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DEJO 21.01.2016 18:31

Rezession gefällt mir :Cheese:

Vicky 21.01.2016 18:45

Zitat:

Zitat von DEJO (Beitrag 1198477)
Rezession gefällt mir :Cheese:

Oooops. Mein Apfelbuch hat es falsch korrigiert. Tschuldigung! Mein Apfelbuch hat drei Anläufe gebraucht, bis es kapiert hat, was ich von ihm will :-D

Jetzt kennt es das Wort.

triduma 21.01.2016 23:39

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1198305)
So, Wetter wird wieder wärmer in Freiburg, die Tage des Schnees auf den Straßen sind erstmal gezählt. 15°C am kommenden Montag.
:Lachen2:

Da muss ich mich schicken, den ersten Tausender auf dem Rad klar zu machen, wie sich das gehört für Januar.
:quaeldich:

Arne, wir brauchen einen "Gefällt mir" Button hier im Forum. ;)

sybenwurz 21.01.2016 23:42

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1198305)
Da muss ich mich schicken, den ersten Tausender auf dem Rad klar zu machen, wie sich das gehört für Januar.
:quaeldich:

Knapp 100k an jedem der noch zur Verfügung stehenden Tage, dann passts doch, wenst aufn Montag warten willst, halt etwas mehr...:Cheese:

Klugschnacker 22.01.2016 15:09

Ich kam über Reinhold Messner zum Ausdauersport. Über Reinhard Karl, Kurt Albert und Wolfgang Güllich. Die Geschichten dieser großen Kletterer waren wie eine Antriebsfeder in meinem inneren Räderwerk, deren Zahnräder durch meine Erziehung und Kindheitserlebnisse geformt worden waren. Ich bin früh aus dem Nest gefallen, bereits mit knapp 16 Jahren verließ ich das Elternhaus für immer, und beendete damit einige schwierige Jahre. Weitere würden kommen.

Meinem Vater verdanke ich ein großes inneres Durchhaltevermögen. Das liest sich gut in einem Sportforum, doch im echten Leben ist es eine zweischneidige Eigenschaft, die sich leicht gegen einen selbst richtet.

In der deutschen Grammatik nennt man sie die Konjunktionen des Gegengrundes: trotzdem, obwohl, wenngleich, dessen ungeachtet, und so weiter. Eine Sache tun, obwohl es Gegengründe gibt. Eine Situation aushalten zu können, Beschwerliches lange durchzustehen ist eine Eigenschaft, die ich öfter bei Menschen finde, die es in ihrer Kindheit schwer hatten. Was ihnen im Gegenzug häufig fehlt, ist die Fähigkeit, Dinge zu ändern. Man hält sie lieber aus, anstatt sie zu ändern.

Ob meine Beobachtung nun stimmt oder nicht: Ich war als 16- oder 17jähriger ein Mensch, der lange durchhalten konnte. Gleichzeitig fühlte ich mich von meinem Vater (er starb, als ich Mitte 20 war) nicht wahrgenommen und unterschätzt. Mich begeisterten Vorbilder, die sich durch ihr Durchhaltevermögen hervorgetan hatten, Großes leisteten und dafür Anerkennung fanden. Die Bücher von Reinhold Messner kannte ich auswendig, parallel dazu fesselten mich die Biografien großer Wissenschaftler. Die Alleingänge von Messner am Nanga Parbat und Mount Everest, oder die des jungen Albert Einstein, der mit 26 Jahren unser Weltbild revolutionierte, lagen für mich nah beieinander.

Meine Kumpels interessierten sich für andere Dinge, darum empfand ich mich selbst als Einzelgänger. Zumindest in einem inneren Sinne. Ich sprach wenig über das, was mich fesselte, und wenn ich es doch tat, dann in so einem Redeschwall, dass ich alle damit überforderte und auf verständliche Ablehnung stieß.
Gedanken, die man nicht teilen kann, sind in unseren Köpfen gefangen wie ein Kanarienvogel in seinem Käfig. Aber innerhalb seines Käfigs ist dieses Vögelchen das freieste Wesen, das man sich vorstellen kann. Ich liebte es, mich bei meinen damals einsetzenden Joggingläufen gedanklich in den Himalaya zu versetzen, mit seinen gewaltigen Strapazen und Möglichkeiten, sich zu bewähren. Oder mir den jungen Einstein vorzustellen, der als junger Patentprüfer dritter Klasse nach Feierabend über seinen Gleichungen brütete.

Ich trainierte also damals bereits regelmäßig laufen und klettern, teils vor, teils nach der Schule, und las viel. Ich entfernte die Matratze aus meinem Bett und schlief zwei Jahre lang, bis ich volljährig war, Nacht für Nacht auf einer Pressspanplatte ohne jede Unterlage, um mich für die Bergsteigerei abzuhärten. Ich gewöhnte mich daran und fühlte mich frei in diesem Biwak.

Die Begeisterung für Sport und Wissenschaft hat mir in der Schule viel Ärger und beschwerliche Feindschaften eingebracht. Ich war körperlich ein Spätentwickler, außerdem sehr schlecht und faul in allen schulischen Lernfächern, darunter sämtliche Naturwissenschaften. Fast alle Jungs in der Klasse waren stärker, schneller und geschickter als ich, und mein mathematisches Unvermögen war grotesk. Während ich also von großen Abenteuern träumte und Taschengeld für Bücher zur Erkenntnistheorie ausgab, war meine reale Lebenswelt das Gegenteil davon. Die Jungen und Mädchen, aber auch die Lehrer um mich herum rieben mir das natürlich unter die Nase, wo immer sie konnten.

