ist ein gewaltiger Vorteil im Rennen ums Dasein, um den uns jede genervte Tigermama beneiden dürfte.

Menschenkinder sind darauf programmiert, den Worten der Eltern unbedingten Glauben zu schenken. Selbst ausgewachsenen Bullshit wie Weihnachtsmänner in fliegenden Rentiergespannen glauben sie mit einer herzergreifenden Bedingungslosigkeit. Auch hier nutzen die Religionen einen sinnvollen Mechanismus in der Entwicklung des Kindes. Was man ihnen in ernstem, feierlichen Tonfall beibringt, vielleicht in einer beeindruckenden Kirche, in der die ganze Gemeinde mit bedeutungsvoller Miene zusammenkommt, werden sie glauben. Und sie werden diesen Glauben später an ihre eigenen Kinder weitergeben.

Nur selten werden Menschen im Erwachsenenalter gläubig, wenn sie nicht als Kinder damit in Kontakt kamen. Glauben hat fast immer seine Wurzeln in der Kindheit, und so gut wie nie in erwachsener Einsicht.


Fazit:
Das ist eine einfache, hier nur skizzierte und lückenhafte Erklärung dafür, warum Religionen existieren, und wie sie weitergegeben werden. Es hat genetische und daran anknüpfende kulturelle Gründe. Heute haben fast alle Kulturen eine Religion. Nicht weil die Religion den Menschen einen großen Vorteil böte, sondern weil alle Entwicklungslinien ausgestorben sind, die nicht zum fiktiven Denken fähig waren. Einmal vorhanden, entwickeln sich Religionen zu ihrem eigenen Vorteil; ebenso ist die Entwicklung der Löwen ausschließlich gut für Löwen, und die Entwicklung der Religionen ist gut für Religionen.

Heute stehen wir unabweisbar vor der schwierigen globalen Aufgabe, die Auswüchse es fiktiven Denkens einzufangen. Zum Beispiel den Nationalismus, den Rassismus und alle anderen, auf nicht zutreffenden fiktiven Bildern beruhenden Ideologien.

Megalodon 21.09.2016 10:51

Zitat:

Zitat von LidlRacer (Beitrag 1257345)
Das Konzept "Religion" führt sich schon selbst dadurch ad absurdum, dass es so viele widersprüchliche Religionen gibt und gab.

Worin soll Deiner Meinung nach diese Widersprüchlickeit denn liegen?

Der Witz ist doch, dass alle Religionen einen gemeinsamen Nenner haben. Und der ist entscheidend. Nenn es Spiritualität, die Suche nach einer Erklärung der Existenz etc. Alle religiöse Menschen eint der Glaube an etwas, das über E=mc^2 hinausragt.

LidlRacer 21.09.2016 11:26

Zitat:

Zitat von Megalodon (Beitrag 1257386)
Worin soll Deiner Meinung nach diese Widersprüchlickeit denn liegen?

Der Witz ist doch, dass alle Religionen einen gemeinsamen Nenner haben. Und der ist entscheidend. Nenn es Spiritualität, die Suche nach einer Erklärung der Existenz etc. Alle religiöse Menschen eint der Glaube an etwas, das über E=mc^2 hinausragt.

Ja, die Suche nach Erklärungen ist gemeinsam und sehr verständlich, da man noch nicht in der Lage war, vernünftige Erklärungen zu finden.

Gemeinsam ist auch, dass alle Religionen nicht nur nach Erklärungen suchen, sondern behaupten, Erklärungen zu haben. Nur leider hat jede Religion andere Erklärungen und behauptet, sie hätte die einzig Richtige.

LidlRacer 21.09.2016 11:53

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1257379)
Der Homo sapiens konnte in wesentlich größeren Gruppen mit stabilem Zusammenhalt leben.

Woher kommt diese Erkenntnis? Sorry, wenn ich immer wieder auf Wikipedia zurückgreife, aber dort scheint dies unbekannt zu sein:
https://de.wikipedia.org/wiki/Neandertaler

Dort werden etliche potenzielle Gründe für eine höhere Fortpflanzungsrate des Homo Sapiens ggü. dem Neandertaler aufgeführt, die zu einer höheren Bevölkerungsdichte führte.
Dann liegt es nahe, anzunehmen, dass größere Gruppengrößen eine Folge des Bevölkerungswachstums waren und nicht unbedingt die Ursache. Eine gegenseitige Verstärkung der Phänomene ist natürlich auch möglich.

