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the grip 10.02.2013 12:01

Christian Morgenstern:
 
Schiff „Erde“.

Ich will den Kapitän sehn, schrie
die Frau, den Kapitän, verstehn Sie?
Das ist unmöglich, hieß es. Gehn Sie!
So gehn Sie doch! Sie sehn ihn nie!

Das Weib, mit rasender Gebärde:
So bringen Sie ihm das und das.
(Sie spie die ganze Reling naß.)
Das Schiff, auf dem sie fuhr, hieß „Erde“.

the grip 12.02.2013 12:36

Wolf Wondratschek:
 
So möcht ich werden:
unwichtig wie die Südsee,
genügsam wie die Pinguine im Packeis,
gleichgültig wie einer,
der auf Sieg setzt.

the grip 14.02.2013 10:25

Günter Kunert:
 
Widmung für M.

Mehr als Gedichte wiegt, wie wir zusammen leben,
vereint in einem Dasein Tag und Nacht:
So brennt ein Licht, von Schatten rings umgeben,
die es doch heller durch sein Leuchten macht.

Wohl sind wir Tiere, die sich selbst dressieren,
kurzfristiger Bestand aus Fleisch und Bein,
und doch: das eine Leben, das wir beide führen,
für tausend reichte es zum Glücklichsein.

the grip 16.02.2013 20:10

Erich Kästner:
 
Definition des Ruhms
(Aus dem Französischen)

Worin besteht der Ruhm auf Erden,
der die Wenigen von den Vielen trennt?
Von lauter Leuten gekannt zu werden,
die man selber gar nicht kennt.

the grip 19.02.2013 11:10

Ludwig Thoma:
 
Im Vatikan

Durch die langgestreckten Gänge,
Durch die hochgewölbten Säle
Schlürfen leise, Ohren raunend,
Scheuen Blicks die Kardinäle.

Nachtgewohnte Fledermäuse,
Die sonst gern im Dunkel blieben,
Huschen hin und her bei Tage.
Was hat sie ans Licht getrieben?

Wie sie horchen! Wie sie lauern!
Wie die klugen Äuglein blitzen,
Während sich verkniffne Lippen
Frömmelnd zum Gebete spitzen!

Seiner Heiligkeit dem Papste
Nahet sich das bittre Sterben,
Und durch alle Schlüssellöcher
Spähen wartend seine Erben.

the grip 21.02.2013 10:15

Christian Morgenstern:
 
Geburtsakt der Philosophie

Erschrocken schaut der Heide Schaf mich an,
als säh's in mir den ersten Menschenmann.
Sein Blick steckt an; wir stehen wie im Schlaf;
mir ist, ich säh zum ersten Mal ein Schaf.

the grip 24.02.2013 15:02

Christian Morgenstern:
 
Der Werwolf

Ein Werwolf eines Nachts entwich
von Weib und Kind, und sich begab
an eines Dorfschullehrers Grab
und bat ihn: Bitte, beuge mich!

Der Dorfschulmeister stieg hinauf
auf seines Blechschilds Messingknauf
und sprach zum Wolf, der seine Pfoten
geduldig kreuzte vor dem Toten:

"Der Werwolf", – sprach der gute Mann,
"des Weswolfs, Genitiv sodann,
"dem Wemwolf, Dativ, wie man's nennt,
"den Wenwolf, – damit hat's ein End'."

Dem Werwolf schmeichelten die Fälle,
er rollte seine Augenbälle.
Indessen, bat er, füge doch
zur Einzahl auch die Mehrzahl noch!

Der Dorfschulmeister aber mußte
gestehn, daß er von ihr nichts wußte.
Zwar Wölfe gäb's in großer Schar,
doch "Wer" gäb's nur im Singular.

Der Wolf erhob sich tränenblind –
er hatte ja doch Weib und Kind!!
Doch da er kein Gelehrter eben,
so schied er dankend und ergeben.

the grip 26.02.2013 10:15

Wilhelm Busch:
 
Kritik des Herzens

Er stellt sich vor sein Spiegelglas
Und arrangiert noch dies und das.
Er dreht hinaus des Bartes Spitzen,
Sieht zu, wie seine Ringe blitzen,
Probiert auch mal, wie sich das macht,
Wenn er so herzgewinnend lacht,
Übt seines Auges Zauberkraft,
Legt die Krawatte musterhaft,
Wirft einen süßen Scheideblick
Auf sein geliebtes Bild zurück,
Geht dann hinaus zur Promenade,
Umschwebt vom Dufte der Pomade,
Und ärgert sich als wie ein Stint,
Daß andre Leute eitel sind.


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