Alles schwankte. Ich war in jedem Jahr meiner Schullaufbahn Klassensprecher, außer in einem, als ich gerade die Schule gewechselt hatte. Ich wurde drei Jahre zum Schülersprecher des Gymnasiums gewählt. Gleichzeitig war ich immer wieder sehr unbeliebt. Mal hatte ich viele, dann wieder gar keine Freunde. Für Mädchen war ich unsichtbar, aber das vielleicht schönste Mädchen aus der Gegend ging mit mir. Dasselbe Chaos bei den Lehrern: In der 8. Klasse gewann ich einen Buchpreis für meine schulische Leistungen. In der 9. Klasse blieb ich sitzen, ohne dass ein einziger meiner Lehrer gefragt hätte, was los sei.

(Die schulische Lage spitzte sich weiter zu: Dass ich heute mehr als einen Hauptschulabschluss habe, verdanke ich dem nicht ganz regelkonformen Eingreifen eines einzelnen Lehrers, mit dem ich mich ab und zu nachmittags traf, um ihm bevorzugt über die Geschichte der Relativitätstheorie Löcher in den Bauch zu fragen. Das Internet als Wissensquelle gab es damals noch nicht. Aber das ist eine andere Geschichte. Ich begreife erst jetzt beim Schreiben, wie absurd sie ist.)

Ich war ein schmächtiger Kerl, aber das Lauftraining tat seine Wirkung. Bei einem 1000m-Lauf im Schulsport schlug ich alle anderen mit Leichtigkeit, was mich selbst überraschte. Doch das zählte nicht viel. Ganz im Gegenteil: Bereits bestehende Konflikte mit anderen Jungs wurden dadurch eher schlimmer.

Ich weiß nicht mehr genau, wie es dazu kam, aber irgendwie wurde ich danach in ein „Armdrücken“ mit einem der stärksten Jungs aus der Klasse verwickelt. Ich wollte nicht, denn die Sache war witzlos, der Ausgang klar. Entsprechend hämisch war die Stimmung der Umstehenden. Als geistiger Bergsteiger und aktiver Kletterer war ich eigentlich gar nicht so schlecht drauf. Ich hatte mich auf 69 Kilogramm runtergehungert und konnte mühelos 30 Klimmzüge am Stück. Aber gegen die Pranke auf der anderen Seite des Tisches waren meine Aussichten sehr schlecht.

Er begann lächelnd mit mäßigem Druck, seiner Sache sicher. Das war sein Fehler. Einer schnellen Attacke hätte ich nichts entgegensetzen können. Wie man sich eine Viertelstunde lang mit brennenden Armen in einer Felswand festkrallt, wusste ich jedoch nach vielen hundert Seillängen sehr gut. Als es nach zwei Minuten noch unentschieden stand, wendete sich das Blatt und ich spürte, heute ändert sich etwas in deinem Leben.

Einige Jahre später rannte ich bei einem Berglauf im Nachbarort vom Tal hinauf auf den Gipfel. 800 Höhenmeter auf 8 Kilometern Länge. Von Anfang an schrieen mich die Zuschauer an: Peeeter!! Peeeeeter!! Peeeeeeteeeer!!! Überall waren diese Rufe von Menschen, die ich nicht kannte und die mich nicht kannten. Was war los? Direkt an meinen Fersen lief Peter Zipfel, Deutscher Meister im Berglauf von 1985, Olympiateilnehmer im Skilanglauf und eine lokale Sportberühmtheit. Das war krass! Ich lief so schnell ich irgendwie konnte und war überwältigt von diesen alles vereinnahmenden Läuferschmerzen, die sich keiner vorstellen kann, wenn er sie nicht gerade spürt.

Zwei Kilometer vor dem Ziel dieses Berglaufs gibt es ein Flachstück von einigen hundert Metern Länge. Da Peter deutlich größer war als ich, erwartete ich dort seinen Angriff mit raumgreifendem Schritt. Alles in mir konzentrierte sich auf diese langsam herannahende Stelle. Ich sah sie von weitem, Peter kannte sie ganz sicher ebenfalls. Mit fliegendem Atem stürmten wir dort hinauf, ich voraus, Peter eine Armlänge dahinter. 10 Meter bevor die Straße sich neigte, attackierte ich so hart ich noch konnte. Ich bereute es auf der Stelle, denn das Gefühl zu ersticken war gewaltig, und das Ziel noch anderthalb teilweise steile Kilometer entfernt. Zehn, vielleicht 15 Meter betrug die Lücke zwischen uns. Leicht und locker würde er sie schließen können.

Als nach einer halben Minute (die Zeit läuft bekanntlich in Zeitlupe) der Abstand noch der gleiche war, passierte etwas Seltsames. Mich traf ein Adrenalinstoß, so gewaltig, dass ich im eigenen Körper zum Passagier wurde. Und der rannte, keuchte und spie, schmerzte, schrie und jubelte im Inneren, wie ich es nie wieder in der Weise erlebt habe. Im Ziel gab er mir empathisch die Hand, und ich heulte später Rotz und Wasser vor Glück und Befreiung. Im Dorf begann man mich zu grüßen, und irgendwie presste sich aus alldem ein Tröpfchen Öl hervor, das mir bisher gefehlt hatte und alle Reibung etwas leichter machte.

Die Schere zwischen innerem und äußerem Leben, die an allen jungen Menschen zerrt, schloss sich für diesen sportlichen Teil meines Lebens. Zumindest ein wenig. Es machte keinen neuen Menschen aus mir, fühlte sich aber nachhaltig gut an.

Vielleicht ist dieses Gefühl gemeint, wenn man sagt, man sei im Einklang mit sich selbst. Tatsächlich ist man das ja nur hin und wieder, für einige Momente. Viele davon lagen für mich im Sport, wenn ich gemeinsam mit Frank durch die Wälder streifte, oder allein mit einem Walkman dem Schatten davonflog, der allabendlich die Berghänge hinaufkriecht.

drullse 22.01.2016 15:23

Respekt...

DEJO 22.01.2016 15:24

Das Buch würde ich kaufen :Blumen:

bellamartha 22.01.2016 15:26

Arne.
Wie schön. Wie anrührend.
Danke, dass du dich hier zeigst, offen und wahrhaftig.

