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the grip 21.05.2013 10:24

Wilhelm Busch:
 
Die Schändliche

Sie ist ein reizendes Geschöpfchen,
Mit allen Wassern wohl gewaschen;
Sie kennt die süßen Sündentöpfchen
Und liebt es, häufig draus zu naschen.

Da bleibt den sittlich Hochgestellten
Nichts weiter übrig, als mit Freuden
Auf diese Schandperson zu schelten
Und sie mit Schmerzen zu beneiden.

the grip 23.05.2013 10:26

Ludwig Thoma:
 
Jesuitendebatte

Der Fuchs stand vor dem Hühnerstalle
Und merkte in der Winternacht,
Die Einschlupflöcher waren alle
Just seinetwegen zugemacht.

Da fing er jämmerlich zu klagen
Und bitterlich zu weinen an:
Warum wollt ihr nur mich verjagen,
Der euch doch nie ein Leids getan?

Ihr guten Hühner, hört die Bitte!
Ihr seid so viele, ich allein, –
Der kleinste Platz in eurer Mitte
Genügt, und ich will glücklich sein!

Das Federvieh hat lang beraten
Und manches wohlerfahrne Huhn
Vermeinte, was sie früher taten,
Das würden Füchse immer tun.

Doch gab es viele ganz Gerechte,
Die waren aus Prinzip dafür,
Daß keinem aus dem Tiergeschlechte
Verschlossen bleibe ihre Tür.

Kaum war die weise Tat geschehen,
War von dem ganzen Hühnerhof
Nichts mehr als das Prinzip zu sehen
Und Krallen und ein Federschwof.

the grip 26.05.2013 11:28

Mascha Kaléko:
 
Der kleine Unterschied

Es sprach zu Mister Goodwill
ein deutscher Emigrant:
"Gewiß, es bleibt dasselbe,
sag ich nun ‚land‘ statt Land,
sag ich für Heimat ‚homeland‘
und ‚poem‘ für Gedicht.
Gewiß, ich bin sehr ‚happy‘:
Doch glücklich bin ich nicht."

the grip 28.05.2013 10:20

Robert Gernhardt:
 
Selbstfindung

Ich weiß, was ich bin.
Ich schreibe das gleich hin.
Da hab’n wir den Salat:
Ich bin ein Literat.

the grip 30.05.2013 10:58

William Shakespeare:
 
So schalt ich früher Veilchen Übermut:
Wo stahlt ihr süßen Diebe euern Hauch,
Wenn nicht von deinem Mund? Die Purpurglut
Auf euern samtnen Wänglein habt ihr auch
Nur schwach gefärbt in seiner Adern Blut!
Den Lilien warf ich deine Hände vor;
Daß er dein Haar bestahl, dem Majoran.
Furchtsam auf Dornen stand der Rosen Chor,
Teils vor Verzweiflung weiß, teils rot vor Scham:
Und eine, weder rot noch weiß, vermaß
Von beidem sich, und stahl noch deinen Atem:
Allein zur Strafe kam ein Wurm und fraß
Im vollsten Prangen sie für ihre Taten. -
Nicht eine war von aller Blumen Zahl,
Die nicht dir Farben oder Düfte stahl.

the grip 02.06.2013 20:10

Wilhelm Busch:
 
Für einen Porträtmaler

Die gnädige Frau, die alte,
Die hab’ ich konterfeit.
Sie hatte manche Falte,
Drob war sie nicht erfreut.

Die Falten und die Runzeln,
Die malt ich nimmermehr,
Drob tät sie gnädig schmunzeln,
Das freut die Alte sehr.

Sie hatte viele Pocken -
Ich fand den Teint so klar;
Sie hatte falsche Locken -
Ich lobt ihr schönes Haar.

An ihrer roten Nase
Pries ich den feinen Ton;
Denn jede schöne Phrase,
Die findet ihren Lohn.

Die Alte fand geraten
Ihr gnädig Konterfei.
Sie zahlt mir zehn Dukaten,
Weil’s gar’ so ähnlich sei.

the grip 04.06.2013 10:10

Wilhelm Busch:
 
Zauberschwestern

Zwiefach sind die Phantasien,
Sind ein Zauberschwesternpaar,
Sie erscheinen, singen, fliehen
Wesenlos und wunderbar.

Eine ist die himmelblaue,
Die uns froh entgegenlacht,
Doch die andre ist die graue,
Welche angst und bange macht.

Jene singt von lauter Rosen,
Singt von Liebe und Genuß;
Diese stürzt den Hoffnungslosen
Von der Brücke in den Fluß.

bellamartha 04.06.2013 10:25

Danke für das schöne Gedicht von heute! Es passt für mich gut.

Gruß, J.


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