Hier noch ein interessanter Aspekt:
Neandertaler war uns ebenbürtig

Die Überschrift ist etwas zu platt, präziser formuliert Wikipedia:
"Der amerikanische Forscher Paola Villa und sein niederländischer Kollege Wil Roebroeks fanden keinerlei archäologische Befunde, die eine Überlegenheit des Homo sapiens gegenüber dem Neandertaler belegen. Vielmehr seien die Neandertaler im modernen Menschen aufgegangen, weil dieser zahlenmäßig überlegen gewesen sei."

Hier ausführlicher:
Neandertal Demise: An Archaeological Analysis of the Modern Human Superiority Complex
(Hab ich aber noch nicht gelesen.)

neo 21.09.2016 12:03

Zitat:

Zitat von LidlRacer (Beitrag 1257392)
J
Gemeinsam ist auch, dass alle Religionen nicht nur nach Erklärungen suchen, sondern behaupten, Erklärungen zu haben. Nur leider hat jede Religion andere Erklärungen und behauptet, sie hätte die einzig Richtige.

Ähnliche Tendenzen sind aber auch in der Wissenschaft zu finden: Die Genetik will den Menschen erklären, die Gehirnforschung meinte vor 20 Jahren, knapp davor zu sein, den Menschen erklären zu können. Interdisziplinäre Ansätze mit den Geisteswissenschaften keimen hier und da auf, aber auch die Naturwissenschaften sind sich ja untereinander selten grün ... für mich viel wichtiger: Was kann man denn überhaupt wissen? Erkenntnistheoretische Reflexionen gehen mir - nicht nur in den Naturwissenschaften - allzu häufig ab.

Megalodon 21.09.2016 12:03

Zitat:

Zitat von LidlRacer (Beitrag 1257392)
Nur leider hat jede Religion andere Erklärungen und behauptet, sie hätte die einzig Richtige.

Ja. Da wird dann der gemeinsame Nenner verlassen.

Ich selbst denke ja nicht mal, dass der Mensch eine Seele hat. Was sollte das auch sein? Geschweige denn, dass ich an ein Leben nach dem Tod (welche Absurdität!!) glaube, oder daran, dass die "Seele" in den Himmel fährt.

Ein Bekannter meines Vaters wurde von der Polizei erschossen. Das war der zweite Tote, den ich nach dem Tod meiner Uroma zur Kenntnis nehmen musste. Das hat mich damals als Jugendlichen stark beeindruckt. Wenn der eine unsterbliche Seele hatte, wo ist die jetzt ?? Im Ernst, kein Mensch der bei Verstand ist beschäftigt sich ernsthaft mit solchen Fragestellungen. Der Mann wurde beerdigt, sein Körper ist verrottet und das Grab inzwischen sogar aufgelöst. Das wars dann.

Noch Fragen ?

zappa 21.09.2016 12:06

Zitat:

Zitat von LidlRacer (Beitrag 1257392)
Ja, die Suche nach Erklärungen ist gemeinsam und sehr verständlich, da man noch nicht in der Lage war, vernünftige Erklärungen zu finden.

Gemeinsam ist auch, dass alle Religionen nicht nur nach Erklärungen suchen, sondern behaupten, Erklärungen zu haben. Nur leider hat jede Religion andere Erklärungen und behauptet, sie hätte die einzig Richtige.

Warst Du schon mal unterschiedlicher Meinung mit Deinem Partner? Schon mal mit einem guten Freund über die Welt gestritten. So ist das.

zappa 21.09.2016 12:09

Zitat:

Zitat von Megalodon (Beitrag 1257403)
Ja. Da wird dann der gemeinsame Nenner verlassen.

Ich selbst denke ja nicht mal, dass der Mensch eine Seele hat. Was sollte das auch sein? Geschweige denn, dass ich an ein Leben nach dem Tod (welche Absurdität!!) glaube, oder daran, dass die "Seele" in den Himmel fährt.

Ein Bekannter meines Vaters wurde von der Polizei erschossen. Das war der zweite Tote, den ich nach dem Tod meiner Uroma zur Kenntnis nehmen musste. Das hat mich damals als Jugendlichen stark beeindruckt. Wenn der eine unsterbliche Seele hatte, wo ist die jetzt ?? Im Ernst, kein Mensch der bei Verstand ist beschäftigt sich ernsthaft mit solchen Fragestellungen. Der Mann wurde beerdigt, sein Körper ist verrottet und das Grab inzwischen sogar aufgelöst. Das wars dann.