J., berührt.

oko_wolf 22.01.2016 15:38

Zitat:

Zitat von DEJO (Beitrag 1198696)
Das Buch würde ich kaufen :Blumen:

Ich auch

AndiQ2.0 22.01.2016 15:43

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1198305)

Da muss ich mich schicken, den ersten Tausender auf dem Rad klar zu machen, wie sich das gehört für Januar.
:quaeldich:

Ende Januar ist es erst bei dir so weit?:confused:
Etwas in Verzug? :Huhu:

amimarc 22.01.2016 15:44

Ja. Vielen Dank für die offenen Worte!:Blumen:

Frieder 22.01.2016 15:57

SCHREIB ein Buch!

Brazzo 22.01.2016 16:09

Zitat:

Zitat von oko_wolf (Beitrag 1198698)
Ich auch

+ 1 :Blumen:

tandem65 22.01.2016 16:39

Zitat:

Zitat von DEJO (Beitrag 1198696)
Das Buch würde ich kaufen :Blumen:

Zusammen mit Pantones Buch.
Los Arne, gleich Pantone unter Vertrag nehmen & den Triathlon-Szene-Verlag gründen.

dude 22.01.2016 17:25

Arne, warum hat es nie zum richtig guten Triathleten gereicht? Es klingt so als ob die Voraussetzungen dafuer da waren. Ist es das, was Dich wurmt?

tandem65 22.01.2016 17:43

Zitat:

Zitat von dude (Beitrag 1198718)
Arne, warum hat es nie zum richtig guten Triathleten gereicht? Es klingt so als ob die Voraussetzungen dafuer da waren. Ist es das, was Dich wurmt?

Darf ich noch etwas Salz reichen? :Cheese:

Kullerbein 22.01.2016 19:06

Ich bin hingerissen... und berührt.:Blumen:

ThomasG 22.01.2016 19:29

So schreiben können wie Arne das wär was :-)!

LidlRacer 22.01.2016 19:40

Bin auch sowohl von der Story als auch von Arnes "Schreibe" beeindruckt! :Blumen:

Falls sich das auf ein Buch ausdehnen lässt, wäre ich auch dabei!

FMMT 22.01.2016 19:57

Zitat:

Zitat von Kullerbein (Beitrag 1198735)
Ich bin hingerissen... und berührt.:Blumen:

+1 ganz stark :Blumen:

Rälph 22.01.2016 21:45

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1198692)
In der deutschen Grammatik nennt man sie die Konjunktionen des Gegengrundes: trotzdem, obwohl, wenngleich, dessen ungeachtet, und so weiter. Eine Sache tun, obwohl es Gegengründe gibt. Eine Situation aushalten zu können, Beschwerliches lange durchzustehen ist eine Eigenschaft, die ich öfter bei Menschen finde, die es in ihrer Kindheit schwer hatten.

Und in der Psychologie nennt sich der Begriff Resilienz. Ist ein interessantes Thema.

Zitat:

Zitat von dude (Beitrag 1198718)
Arne, warum hat es nie zum richtig guten Triathleten gereicht? Es klingt so als ob die Voraussetzungen dafuer da waren.

Ich glaube eine schwere Kindheit ist in der Ausdauer- und Extremsportwelt sehr häufig anzutreffen. Trotzdem ersetzt diese wohl kein wirkliches Talent.

Aber wer muss schon schnell schwimmen können, wenn er so schön schreiben kann.:Blumen:

Running-Gag 22.01.2016 21:49

:Blumen: :quaeldich:

schnodo 22.01.2016 21:52

Den Schmöker kauf ich auch - und würde ihn sogar vor dem anderen Kubikmeter wartender Bücher lesen. Prioritäten... :Blumen:

sybenwurz 22.01.2016 22:19

Genial.

Bischi 22.01.2016 22:33

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1198692)
Ich kam über Reinhold Messner zum Ausdauersport. Über Reinhard Karl, Kurt Albert und Wolfgang Güllich. Die Geschichten dieser großen Kletterer waren wie eine Antriebsfeder in meinem inneren Räderwerk, deren Zahnräder durch meine Erziehung und Kindheitserlebnisse geformt worden waren. Ich bin früh aus dem Nest gefallen, bereits mit knapp 16 Jahren verließ ich das Elternhaus für immer, und beendete damit einige schwierige Jahre. Weitere würden kommen.

Meinem Vater verdanke ich ein großes inneres Durchhaltevermögen. Das liest sich gut in einem Sportforum, doch im echten Leben ist es eine zweischneidige Eigenschaft, die sich leicht gegen einen selbst richtet.

In der deutschen Grammatik nennt man sie die Konjunktionen des Gegengrundes: trotzdem, obwohl, wenngleich, dessen ungeachtet, und so weiter. Eine Sache tun, obwohl es Gegengründe gibt. Eine Situation aushalten zu können, Beschwerliches lange durchzustehen ist eine Eigenschaft, die ich öfter bei Menschen finde, die es in ihrer Kindheit schwer hatten. Was ihnen im Gegenzug häufig fehlt, ist die Fähigkeit, Dinge zu ändern. Man hält sie lieber aus, anstatt sie zu ändern.

Ob meine Beobachtung nun stimmt oder nicht: Ich war als 16- oder 17jähriger ein Mensch, der lange durchhalten konnte. Gleichzeitig fühlte ich mich von meinem Vater (er starb, als ich Mitte 20 war) nicht wahrgenommen und unterschätzt. Mich begeisterten Vorbilder, die sich durch ihr Durchhaltevermögen hervorgetan hatten, Großes leisteten und dafür Anerkennung fanden. Die Bücher von Reinhold Messner kannte ich auswendig, parallel dazu fesselten mich die Biografien großer Wissenschaftler. Die Alleingänge von Messner am Nanga Parbat und Mount Everest, oder die des jungen Albert Einstein, der mit 26 Jahren unser Weltbild revolutionierte, lagen für mich nah beieinander.

