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tandem65 06.06.2016 17:07

Hi Arne,

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1227653)
Gibt es beispielsweise Argumente dafür, warum Moses und Jesus mit ihren Aussagen näher an der Wahrheit seien als Mohammed?

Einmal ist Moses eher einer der Grundpfeiler des jüdischen Glaubens. Für Christen ist Jesus der Anker.
Was ist Wahrheit für Dich in dem Kontext?

Klugschnacker 06.06.2016 17:18

Zitat:

Zitat von tandem65 (Beitrag 1227769)
Was ist Wahrheit für Dich in dem Kontext?

Mir sind die Schwierigkeiten dieses Begriffes bewusst. Vielleicht kann man eine genauere Definition zunächst weglassen, da lediglich zwei Religionen miteinander verglichen werden sollen. Es genügt also ein sehr weit gefasster Wahrheitsbegriff, sofern wir ihn auf beide Religionen gleichermaßen anwenden.

Ich suche ein Kriterium, das es gestattet, Glaube A für wahr zu halten und Glaube B für unwahr, oder zumindest für weniger wahr.

qbz 06.06.2016 19:31

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1227653)
Zwei Fragen drängen sich noch auf:

1. Ist der christliche Glaube glaubwürdiger als der anderer Religionen?
Ich interessiere mich dabei vor allem für religiöse Argumente, weniger für wissenschaftliche. Gibt es beispielsweise Argumente dafür, warum Moses und Jesus mit ihren Aussagen näher an der Wahrheit seien als Mohammed? Mit welchem Kriterium ließe sich das entscheiden?

Danke für Eure Geduld. :Blumen:

Interessant finde ich zu diesem Thema diesen Text von Ratzinger (ehemaliger Papst):

Joseph Cardinal Ratzinger: "Die Christenheit, die Entmythologisierung und der Sieg der Wahrheit über die Religionen."

Er nimmt eine Positionsbestimmung des Christentums in der Neuzeit vor. Am Anfang bringt er ein Bild, wonach die verschiedenen monotheistischen Religionen unterschiedliche Teile einen götttlichen Ganzen reflektieren:

"Der Streit der Religionen erscheint den Menschen von heute wie dieser Streit der Blindgeborenen. Denn blind geboren sind wir den Geheimnissen des Göttlichen gegenüber, so scheint es. Das Christentum befindet sich für das heutige Denken keineswegs in einer positiveren Perspektive als die anderen – Gegenteil: Mit seinem Wahrheitsanspruch scheint besonders blind zu sein gegenüber der Grenze all unserer Erkenntnis des Göttlichen, durch einen besonders törichten Fanatismus gekennzeichnet, der das in eigener Erfahrung betastete Stück unbelehrbar für das Ganze erklärt."

Er setzt sich dann unter anderem kenntnisreich mit der historischen Entwicklung der Wahrheit der Wissenschaften auseinander und bestimmt ihnen gegenüber die Wahrheit ("religio vera") und den Ethos des Christentums. Er schliesst mit:

"Tatsächlich muß jede Erklärung des Wirklichen ungenügend bleiben, die nicht auch ein Ethos sinnvoll und einsichtig begründen kann. Nun hat in der Tat die Evolutionstheorie, wo sie sich zur philosophia universalis auszuweiten anschickt, auch das Ethos evolutionär neu zu begründen versucht. Aber dieses evolutionäre Ethos, das seinen Schlüsselbegriff unausweichlich im Modell der Selektion, also im Kampf ums Überleben, im Sieg des Stärkeren, in der erfolgreichen Anpassung findet, hat wenig Tröstliches zu bieten. Auch wo man es auf mancherlei Weise zu verschönern strebt, bleibt es letztlich ein grausames Ethos. Das Bemühen, aus dem an sich Vernunftlosen das Vernünftige zu destillieren, scheitert hier recht augenfällig. Zu einer Ethik des universalen Friedens, der praktischen Nächstenliebe und der nötigen Überwindung des Eigenen, die wir brauchen, ist dies alles wenig tauglich.

Der Versuch, in dieser Krise der Menschheit dem Begriff des Christentums als religio vera wieder einen einsichtigen Sinn zu geben, muß sozusagen auf Orthopraxie und Orthodoxie gleichermaßen setzen. Sein Inhalt wird heute – letztlich wie damals – im Tiefsten darin bestehen müssen, daß Liebe und Vernunft als die eigentlichen Grundpfeiler des Wirklichen zusammenfallen: Die wahre Vernunft ist die Liebe, und die Liebe ist die wahre Vernunft. In ihrer Einheit sind sie der wahre Grund und das Ziel alles Wirklichen."