Noch Fragen ?

Nun ja, in manchen dunklen Momenten ist die Vorstellung, dass mein toter Sohn irgendwo und irgendwie sein könnte, schon tröstlich. Nicht dass ich das glaube, aber tröstlich ist es. Und ich denke manchen Menschen geht es ähnlich.

neo 21.09.2016 12:09

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1257379)
Fazit:
Heute haben fast alle Kulturen eine Religion. Nicht weil die Religion den Menschen einen großen Vorteil böte, sondern weil alle Entwicklungslinien ausgestorben sind, die nicht zum fiktiven Denken fähig waren.

Böse und (falsche ) Zwischenfrage des advocatus diaboli :Cheese: : Atheisten stehen den Neandertalern also näher? Fiktives Denken und so?

Nein, ich erwarte keine ernsthafte Antwort auf eine nicht ernsthafte Frage ...

MattF 21.09.2016 12:10

Zitat:

Zitat von zappa (Beitrag 1257404)
Warst Du schon mal unterschiedlicher Meinung mit Deinem Partner? Schon mal mit einem guten Freund über die Welt gestritten. So ist das.

Na ja bei Religionen ist das schon ein bisschen anders.

Es gibt verschiedenen Erklärungen, die sich auch noch widersprechen und letztlich kann ja nur eine wahr sein. Von daher kommt man natürlich schnell zu der Erkenntnis/Frage: Ist überhaupt eine Erklärung der Religionen z.b. zur Entsehung der Welt oder des Menschen wahr? :Huhu:

Wenn man sich mit dem Partner streitet kann man ja meist recht gut 2 Meinungen gelten lassen.

neo 21.09.2016 12:12

Zitat:

Zitat von Megalodon (Beitrag 1257403)
Ja. Da wird dann der gemeinsame Nenner verlassen.

Ich selbst denke ja nicht mal, dass der Mensch eine Seele hat. Was sollte das auch sein? Geschweige denn, dass ich an ein Leben nach dem Tod (welche Absurdität!!) glaube, oder daran, dass die "Seele" in den Himmel fährt.

Ein Bekannter meines Vaters wurde von der Polizei erschossen. Das war der zweite Tote, den ich nach dem Tod meiner Uroma zur Kenntnis nehmen musste. Das hat mich damals als Jugendlichen stark beeindruckt. Wenn der eine unsterbliche Seele hatte, wo ist die jetzt ?? Im Ernst, kein Mensch der bei Verstand ist beschäftigt sich ernsthaft mit solchen Fragestellungen. Der Mann wurde beerdigt, sein Körper ist verrottet und das Grab inzwischen sogar aufgelöst. Das wars dann.

Noch Fragen ?

Das soll jetzt nicht im negativen Sinne provozierend sein (den advocatus diaboli hab´ ich ausgeschaltet, dafür sind Deine Beispiele zu drastisch, als daß ich ihn von der Leine lassen wollte): Besteht der Mensch nur aus Körper? "Kein Mensch der bei Verstand ist" ... Verstand ist auch nicht materiell ...

neo 21.09.2016 12:14

Zitat:

Zitat von MattF (Beitrag 1257407)
Na ja bei Religionen ist das schon ein bisschen anders.

Es gibt verschiedenen Erklärungen, die sich auch noch widersprechen und letztlich kann ja nur eine wahr sein. Von daher kommt man natürlich schnell zu der Erkenntnis/Frage: Ist überhaupt eine Erklärung der Religionen z.b. zur Entsehung der Welt oder des Menschen wahr? :Huhu:

Wenn man sich mit dem Partner streitet kann man ja meist recht gut 2 Meinungen gelten lassen.

Ähnliche Tendenzen (ich wiederhole mich) wie in der Wissenschaft ... ist denn nur eine Perspektive die, die alles sieht? Austausch und Kommunikation würden in beiden Fällen (Religion wie Wissenschaft) einen enormen Fortschritt bedeuten.

keko# 21.09.2016 12:15

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1257379)
Heute haben fast alle Kulturen eine Religion. Nicht weil die Religion den Menschen einen großen Vorteil böte....,

Woher willst du das denn wissen? Kannst du in alle Menschen hineinschauen? Was für dich objektiv unwichtig ist, kann für mich subjektiv ein Vorteil sein.

zappa 21.09.2016 12:19

Zitat:

Zitat von MattF (Beitrag 1257407)
Na ja bei Religionen ist das schon ein bisschen anders.