Meine Kumpels interessierten sich für andere Dinge, darum empfand ich mich selbst als Einzelgänger. Zumindest in einem inneren Sinne. Ich sprach wenig über das, was mich fesselte, und wenn ich es doch tat, dann in so einem Redeschwall, dass ich alle damit überforderte und auf verständliche Ablehnung stieß.
Gedanken, die man nicht teilen kann, sind in unseren Köpfen gefangen wie ein Kanarienvogel in seinem Käfig. Aber innerhalb seines Käfigs ist dieses Vögelchen das freieste Wesen, das man sich vorstellen kann. Ich liebte es, mich bei meinen damals einsetzenden Joggingläufen gedanklich in den Himalaya zu versetzen, mit seinen gewaltigen Strapazen und Möglichkeiten, sich zu bewähren. Oder mir den jungen Einstein vorzustellen, der als junger Patentprüfer dritter Klasse nach Feierabend über seinen Gleichungen brütete.

Ich trainierte also damals bereits regelmäßig laufen und klettern, teils vor, teils nach der Schule, und las viel. Ich entfernte die Matratze aus meinem Bett und schlief zwei Jahre lang, bis ich volljährig war, Nacht für Nacht auf einer Pressspanplatte ohne jede Unterlage, um mich für die Bergsteigerei abzuhärten. Ich gewöhnte mich daran und fühlte mich frei in diesem Biwak.

Die Begeisterung für Sport und Wissenschaft hat mir in der Schule viel Ärger und beschwerliche Feindschaften eingebracht. Ich war körperlich ein Spätentwickler, außerdem sehr schlecht und faul in allen schulischen Lernfächern, darunter sämtliche Naturwissenschaften. Fast alle Jungs in der Klasse waren stärker, schneller und geschickter als ich, und mein mathematisches Unvermögen war grotesk. Während ich also von großen Abenteuern träumte und Taschengeld für Bücher zur Erkenntnistheorie ausgab, war meine reale Lebenswelt das Gegenteil davon. Die Jungen und Mädchen, aber auch die Lehrer um mich herum rieben mir das natürlich unter die Nase, wo immer sie konnten.

Alles schwankte. Ich war in jedem Jahr meiner Schullaufbahn Klassensprecher, außer in einem, als ich gerade die Schule gewechselt hatte. Ich wurde drei Jahre zum Schülersprecher des Gymnasiums gewählt. Gleichzeitig war ich immer wieder sehr unbeliebt. Mal hatte ich viele, dann wieder gar keine Freunde. Für Mädchen war ich unsichtbar, aber das vielleicht schönste Mädchen aus der Gegend ging mit mir. Dasselbe Chaos bei den Lehrern: In der 8. Klasse gewann ich einen Buchpreis für meine schulische Leistungen. In der 9. Klasse bleib ich sitzen, ohne dass ein einziger meiner Lehrer gefragt hätte, was los sei.

(Die schulische Lage spitzte sich weiter zu: Dass ich heute mehr als einen Hauptschulabschluss habe, verdanke ich dem nicht ganz regelkonformen Eingreifen eines einzelnen Lehrers, mit dem ich mich ab und zu nachmittags traf, um ihm bevorzugt über die Geschichte der Relativitätstheorie Löcher in den Bauch zu fragen. Das Internet als Wissensquelle gab es damals noch nicht. Aber das ist eine andere Geschichte. Ich begreife erst jetzt beim Schreiben, wie absurd sie ist.)

Ich war ein schmächtiger Kerl, aber das Lauftraining tat seine Wirkung. Bei einem 1000m-Lauf im Schulsport schlug ich alle anderen mit Leichtigkeit, was mich selbst überraschte. Doch das zählte nicht viel. Ganz im Gegenteil: Bereits bestehende Konflikte mit anderen Jungs wurden dadurch eher schlimmer.

Ich weiß nicht mehr genau, wie es dazu kam, aber irgendwie wurde ich danach in ein „Armdrücken“ mit einem der stärksten Jungs aus der Klasse verwickelt. Ich wollte nicht, denn die Sache war witzlos, der Ausgang klar. Entsprechend hämisch war die Stimmung der Umstehenden. Als geistiger Bergsteiger und aktiver Kletterer war ich eigentlich gar nicht so schlecht drauf. Ich hatte mich auf 69 Kilogramm runtergehungert und konnte mühelos 30 Klimmzüge am Stück. Aber gegen die Pranke auf der anderen Seite des Tisches waren meine Aussichten sehr schlecht.

Er begann lächelnd mit mäßigem Druck, seiner Sache sicher. Das war sein Fehler. Einer schnellen Attacke hätte ich nichts entgegensetzen können. Wie man sich eine Viertelstunde lang mit brennenden Armen in einer Felswand festkrallt, wusste ich jedoch nach vielen hundert Seillängen sehr gut. Als es nach zwei Minuten noch unentschieden stand, wendete sich das Blatt und ich spürte, heute ändert sich etwas in deinem Leben.

Einige Jahre später rannte ich bei einem Berglauf im Nachbarort vom Tal hinauf auf den Gipfel. 800 Höhenmeter auf 8 Kilometern Länge. Von Anfang an schrieen mich die Zuschauer an: Peeeter!! Peeeeeter!! Peeeeeeteeeer!!! Überall waren diese Rufe von Menschen, die ich nicht kannte und die mich nicht kannten. Was war los? Direkt an meinen Fersen lief Peter Zipfel, Deutscher Meister im Berglauf von 1985, Olympiateilnehmer im Skilanglauf und eine lokale Sportberühmtheit. Das war krass! Ich lief so schnell ich irgendwie konnte und war überwältigt von diesen alles vereinnahmenden Läuferschmerzen, die sich keiner vorstellen kann, wenn er sie nicht gerade spürt.