Er stellt damit einer darwinistisch verstandenen Gesellschaftsauffassung (IMHO kritikwürdige Ausdehnung der biologischen Evolutionstheorie auf die soziale Evolution des Menschen), welche die Menschheit in die Krise geführt habe, die Liebe und die wahre Vernunft als Grundpfeiler des Christentums gegenüber. Ausserhalb des Glaubens (der Spiritualität) an die Liebe und Vernunft scheint es kein Kriterium für ein "religio vera" zu geben.

Bernd S. 06.06.2016 20:16

Zitat:

Zitat von qbz (Beitrag 1227797)
Interessant finde ich zu diesem Thema diesen Text von Ratzinger (ehemaliger Papst):

Joseph Cardinal Ratzinger: "Die Christenheit, die Entmythologisierung und der Sieg der Wahrheit über die Religionen."

Er nimmt eine Positionsbestimmung des Christentums in der Neuzeit vor. Am Anfang bringt er ein Bild, wonach die verschiedenen monotheistischen Religionen unterschiedliche Teile einen götttlichen Ganzen reflektieren...

Dass hier Papst Benedikt tatsächlich von dem ein oder anderen User gelesen wird, überrascht mich wirklich positiv.:liebe053:
Vielleicht ein Hinweis noch zu der Bezeichnung "ehemaliger Papst": Papst Benedikt ist emeritiert. Ist aber net wirklich ausschlaggebend.

Schwarzfahrer 06.06.2016 20:27

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1227719)
Aus meiner laienhaften Sicht stellt sich die Frage: Warum nicht?

Dabei will ich weder für den Mono-, noch für den Polytheismus Partei ergreifen. Ich interessiere mich für das Kriterium, nach dem Du das entscheidest.
:Blumen:

Ich bin in einer Welt großgeworden ,in dem das System geglaubt hat, die einzige Wahrheit zu kennen. Dadurch habe ich von klein auf gelernt, daß jeder Versuch, DIE WAHRHEIT für alle festzulegen, zu autoritären, diktatorischen, dogmatischen und im Endeffekt nicht lebenswerten Systemen führt. Ob es dabei um Islam, Kommunismus oder Vegetariertum geht - es mag für einen oder anderen die richtige Wahl sein, aber nie für alle und für immer gültig. Religionen lassen sich nicht wie Physik, die Gravitationsgesetze oder der erste Satz der Thermodynamik betrachten, ihre Aussagen sind nicht wissenschaftlich überprüfbar oder widerlegbar.

Trithos, Dein Zitat drückt mein Verständnis perfekt aus:

Zitat:

Zitat von trithos (Beitrag 1227745)
...Vertraue denen, die die Wahrheit suchen. Aber hüte Dich vor denen, die sie gefunden haben!


Schwarzfahrer 06.06.2016 20:35

Zitat:

Zitat von qbz (Beitrag 1227797)
... Ausserhalb des Glaubens (der Spiritualität) an die Liebe und Vernunft scheint es kein Kriterium für ein "religio vera" zu geben.

Ähnliche Texte von Ratzinger habe ich auch mal gelesen; der Tenor lief für mich damals darauf hinaus, daß ohne religiösen Glauben gar keine Moral oder moralisches Verhalten möglich sein soll. Als vollkommen nicht-religiöser Mensch fühle ich mich dadurch schon etwas angegriffen: implizit unterstellt mir diese Behauptung, daß ich gar nicht in der Lage bin, moralisch richtige Entscheidungen zu treffen. Dabei bin ich sicher, daß es auch andere Wege als Religion gibt, Moral, Anstand, positive Werte zu lernen und zu erhalten.
Damit ist Ratzinger für mich ein Beispiel für Einen, der die Wahrheit gefunden zu haben glaubt, statt danach zu suchen (s. oben).

Bernd S. 06.06.2016 20:42

Zitat:

Zitat von Schwarzfahrer (Beitrag 1227815)
Ähnliche Texte von Ratzinger habe ich auch mal gelesen; ...
Damit ist Ratzinger für mich ein Beispiel für Einen, der die Wahrheit gefunden zu haben glaubt, statt danach zu suchen (s. oben).

Darf ich Dich fragen, welche seiner Schriften Du gelesen hast, die Dich zu diesem finalen Entschluss gebracht haben?

Klugschnacker 06.06.2016 21:43

Zitat:

Zitat von qbz (Beitrag 1227797)
"Tatsächlich muß jede Erklärung des Wirklichen ungenügend bleiben, die nicht auch ein Ethos sinnvoll und einsichtig begründen kann. Nun hat in der Tat die Evolutionstheorie, wo sie sich zur philosophia universalis auszuweiten anschickt, auch das Ethos evolutionär neu zu begründen versucht. Aber dieses evolutionäre Ethos, das seinen Schlüsselbegriff unausweichlich im Modell der Selektion, also im Kampf ums Überleben, im Sieg des Stärkeren, in der erfolgreichen Anpassung findet, hat wenig Tröstliches zu bieten. Auch wo man es auf mancherlei Weise zu verschönern strebt, bleibt es letztlich ein grausames Ethos. Das Bemühen, aus dem an sich Vernunftlosen das Vernünftige zu destillieren, scheitert hier recht augenfällig."