Es gibt verschiedenen Erklärungen, die sich auch noch widersprechen und letztlich kann ja nur eine wahr sein. Von daher kommt man natürlich schnell zu der Erkenntnis/Frage: Ist überhaupt eine Erklärung der Religionen z.b. zur Entsehung der Welt oder des Menschen wahr? :Huhu:

Wenn man sich mit dem Partner streitet kann man ja meist recht gut 2 Meinungen gelten lassen.

Und warum soll das bei sozialen Systemen, z.B. Religionsgemeinschaften anders sein?

Warum sollte es hier nicht unterschiedliche, konträre, widersprüchliche Auffassungen geben?

Wo besteht da jetzt genau der Unterschied?

Megalodon 21.09.2016 12:20

Zitat:

Zitat von zappa (Beitrag 1257405)
Nun ja, in manchen dunklen Momenten ist die Vorstellung, dass mein toter Sohn irgendwo und irgendwie sein könnte, schon tröstlich. Nicht dass ich das glaube, aber tröstlich ist es. Und ich denke manchen Menschen geht es ähnlich.

Es tut mit leid, dass Du diese Erfahrung machen musstest.

Der Tod eines Kindes ist wahrscheinlich das Schlimmste was einem Menschen widerfahren kann. Viele können kein normales Leben mehr führen, manche zerbrechen daran und oft scheitert die Ehe oder Beziehung. Da ist es doch schön, dass es wenigstens etwas gibt, woran man sich festhalten kann.

Ich selbst habe aber nicht wirklich eine Ahnung davon.

zappa 21.09.2016 12:27

Zitat:

Zitat von Megalodon (Beitrag 1257413)
Es tut mit leid, dass Du diese Erfahrung machen musstest.

Der Tod eines Kindes ist wahrscheinlich das Schlimmste was einem Menschen widerfahren kann. Viele können kein normales Leben mehr führen, manche zerbrechen daran und oft scheitert die Ehe oder Beziehung. Da ist es doch schön, dass es wenigstens etwas gibt, woran man sich festhalten kann.

Ich selbst habe aber nicht wirklich eine Ahnung davon.

Danke und alles OK, mach Dir keine Sorgen.

Es gibt, denke ich, genug Menschen, die wissen, dass "Seele" und "Weiterleben" und ähnliches eher unwahrscheinlich sind - und trotzdem gerne daran glauben. Weil es für sie eine Funktion hat: Trost, ein konkretes Bild im Kopf, Ermunterung, Sinn, etc. Und ich respektiere, dass das so ist. Dazu braucht es nicht unbedingt Religion, aber sie hat dort auch einen Platz.

schoppenhauer 21.09.2016 12:28

Zitat:

Zitat von LidlRacer (Beitrag 1257399)

Dort werden etliche potenzielle Gründe für eine höhere Fortpflanzungsrate des Homo Sapiens ggü. dem Neandertaler aufgeführt, die zu einer höheren Bevölkerungsdichte führte.
Dann liegt es nahe, anzunehmen, dass größere Gruppengrößen eine Folge des Bevölkerungswachstums waren und nicht unbedingt die Ursache. Eine gegenseitige Verstärkung der Phänomene ist natürlich auch möglich.

Zu dem Thema habe ich gerade einen interessanten Artikel gelesen. Man geht neuerdings davon aus, das die rasante Entwicklung des HS vor allem auf eine Veränderung des Erbgutes vor 280.000 Jahren zurückzuführen ist, die eine bessere Verstoffwecheselung von Eisen zur Folge hatte. Das wiederum ließ die Ausdauerfähigkeit rasant ansteigen, vorher nicht dagewesene Jagderfolge führten zu richtig viel Nahrung. Die Opfer wurden vor allem kaputt getrieben, sie hatten bei weitem nicht die Ausdauer wie wir. Das Mehr an Nahrung war wiederum erforderlich, um den rasanten Wachstum des Gehirns - etwas zur selben Zeit - zu ermöglichen oder zu begleiten. Die Rübe braucht mit Abstand am meisten Energie, abhängig von ihrer Größe.