Zwei Kilometer vor dem Ziel dieses Berglaufs gibt es ein Flachstück von einigen hundert Metern Länge. Da Peter deutlich größer war als ich, erwartete ich dort seinen Angriff mit raumgreifendem Schritt. Alles in mir konzentrierte sich auf diese langsam herannahende Stelle. Ich sah sie von weitem, Peter kannte sie ganz sicher ebenfalls. Mit fliegendem Atem stürmten wir dort hinauf, ich voraus, Peter eine Armlänge dahinter. 10 Meter bevor die Straße sich neigte, attackierte ich so hart ich noch konnte. Ich bereute es auf der Stelle, denn das Gefühl zu ersticken war gewaltig, und das Ziel noch anderthalb teilweise steile Kilometer entfernt. Zehn, vielleicht 15 Meter betrug die Lücke zwischen uns. Leicht und locker würde er sie schließen können.

Als nach einer halben Minute (die Zeit läuft bekanntlich in Zeitlupe) der Abstand noch der gleiche war, passierte etwas Seltsames. Mich traf ein Adrenalinstoß, so gewaltig, dass ich im eigenen Körper zum Passagier wurde. Und der rannte, keuchte und spie, schmerzte, schrie und jubelte im Inneren, wie ich es nie wieder in der Weise erlebt habe. Im Ziel gab er mir empathisch die Hand, und ich heulte später Rotz und Wasser vor Glück und Befreiung. Im Dorf begann man mich zu grüßen, und irgendwie presste sich aus alldem ein Tröpfchen Öl hervor, das mir bisher gefehlt hatte und alle Reibung etwas leichter machte.

Die Schere zwischen innerem und äußerem Leben, die an allen jungen Menschen zerrt, schloss sich für diesen sportlichen Teil meines Lebens. Zumindest ein wenig. Es machte keinen neuen Menschen aus mir, fühlte sich aber nachhaltig gut an.

Vielleicht ist dieses Gefühl gemeint, wenn man sagt, man sei im Einklang mit sich selbst. Tatsächlich ist man das ja nur hin und wieder, für einige Momente. Viele davon lagen für mich im Sport, wenn ich gemeinsam mit Frank durch die Wälder streifte, oder allein mit einem Walkman dem Schatten davonflog, der allabendlich die Berghänge hinaufkriecht.

Ein einzelner Post reicht, um über Arne 1000 % mehr zu wissen, als in sieben Jahren Triathlonszene ;)

Eber 22.01.2016 22:46

Arne, nun kenn ich dich ja fast so gut wie Bischi dich kennt :Lachen2:
(Hoffe auf einen guten Fortgang bei dem was du noch zu berichten hast :Blumen:)
Herzliche Grüße,
Eber

Spanky 22.01.2016 22:57

Zitat:

Zitat von Bischi (Beitrag 1198807)
Ein einzelner Post reicht, um über Arne 1000 % mehr zu wissen, als in sieben Jahren Triathlonszene ;)

yep....mir ist jetzt auch einiges klarer....

dude 22.01.2016 23:01

Zitat:

Zitat von Rälph (Beitrag 1198788)
Aber wer muss schon schnell schwimmen können, wenn er so schön schreiben kann.:Blumen:

Selbstverstaendlich nicht! Aber so wie sich das liest haette doch mindestens ne 8:30 drin sein muessen.

Pippi 22.01.2016 23:21

Danke für die Zeilen!!

wodu 23.01.2016 00:34

Arne, DAS ist richtig toll! Danke ! :Blumen:

schoppenhauer 23.01.2016 16:47

Habs jetzt erst gelesen.

Mein Dank für diese schönen Worte an deine neue Freundin!

Raimund 23.01.2016 17:18

Ich frage mich, ob in der heutigen Zeit die Kinder durch mediale Aufmerksamkeitsräuber von Visonen abgehalten werden...:(

Viel schlimmer als Kinder, die sich nicht schul- und bildungskonform verhalten, empfinde ich es, wenn sie sich einfach nur kurzweilig ablenken - ohne eine Vision, ein Ziel oder Träume...


Wenn es eine Muse ist, die Arne so schreiben lässt, kann sie nicht so falsch sein, mein philosophischer Freund!:Huhu:

Noiram 23.01.2016 20:13

Wahnsinn Arne. Irgendwie empfinde ich Parallelen beim Lesen- auch wenn ich lange nicht so begabt im Sport bin wie Du.
Ich hatte es schwer in der Schule weil ich immer ein sehr ängstliches Kind war und daher oft außen vor.
Befreiung gab mir ein Jahr Gast-Studium (als ich schon über 20 war) in Südtirol - weit weg von allem, ganz allein.
Selbstbewußtsein gab mir dann mein erster Marathon.
Schade dass ich keine mehr laufen werde können, aber trotzdem habe ich diese Zeit genossen und gebraucht.

Danke dass Du uns teilhaben lässt.

Elwiz 25.01.2016 10:04

Nicht nur Dein Deutsch-Lehrer wäre stolz auf Dich! Jede gute Geschichte bedarf einer guten Erzählung, sonst kann auch diese langweilig und uninteressant klingen. Du schaffst es aber das Ganze für uns bildhaft und interessant rüberzubringen. Weiter so!

TriSG 25.01.2016 10:54

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1198692)
Ich kam über Reinhold Messner zum Ausdauersport. Über Reinhard Karl, Kurt Albert und Wolfgang Güllich. Die Geschichten dieser großen Kletterer waren wie eine Antriebsfeder in meinem inneren Räderwerk, deren Zahnräder durch meine Erziehung und Kindheitserlebnisse geformt worden waren. Ich bin früh aus dem Nest gefallen, bereits mit knapp 16 Jahren verließ ich das Elternhaus für immer, und beendete damit einige schwierige Jahre. Weitere würden kommen.

Meinem Vater verdanke ich ein großes inneres Durchhaltevermögen. Das liest sich gut in einem Sportforum, doch im echten Leben ist es eine zweischneidige Eigenschaft, die sich leicht gegen einen selbst richtet.