Danke qbz für Deine Erläuterungen. Ich habe sie jetzt mehrfach gelesen, und auch in dem Link gestöbert. Ich hatte ja um eine religiöse Antwort gebeten. Der Papst hat seine Antwort aus realen Tatsachen abgeleitet, nämlich aus dem Mechanismus der Evolution. Daher ist sie nur zum Teil religiös.

Wenn ich ganz ehrlich sein darf, ohne jemanden verletzen zu wollen: Ich bin wirklich erschüttert über den laienhaften Unsinn, den er da verzapft. So oder schlimmer muss es für ihn klingen, wenn ich laut über Religion und Glauben nachdenke. Ratzingers Verständnis vom Wirken der Evolution reicht nicht an ein naturwissenschaftliches Abitur heran. Hat er keine Berater, die ihm da in den Arm fallen, bevor so etwas veröffentlicht?

Ich kann gerne die drei wichtigsten Irrtümer des zitierten Absatzes erläutern. Allerdings sind wird dann auf der Ebene der Wissenschaft. Eigentlich wollte ich etwas über eine rein religiöse Antwort erfahren auf die Frage, wie eine Religion ihren Wahrheitsanspruch gegenüber anderen Religionen rechtfertigt.

Grüße,
Arne

Schwarzfahrer 06.06.2016 21:44

Zitat:

Zitat von Bernd S. (Beitrag 1227819)
Darf ich Dich fragen, welche seiner Schriften Du gelesen hast, die Dich zu diesem finalen Entschluss gebracht haben?

Es ist kein "finaler Entschluss", sondern ein Eindruck aus einem längeren Artikel von Ratzinger, den ich gelesen habe, kurz nachdem er zum Papst gewählt wurde (was er aber länger davor geschrieben haben soll) - also viele Jahre her. Der Artikel hat mich nicht motiviert, mehr von ihm zu lesen, und ich habe ihn auch nicht aufgehoben, da ich mit seiner Haltung nichts anfangen kann. Während seiner Amtszeit habe ich gelegentlich Interviews gehört/gelesen, die ihn mir aber auch kaum (inhaltlich) näher gebracht haben. Bin halt ein unverbesserlicher Heide ;)

qbz 07.06.2016 09:05

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1227841)
......
Wenn ich ganz ehrlich sein darf, ohne jemanden verletzen zu wollen: Ich bin wirklich erschüttert über den laienhaften Unsinn, den er da verzapft. So oder schlimmer muss es für ihn klingen, wenn ich laut über Religion und Glauben nachdenke. Ratzingers Verständnis vom Wirken der Evolution reicht nicht an ein naturwissenschaftliches Abitur heran. Hat er keine Berater, die ihm da in den Arm fallen, bevor so etwas veröffentlicht?

Ich kann gerne die drei wichtigsten Irrtümer des zitierten Absatzes erläutern. Allerdings sind wird dann auf der Ebene der Wissenschaft. Eigentlich wollte ich etwas über eine rein religiöse Antwort erfahren auf die Frage, wie eine Religion ihren Wahrheitsanspruch gegenüber anderen Religionen rechtfertigt.

Grüße,
Arne

Ratzinger bezieht sich in dem Absatz halt unter anderem auf Annahmen des Sozialdarwinismus, welche Darwins Begriff "Survival of the Fittest" schon falsch verstanden und auf die Gesellschaft übertrugen, nämlich als "Sieg des Stärkeren" im "Kampf um das Überleben". Das dient ihm dann als Hauptargument, weshalb die Menschheit eine christliche Religion braucht.

Klugschnacker 07.06.2016 09:36

Zitat:

Zitat von qbz (Beitrag 1227916)
Ratzinger bezieht sich in dem Absatz halt unter anderem auf Annahmen des Sozialdarwinismus, welche Darwins Begriff "Survival of the Fittest" schon falsch verstanden und auf die Gesellschaft übertrugen, nämlich als "Sieg des Stärkeren" im "Kampf um das Überleben". Das dient ihm dann als Hauptargument, weshalb die Menschheit eine christliche Religion braucht.

Wenn das Christentum wegen der falsch verstandenen Evolutionstheorie nötig ist, wird es doch überflüssig, sobald man sie richtig versteht.

