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Christian Morgenstern:
Schiff „Erde“.
Ich will den Kapitän sehn, schrie die Frau, den Kapitän, verstehn Sie? Das ist unmöglich, hieß es. Gehn Sie! So gehn Sie doch! Sie sehn ihn nie! Das Weib, mit rasender Gebärde: So bringen Sie ihm das und das. (Sie spie die ganze Reling naß.) Das Schiff, auf dem sie fuhr, hieß „Erde“. |
Wolf Wondratschek:
So möcht ich werden:
unwichtig wie die Südsee, genügsam wie die Pinguine im Packeis, gleichgültig wie einer, der auf Sieg setzt. |
Günter Kunert:
Widmung für M.
Mehr als Gedichte wiegt, wie wir zusammen leben, vereint in einem Dasein Tag und Nacht: So brennt ein Licht, von Schatten rings umgeben, die es doch heller durch sein Leuchten macht. Wohl sind wir Tiere, die sich selbst dressieren, kurzfristiger Bestand aus Fleisch und Bein, und doch: das eine Leben, das wir beide führen, für tausend reichte es zum Glücklichsein. |
Erich Kästner:
Definition des Ruhms
(Aus dem Französischen) Worin besteht der Ruhm auf Erden, der die Wenigen von den Vielen trennt? Von lauter Leuten gekannt zu werden, die man selber gar nicht kennt. |
Ludwig Thoma:
Im Vatikan
Durch die langgestreckten Gänge, Durch die hochgewölbten Säle Schlürfen leise, Ohren raunend, Scheuen Blicks die Kardinäle. Nachtgewohnte Fledermäuse, Die sonst gern im Dunkel blieben, Huschen hin und her bei Tage. Was hat sie ans Licht getrieben? Wie sie horchen! Wie sie lauern! Wie die klugen Äuglein blitzen, Während sich verkniffne Lippen Frömmelnd zum Gebete spitzen! Seiner Heiligkeit dem Papste Nahet sich das bittre Sterben, Und durch alle Schlüssellöcher Spähen wartend seine Erben. |
Christian Morgenstern:
Geburtsakt der Philosophie
Erschrocken schaut der Heide Schaf mich an, als säh's in mir den ersten Menschenmann. Sein Blick steckt an; wir stehen wie im Schlaf; mir ist, ich säh zum ersten Mal ein Schaf. |
Christian Morgenstern:
Der Werwolf
Ein Werwolf eines Nachts entwich von Weib und Kind, und sich begab an eines Dorfschullehrers Grab und bat ihn: Bitte, beuge mich! Der Dorfschulmeister stieg hinauf auf seines Blechschilds Messingknauf und sprach zum Wolf, der seine Pfoten geduldig kreuzte vor dem Toten: "Der Werwolf", – sprach der gute Mann, "des Weswolfs, Genitiv sodann, "dem Wemwolf, Dativ, wie man's nennt, "den Wenwolf, – damit hat's ein End'." Dem Werwolf schmeichelten die Fälle, er rollte seine Augenbälle. Indessen, bat er, füge doch zur Einzahl auch die Mehrzahl noch! Der Dorfschulmeister aber mußte gestehn, daß er von ihr nichts wußte. Zwar Wölfe gäb's in großer Schar, doch "Wer" gäb's nur im Singular. Der Wolf erhob sich tränenblind – er hatte ja doch Weib und Kind!! Doch da er kein Gelehrter eben, so schied er dankend und ergeben. |
Wilhelm Busch:
Kritik des Herzens
Er stellt sich vor sein Spiegelglas Und arrangiert noch dies und das. Er dreht hinaus des Bartes Spitzen, Sieht zu, wie seine Ringe blitzen, Probiert auch mal, wie sich das macht, Wenn er so herzgewinnend lacht, Übt seines Auges Zauberkraft, Legt die Krawatte musterhaft, Wirft einen süßen Scheideblick Auf sein geliebtes Bild zurück, Geht dann hinaus zur Promenade, Umschwebt vom Dufte der Pomade, Und ärgert sich als wie ein Stint, Daß andre Leute eitel sind. |
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