In der deutschen Grammatik nennt man sie die Konjunktionen des Gegengrundes: trotzdem, obwohl, wenngleich, dessen ungeachtet, und so weiter. Eine Sache tun, obwohl es Gegengründe gibt. Eine Situation aushalten zu können, Beschwerliches lange durchzustehen ist eine Eigenschaft, die ich öfter bei Menschen finde, die es in ihrer Kindheit schwer hatten. Was ihnen im Gegenzug häufig fehlt, ist die Fähigkeit, Dinge zu ändern. Man hält sie lieber aus, anstatt sie zu ändern.

Ob meine Beobachtung nun stimmt oder nicht: Ich war als 16- oder 17jähriger ein Mensch, der lange durchhalten konnte. Gleichzeitig fühlte ich mich von meinem Vater (er starb, als ich Mitte 20 war) nicht wahrgenommen und unterschätzt. Mich begeisterten Vorbilder, die sich durch ihr Durchhaltevermögen hervorgetan hatten, Großes leisteten und dafür Anerkennung fanden. Die Bücher von Reinhold Messner kannte ich auswendig, parallel dazu fesselten mich die Biografien großer Wissenschaftler. Die Alleingänge von Messner am Nanga Parbat und Mount Everest, oder die des jungen Albert Einstein, der mit 26 Jahren unser Weltbild revolutionierte, lagen für mich nah beieinander.

Meine Kumpels interessierten sich für andere Dinge, darum empfand ich mich selbst als Einzelgänger. Zumindest in einem inneren Sinne. Ich sprach wenig über das, was mich fesselte, und wenn ich es doch tat, dann in so einem Redeschwall, dass ich alle damit überforderte und auf verständliche Ablehnung stieß.
Gedanken, die man nicht teilen kann, sind in unseren Köpfen gefangen wie ein Kanarienvogel in seinem Käfig. Aber innerhalb seines Käfigs ist dieses Vögelchen das freieste Wesen, das man sich vorstellen kann. Ich liebte es, mich bei meinen damals einsetzenden Joggingläufen gedanklich in den Himalaya zu versetzen, mit seinen gewaltigen Strapazen und Möglichkeiten, sich zu bewähren. Oder mir den jungen Einstein vorzustellen, der als junger Patentprüfer dritter Klasse nach Feierabend über seinen Gleichungen brütete.

Ich trainierte also damals bereits regelmäßig laufen und klettern, teils vor, teils nach der Schule, und las viel. Ich entfernte die Matratze aus meinem Bett und schlief zwei Jahre lang, bis ich volljährig war, Nacht für Nacht auf einer Pressspanplatte ohne jede Unterlage, um mich für die Bergsteigerei abzuhärten. Ich gewöhnte mich daran und fühlte mich frei in diesem Biwak.

Die Begeisterung für Sport und Wissenschaft hat mir in der Schule viel Ärger und beschwerliche Feindschaften eingebracht. Ich war körperlich ein Spätentwickler, außerdem sehr schlecht und faul in allen schulischen Lernfächern, darunter sämtliche Naturwissenschaften. Fast alle Jungs in der Klasse waren stärker, schneller und geschickter als ich, und mein mathematisches Unvermögen war grotesk. Während ich also von großen Abenteuern träumte und Taschengeld für Bücher zur Erkenntnistheorie ausgab, war meine reale Lebenswelt das Gegenteil davon. Die Jungen und Mädchen, aber auch die Lehrer um mich herum rieben mir das natürlich unter die Nase, wo immer sie konnten.

Alles schwankte. Ich war in jedem Jahr meiner Schullaufbahn Klassensprecher, außer in einem, als ich gerade die Schule gewechselt hatte. Ich wurde drei Jahre zum Schülersprecher des Gymnasiums gewählt. Gleichzeitig war ich immer wieder sehr unbeliebt. Mal hatte ich viele, dann wieder gar keine Freunde. Für Mädchen war ich unsichtbar, aber das vielleicht schönste Mädchen aus der Gegend ging mit mir. Dasselbe Chaos bei den Lehrern: In der 8. Klasse gewann ich einen Buchpreis für meine schulische Leistungen. In der 9. Klasse blieb ich sitzen, ohne dass ein einziger meiner Lehrer gefragt hätte, was los sei.

(Die schulische Lage spitzte sich weiter zu: Dass ich heute mehr als einen Hauptschulabschluss habe, verdanke ich dem nicht ganz regelkonformen Eingreifen eines einzelnen Lehrers, mit dem ich mich ab und zu nachmittags traf, um ihm bevorzugt über die Geschichte der Relativitätstheorie Löcher in den Bauch zu fragen. Das Internet als Wissensquelle gab es damals noch nicht. Aber das ist eine andere Geschichte. Ich begreife erst jetzt beim Schreiben, wie absurd sie ist.)

Ich war ein schmächtiger Kerl, aber das Lauftraining tat seine Wirkung. Bei einem 1000m-Lauf im Schulsport schlug ich alle anderen mit Leichtigkeit, was mich selbst überraschte. Doch das zählte nicht viel. Ganz im Gegenteil: Bereits bestehende Konflikte mit anderen Jungs wurden dadurch eher schlimmer.

Ich weiß nicht mehr genau, wie es dazu kam, aber irgendwie wurde ich danach in ein „Armdrücken“ mit einem der stärksten Jungs aus der Klasse verwickelt. Ich wollte nicht, denn die Sache war witzlos, der Ausgang klar. Entsprechend hämisch war die Stimmung der Umstehenden. Als geistiger Bergsteiger und aktiver Kletterer war ich eigentlich gar nicht so schlecht drauf. Ich hatte mich auf 69 Kilogramm runtergehungert und konnte mühelos 30 Klimmzüge am Stück. Aber gegen die Pranke auf der anderen Seite des Tisches waren meine Aussichten sehr schlecht.