Interessant für Ausdauersportler: wir und Forest Gump machen eigentlich nur das, was der evolutionäre Kern in der Entwicklung des Homo Sapiens zu sein scheint.

Megalodon 21.09.2016 12:31

Zitat:

Zitat von neo (Beitrag 1257409)
Das soll jetzt nicht im negativen Sinne provozierend sein (den advocatus diaboli hab´ ich ausgeschaltet, dafür sind Deine Beispiele zu drastisch, als daß ich ihn von der Leine lassen wollte): Besteht der Mensch nur aus Körper? ...

Definitiv JA !

Kein funktionstüchtiges Gehirn, kein Verstand, kein Charakter bzw. Persönlichkeit mehr. Jeder Angehörige von Alzheimer Patienten im Endstadium wird Dir das so bestätigen. Zumindest wurde mir das so zugetragen.

Aber: Auch der Alzheimer Patient ist noch immer Mensch! Mensch sein ist unveräußerlich !!

Klugschnacker 21.09.2016 12:43

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1257379)
Der Homo sapiens konnte in wesentlich größeren Gruppen mit stabilem Zusammenhalt leben. Einer der Gründe dafür war die Entwicklung des fiktiven Denkens.

Zitat:

Zitat von LidlRacer (Beitrag 1257399)
Woher kommt diese Erkenntnis? Sorry, wenn ich immer wieder auf Wikipedia zurückgreife, aber dort scheint dies unbekannt zu sein: https://de.wikipedia.org/wiki/Neandertaler. Dort werden etliche potenzielle Gründe für eine höhere Fortpflanzungsrate des Homo Sapiens ggü. dem Neandertaler aufgeführt, die zu einer höheren Bevölkerungsdichte führte.

Dass der Homo sapiens in größeren sozialen Systeme zusammenleben kann als der Neandertaler, braucht meiner unmaßgeblichen Meinung nach keinen expliziten Beleg, denn wir sehen das ja täglich. Bei Affen überschreitet die Gruppengröße nicht die Zahl 50, beim Neandertaler waren es ca. 150, und beim modernen Menschen sind es hunderte Millionen. Zuletzt las ich es bei Yuval Noah Harari, Professor für Geschichte an der Universität von Jerusalem. Es gibt dort eine längere Liste englischsprachiger Literatur, aber ich denke, eine Recherche nach Artikeln im Netz wird uns näher liegen. Ein gutes Buch ist auch "Der Geist fiel nicht vom Himmel" von Prof. Hoimar v. Ditfurth.

Man könnte so weit gehen, festzustellen, dass die hauptsächlichen Unterschiede zwischen dem Homo sapiens und seinen direkten Vorfahren darin bestehen, wie leistungsfähig unsere Kommunikation und Interaktion ist. Denke Dir einmal 100.000 Menschenaffen in unmittelbarer Nähe zueinander vor. Wir erwarten ein völliges Chaos. Eine gleiche Zahl Menschen kann gemeinsam am Mondflug arbeiten, oder in geordneter Weise einen Flughafen benutzen. Der individuelle Unterschied zwischen einem Menschen, der vor 50.000 Jahren lebte und Julius Cäsar war vermutlich ziemlich klein. Betrachtet man aber größere Einheiten, etwa 100.000 Frühmenschen und 100.000 Römer, ergibt sich ein beträchtlicher Unterschied.

Woran der Neandertaler ausstarb, oder ob er genetisch im Homo sapiens aufging, ist für mein Argument letztlich unerheblich. Es besteht darin, dass der Mensch eine neue Entwicklungsstufe erklomm, als er die Fähigkeit zum fiktiven Denken erlangte.
:Blumen:

schoppenhauer 21.09.2016 12:52

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1257422)

Man könnte so weit gehen, festzustellen, dass die hauptsächlichen Unterschiede zwischen dem Homo sapiens und seinen direkten Vorfahren darin bestehen, wie leistungsfähig unsere Kommunikation und Interaktion ist.

