Zitat:
Zitat von Jörn
(Beitrag 1300064)
Die Folge des Tricks ist, dass wir abgelenkt werden von der Tatsache, dass die eigentliche Aufgabe des Richters nicht darin besteht, indifferent oder neutral zu sein, sondern im Gegenteil beweisbare Wahrheit von Unwahrheit zu trennen, und zwar anhand einer für alle nachvollziehbaren Methodik.
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Die Aufgabe des Richers ist nicht nur die "Wahrheits"findung, sondern die Einordnung der gefundenen Fakten in das geltende Wertesystem, in unserem Fall die geltenden Gesetze. Eine Tat, die nach unserem Wertesystem legal ist, kann aber in einem anderen Wertesystem eine schwere Straftat sein.
Das Zitat sagt aus, dass der Richter das Wertesystem (den Glauben) der vor ihm stehenden Personen berücksichtigt. Er setzt also nicht (nur) sein eigenes Wertesystem als Maßstab an. Ob das jetzt gut oder schlecht ist, sei dahingestellt. Es suggeriert aber nicht eine Neutralität, sondern allenfalls, dass er unvoreingenommen die Tat/die Fakten unter Berücksichtigung der (gegebenenfalls vorhandenen) Motive beurteilen will.
Zitat:
Zitat von Jörn
(Beitrag 1300064)
Wen kümmert's, wie der Richter zum Glauben irgendwelcher Leute steht? Wenn zwei Parteien behaupten, der jeweils andere sei ein Lügner, dann kann der Richter sich nicht damit herausreden, er würde beide Parteien gleichermaßen "wertschätzen".
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Hier vermischt du aber zwei Dinge:
Die Wertschätzung der Parteien sehe ich zunächst als Grundvoraussetzung für einen Richter an. Sonst hat er sein Urteil bereits vorab gefällt. Ob eine Partei lügt und wenn ja, welche, muss natürlich möglichst objektiv erfolgen, wobei es aber nicht sein kann, dass die Parteien unterschiedliche wertgeschätzt werden.
Der zweite Punkt ist die Bewertung/Berücksichtigung des Glaubens bzw. deren "Wertschätzung" (siehe oben). Ob es besser ist, wenn der Richter die Motivation des Glaubenden oder Nichtglaubenden (und hier kann man beide tatsächlich gleichsetzen, denn auch der Nichtglaubende wird eine Motivation für seine Tat haben) berücksichtigt oder nur sein eigenes Wertesystem bzw. das Wertesystem, das er vertritt, sei mal dahingestellt. Wenn zwei sich widersprechende Wertesysteme aufeinandertreffen, läuft er sonst Gefahr, zu dem Schluss zu kommen, dass beide Parteien im Recht sind (Stichwort "Ehrenmord").
Zitat:
Zitat von Jörn
(Beitrag 1300064)
Außerdem, und das ist ein Teil des Tricks, steht der Glaube überhaupt nicht vor Gericht, sondern Taten. Und ob eine Tat stattgefunden hat oder nicht, hat immer eine konkrete Antwort, nämlich Ja oder Nein.
Die Vermischung von Wahrheit und Respekt ist eine sehr häufig angewandte Methode religiöser Apologeten -- so sehr, dass sie oft selbst darauf hereinfallen.
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Siehe oben: Jede Tat muss unter Berücksichtigung eines Wertesystems (Glaube, Moral, Gesetz etc.) bewertet werden. Allein das Zusammentragen von Fakten wird nicht für ein Urteil reichen. Hierfür ist die Einordnung der Fakten in das Wertesystem erforderlich, also, wenn man so will, der "Glaube" oder das "Wissen" dass die Tat Unrecht war. Ob man "Respekt" für andere Wertesysteme hat oder nicht, hat also erstmal nichts mit Wahrheitsfindung zu tun, sondern nur mit der Frage, ob dadurch die Urteilsfindung erleichtert oder gerechter wird.
M.