Er begann lächelnd mit mäßigem Druck, seiner Sache sicher. Das war sein Fehler. Einer schnellen Attacke hätte ich nichts entgegensetzen können. Wie man sich eine Viertelstunde lang mit brennenden Armen in einer Felswand festkrallt, wusste ich jedoch nach vielen hundert Seillängen sehr gut. Als es nach zwei Minuten noch unentschieden stand, wendete sich das Blatt und ich spürte, heute ändert sich etwas in deinem Leben.

Einige Jahre später rannte ich bei einem Berglauf im Nachbarort vom Tal hinauf auf den Gipfel. 800 Höhenmeter auf 8 Kilometern Länge. Von Anfang an schrieen mich die Zuschauer an: Peeeter!! Peeeeeter!! Peeeeeeteeeer!!! Überall waren diese Rufe von Menschen, die ich nicht kannte und die mich nicht kannten. Was war los? Direkt an meinen Fersen lief Peter Zipfel, Deutscher Meister im Berglauf von 1985, Olympiateilnehmer im Skilanglauf und eine lokale Sportberühmtheit. Das war krass! Ich lief so schnell ich irgendwie konnte und war überwältigt von diesen alles vereinnahmenden Läuferschmerzen, die sich keiner vorstellen kann, wenn er sie nicht gerade spürt.

Zwei Kilometer vor dem Ziel dieses Berglaufs gibt es ein Flachstück von einigen hundert Metern Länge. Da Peter deutlich größer war als ich, erwartete ich dort seinen Angriff mit raumgreifendem Schritt. Alles in mir konzentrierte sich auf diese langsam herannahende Stelle. Ich sah sie von weitem, Peter kannte sie ganz sicher ebenfalls. Mit fliegendem Atem stürmten wir dort hinauf, ich voraus, Peter eine Armlänge dahinter. 10 Meter bevor die Straße sich neigte, attackierte ich so hart ich noch konnte. Ich bereute es auf der Stelle, denn das Gefühl zu ersticken war gewaltig, und das Ziel noch anderthalb teilweise steile Kilometer entfernt. Zehn, vielleicht 15 Meter betrug die Lücke zwischen uns. Leicht und locker würde er sie schließen können.

Als nach einer halben Minute (die Zeit läuft bekanntlich in Zeitlupe) der Abstand noch der gleiche war, passierte etwas Seltsames. Mich traf ein Adrenalinstoß, so gewaltig, dass ich im eigenen Körper zum Passagier wurde. Und der rannte, keuchte und spie, schmerzte, schrie und jubelte im Inneren, wie ich es nie wieder in der Weise erlebt habe. Im Ziel gab er mir empathisch die Hand, und ich heulte später Rotz und Wasser vor Glück und Befreiung. Im Dorf begann man mich zu grüßen, und irgendwie presste sich aus alldem ein Tröpfchen Öl hervor, das mir bisher gefehlt hatte und alle Reibung etwas leichter machte.

Die Schere zwischen innerem und äußerem Leben, die an allen jungen Menschen zerrt, schloss sich für diesen sportlichen Teil meines Lebens. Zumindest ein wenig. Es machte keinen neuen Menschen aus mir, fühlte sich aber nachhaltig gut an.

Vielleicht ist dieses Gefühl gemeint, wenn man sagt, man sei im Einklang mit sich selbst. Tatsächlich ist man das ja nur hin und wieder, für einige Momente. Viele davon lagen für mich im Sport, wenn ich gemeinsam mit Frank durch die Wälder streifte, oder allein mit einem Walkman dem Schatten davonflog, der allabendlich die Berghänge hinaufkriecht.

Toll geschrieben.:Blumen: :Blumen:
In einigen Situationen kann ich mich ganz klar wiedererkennen.

Vicky 27.01.2016 20:41

Arne, von Deinem Trainingsmanager bekomme ich ja langsam nervöse Zuckungen. Rad... hui...

aber... SCHWIMMEN??? :Lachen2:

Bekommen wir morgen Deine neue Schwimmhosen-Kollektion zu sehen? :Blumen: :Cheese:

LG!

Hippoman 28.01.2016 08:25

Zitat:

Zitat von Vicky (Beitrag 1200003)
Arne, von Deinem Trainingsmanager bekomme ich ja langsam nervöse Zuckungen. Rad... hui...

aber... SCHWIMMEN??? :Lachen2:

Bekommen wir morgen Deine neue Schwimmhosen-Kollektion zu sehen? :Blumen: :Cheese:

LG!

...und was ist mit Laufen? :Cheese:

@Arne

Als wir uns am letzten Sonntag bei meinem 3h-Lauf begegneten, hatte ich, bei 0 "Outdoor- Kilometer" mit dem Rennrad in diesem Jahr, ein richtig schlechtes Gewissen...:)
Wenigstens sind´s auf der Rolle bereits knapp 200 km in diesem Jahr.

Viele Grüße

Hippoman :cool:

Klugschnacker 30.01.2016 01:27

Der Protagonist des Romans, den ich damals las, war um die 50 Jahre alt. Es sei eine Zeit, wie er feststellte, in der eine innere Liste an Bedeutung gewinnt: Dinge, die man gerne noch machen würde, bevor man zu alt ist.

Auf seiner persönlichen Liste standen: Ein Zelt aufstellen, mit einem Motorrad durch England fahren, mit zwei Frauen schlafen, eine Fantasie von Chopin auf dem Klavier spielen lernen, ein Jahr in einer fremden Stadt leben, irgendwo am Mittelmeer, an einem lebhaften Marktplatz, und nie die Fenster schließen.

Ich ging die Liste in Gedanken durch, stellte mir die Bilder und Stimmungen vor, und begann schließlich in innerer postkoitaler Mattigkeit, vage über eine eigene Liste nachzudenken, als ich dösig aufwachte. Ich lag im Gras. Eine Kuh war mit schnaubend-rupfenden Geräuschen nahe gekommen. Ich schaute sie abwesend an, während sie Sauerampfer wiederkäute und ich alte Träume. Neben mir lag mein Rennrad, eine Papiertüte und etwas Rotes.