Wir waren zur Interaktion und Kommunikation gezwungen. Vor diesem 'Eisen-Sprung' (siehe oben), durch den der HS sich von seinen Vorfahren entfernt hat, waren wir vor allem Opfer in der Natur. Dann hatten wir plötzlich die Ausdauer und den Grips, und nun konnten wir auch große und gefährliche Tiere - allerdings ausschließlich in abgestimmten Gruppe - jagen. Der HS hat ja nie über Krallen oder gefährliche Zähne verfügt, noch war er sonderlich stark oder schnell.

zappa 21.09.2016 13:03

Zitat:

Zitat von schoppenhauer (Beitrag 1257427)
Wir waren zur Interaktion und Kommunikation gezwungen. Vor diesem 'Eisen-Sprung' (siehe oben), durch den der HS sich von seinen Vorfahren entfernt hat, waren wir vor allem Opfer in der Natur. Dann hatten wir plötzlich die Ausdauer und den Grips, und nun konnten wir auch große und gefährliche Tiere - allerdings ausschließlich in abgestimmten Gruppe - jagen. Der HS hat ja nie über Krallen oder gefährliche Zähne verfügt, noch war er sonderlich stark oder schnell.

Danke für diesen Beitrag!

Kommunikation ist also auch bei Dir das "Zauberwort". Ich sehe das auch so. Das ist das Schmiermittel über die die Entstehung und Weiterentwicklung sozialer Systeme geht.

Und über (ausdifferenzierte) Kommunikation geht letztlich auch die Entstehung und Veränderung moralischer Verhaltensregeln.

Dabei ist Kommunikation nicht nur ein positiv belegtes "Allheilmittel". Im Gegenteil: Genau weil wir eine solch ausdifferenzierte Kommunikation haben, sind dort die unendlich vielen Missverständnisse mit ihren mitunter schrecklichen Konsequenzen mit angelegt.

neo 21.09.2016 13:05

Zitat:

Zitat von Megalodon (Beitrag 1257418)
Definitiv JA !

Kein funktionstüchtiges Gehirn, kein Verstand, kein Charakter bzw. Persönlichkeit mehr. Jeder Angehörige von Alzheimer Patienten im Endstadium wird Dir das so bestätigen. Zumindest wurde mir das so zugetragen.

Aber: Auch der Alzheimer Patient ist noch immer Mensch! Mensch sein ist unveräußerlich !!

Stop, stop! Bitte, damit kein Mißverständnis auftaucht (bei mir, wie bei Dir!), ich sprach vom gesunden Menschen.

qbz 21.09.2016 13:20

Zitat:

Zitat von LidlRacer (Beitrag 1257399)
Woher kommt diese Erkenntnis?

hier steht etwas Wissenschaftliches über die leicht unterschiedlichen Gehirnstrukturen von Neandertaler und Homo Sapiens und deren Auswirkungen auf die möglichen Gruppengrössen.

"Daher bestimmt die Anzahl der Artgenossen, deren Gedanken und Pläne ein einzelnes Individuum maximal im Blick behalten kann, die größtmögliche Gruppengröße. Heute schätzen Forscher diese maximale Größe auf etwa 150 Individuen, vor 27.000 bis 75.000 Jahren waren es bei unseren Vorfahren etwa 139. Der Neandertaler konnte dagegen wohl nur Gruppen bis höchstens 115 Personen managen.

Kleinere Gruppen, das hieß auch ein kleineres insgesamt besiedeltes Gebiet – und damit schlechtere Handels- und Tauschmöglichkeiten sowie weniger Zugang zu zusätzlichen Ressourcen in schlechten Zeiten, erläutern die Forscher. Dieses Szenario werde auch durch die wenigen archäologischen Funde gestützt, die man bis heute entdeckt habe. Sie legten nämlich ebenfalls nahe, dass unsere Vorfahren größere und ausgedehntere soziale Netzwerke hatten als die Neandertaler. Und vielleicht, spekulieren die Forscher weiter, war genau das der entscheidende Faktor, der den Homo sapiens überleben und seinen Cousin, den Neandertaler, aussterben ließ."

http://www.wissenschaft.de/kultur-ge...nnten-als-wir/

Will man phylogenetisch die Herausblldung des menschlichen Denkens untersuchen, kommt man IMHO auch nicht darum herum, sich vor allem die Entwicklung der Werkzeuge und Produktionsmittel und die Rückwirkungen auf das Denken und die Arbeitsteilung anzuschauen. Es gab z.B. einen Transfer von Werkzeugen in der Steinzeit vom Homo sapiens zum Neandertaler für ähnliche Gebrauchszwecke, aber nicht umgekehrt.


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