Ich war bereits eine ganze Weile unterwegs. Ganz früh war ich im Morgentau über den Schauinsland geradelt und hatte auf kleinen Straßen fast den gesamten Südschwarzwald überquert. St. Blasien, Albtal, dann teilweise steil nach Gresgen und weiter ins Kleine Wiesetal. Einen Berg noch bis Kandern, dort wollte ich in einer Bäckerei einem sich anschleichenden Hungerast ein Schnippchen schlagen.

Da angekommen schlug mir das plötzliche Stillstehen auf’s Gemüt. Ich hatte mich den ganzen Tag über sehr beeilt, um meine Tour zu schaffen, bevor mich die Erde wieder in ihren Schatten wälzte. Die Sonne stand schräg und ich hatte es eilig. Die Frau an der Bäckertheke quatschte seelenruhig mit der Dame vor mir, die nicht im Traum daran zu denken schien, zur Seite zu springen, wenn eine Naturgewalt mit zweitausend Mückenleichen an den Armen die Bäckerei betrat. Ich wartete ungeduldig. Der Schweiß brach mir aus, tat es der Zeit gleich und lief davon. Ich beschloss, der Welt eine Lehre zu erteilen und stakste entrüstet, mit tadelnder Körpersprache, aber unverrichteter Dinge wieder aus dem Laden heraus. Man muss Prinzipien haben. Außerdem kann man sich von so Volk ja nicht erpressen lassen, oder? Eben.

Direkt hinter Kandern fiel mich der lauernde Hungerast an wie ein wildes Tier. Ich war wie ausgeknipst. Auf den kleinsten Gängen schleppte ich mich würdelos in der prallen Sonne über die Hügel. Unter einem Apfelbaum fand ich eine kleine steinharte grüne Kugel, die so sauer und stumpf schmeckte, dass ich von ihr abließ. Und einen faustgroßen bräunlichen Beutel mit weißem Schimmel links vom Nordpol, gefüllt mit etwas Matschigem. Offenbar eine ältere Apfelleiche. Pfui Teufel! Soll mir nochmal jemand was von der schönen Natur des Schwarzwaldes erzählen!

Der nächste Ort heißt Badenweiler. Er ist genau wie der vorige Ort, nur dass hier aufgrund der zahlreichen Kurgäste alles dreimal so teuer ist und doppelt so lange dauert. Entschlossen betrat ich die erste Bäckerei am Platze, die allerdings nicht Bäckerei hieß, sondern irgendwas französisches. Ein Schild im Schaufenster klärte mich auf, dass man per Onlineshop auch ins Ausland liefere. Ich kaufte für gefühlte 20 Euro drei große Stücke Kirschkuchen, jedes so hoch wie ein Ziegelstein. Für ein Getränk reichte das Geld nicht mehr, aber die Tragweite dieser Tatsache erkannte ich erst später. Die Bedienung drapierte den Scheisskuchen so umständlich und zeitraubend auf Pappunterlagen, Plastikfolie, Papier, Plastikfolie, Papier und Plastikfolie, als wolle sie prüfen, wann ich endgültig die Fassung verlöre.

Mit einer breiten Papiertüte samt verstärktem Boden und zwei Henkeln verließ ich tuntig den Laden. Ich wahrte mühsam die Contenance bis um die nächste Häuserecke, danach veranstaltete ich das überfällige Massaker, einen kulinarischen Notwehrexzess abseits jeder Kinderstube. Es schmeckte herrlich.

Zugegeben: Nach dieser Druckbetankung war mir etwas blümerant um die Körpermitte. Ein Stau in der oberen Speiseröhre erinnerte mich daran, dass nach dem Verzehr einer Schubkarre voll Weizenmehl, Zucker, Gelatine und Schwarzkirschen ein Schluck Wasser gut täte. Ich sammelte etwas Speichel, schließlich zählt die gute Absicht. Mein Magen kämpfte. Ich fuhr weiter, und fasste den Plan, einen der Brunnen in der Nähe anzusteuern. Hatten meine Oberschenkel immer schon beim Treten in den Bauch geboxt? War mir schon vorher das Sitzleder nasskalt erschienen, und selbst der Oberlenker sehr weit unten? Mir war kotzübel. Ich schaffte es nicht bis zu einem Brunnen. Ich hielt an und legte mich nahe der Straße auf eine Wiese.

Den Rest kennt Ihr bereits. Anmerken kann ich noch, dass die drei Stücke Kirschkuchen und ich getrennte Wege gingen. Die Ästheten unter Euch kann ich vielleicht beruhigen, wenn ich versichere, dass die Kirschmasse auch nach unserer Trennung noch wunderbar nach Kirschen gerochen hat. Vorausschauende Naturen hätten sie vielleicht sogar wieder in die Tüte gepackt und mitgenommen, schließlich war ich total pleite und nach Hause war es noch weit. Doch ich begriff diesen Wink des Schicksals und ließ von den Kirschen leichten Herzens ab.

Ich lag im Gras und dachte an den Satz meines Jugendfreundes Philipp: Je mehr Du brauchst, desto weniger bist Du frei.

LidlRacer 30.01.2016 01:42

Hätte nicht gedacht, dass die erste Story noch wesentlich steigerungsfähig wäre, aber Du hast mich gerade eines Besseren belehrt!
Ich werd süchtig!
Mehr, mehr, mehr!!!! :Lachen2:

FMMT 30.01.2016 05:29

Zitat:

Zitat von LidlRacer (Beitrag 1200562)
Hätte nicht gedacht, dass die erste Story noch wesentlich steigerungsfähig wäre, aber Du hast mich gerade eines Besseren belehrt!
Ich werd süchtig!
Mehr, mehr, mehr!!!! :Lachen2:

+1 :Cheese: :Blumen:


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