Es ist leider ganz offensichtlich, dass Ratzinger die Wirkungsweise der Evolution nicht begreift. Oder sie ignoriert. Mich wundert das, denn in den theologischen Bibliotheken, in denen ich bisher war, gibt es mehr als genug wissenschaftliche Literatur zu diesem Thema; das wird im Vatikan kaum anders sein. Er kann außerdem Fachleute bitten, ihm das zu erläutern ("Hello Mister Dawkins, this ist the Pope speaking, ...")
:Cheese:

Schwarzfahrer 07.06.2016 12:00

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1227841)
... Eigentlich wollte ich etwas über eine rein religiöse Antwort erfahren auf die Frage, wie eine Religion ihren Wahrheitsanspruch gegenüber anderen Religionen rechtfertigt.

Ich fürchte, nach all dem, was ich in Diskussionen mit religiösen, tief Gläubigen Menschen erlebt habe, gibt es darauf keine rationale, logische Antwort. Religionen glauben sich nicht rechtfertigen zu müssen, weil sie axiomatisch ihre Ansicht, ihre Thesen, Ansichten, Moralvorstellungen als das Einzig Richtige ansehen und darstellen, und von ihrer Überlegenheit zutiefst überzeugt sind. Das ist für mich ein grundlegender Wesenszug der Religion. Und dieser Glauben wird auch durch dem Glauben offensichtlich widersprechende Fakten nicht erschüttert, sondern durch beliebige Gedankenknoten ins Glaubensgebäude eingebaut - dazu können Psychologen sicher noch einiges sagen.

Es ist wohl für viele Menschen sehr bequem, sich bei schwierigen Fragen nach dem Warum einfach auf eine höhere Instanz oder Autorität zu berufen, und sich so des Problems zu entledigen. Gott und der Glaube als letzte Antwort auf alles ist diesen Menschen genug (habe ich so mehrfach gehört).

MattF 07.06.2016 12:13

Zitat:

Zitat von Schwarzfahrer (Beitrag 1227991)
Ich fürchte, nach all dem, was ich in Diskussionen mit religiösen, tief Gläubigen Menschen erlebt habe, gibt es darauf keine rationale, logische Antwort. Religionen glauben sich nicht rechtfertigen zu müssen, weil sie axiomatisch ihre Ansicht, ihre Thesen, Ansichten, Moralvorstellungen als das Einzig Richtige ansehen und darstellen, und von ihrer Überlegenheit zutiefst überzeugt sind. Das ist für mich ein grundlegender Wesenszug der Religion. Und dieser Glauben wird auch durch dem Glauben offensichtlich widersprechende Fakten nicht erschüttert, sondern durch beliebige Gedankenknoten ins Glaubensgebäude eingebaut - dazu können Psychologen sicher noch einiges sagen.


In meinen augen gibt es aber nur sehr wenige Menschen die das tatsächlich 100% durchziehen.

Die meisten Christen (von denen rede ich mal) denken schon im Alltag weitgehend rational. Z.b. benutzen glaub ich 80% oder mehr Katholiken Verhütungsmittel, obwohl die Kirche was anderes sagt. Es wird also keineswegs einfach das übernommen was vorgekaut wird, sondern schon auch selber gedacht.

zappa 07.06.2016 12:26

DIE katholische Kirche? Mal ein Überblick: https://de.m.wikipedia.org/wiki/List...r_Konfessionen

Die Wirklichkeit sieht auch diesem System tatsächlich so unterschiedlich aus, dass Vereinfachungen nicht besonders zielführend sind - auch wenn der Wunsch nach "Klarheit" und "Eindeutigkeit" und "Wahrheit" verständlich ist. Ein ausdifferenziertes, komplexes System.

Und mit dem Begriff "Glauben" ist, denke ich, schon viel gesagt. Glauben ist nicht unbedingt Wissen, weder im religiösen, noch in allen anderen Systemen.

Schwarzfahrer 07.06.2016 15:18

Zitat:

Zitat von MattF (Beitrag 1227994)
In meinen augen gibt es aber nur sehr wenige Menschen die das tatsächlich 100% durchziehen.

Die meisten Christen (von denen rede ich mal) denken schon im Alltag weitgehend rational. Z.b. benutzen glaub ich 80% oder mehr Katholiken Verhütungsmittel, obwohl die Kirche was anderes sagt. Es wird also keineswegs einfach das übernommen was vorgekaut wird, sondern schon auch selber gedacht.

Stimmt, im Hinblick auf die Details von biblischen oder vatikanischen oder koran-mäßigen Geboten verhalten sich die meisten eher pragmatisch; darum ging es mir aber weniger. Was ich meinte, ist trotzdem bei vielen vorhanden: eine starke innere Überzeugung, daß die eigene Religion allen anderen Überlegen, bzw. die einzig richtige ist. Eine große innere Sicherheit, daß alles nach dem Willen des Allmächtigen geschieht, und alles, was für uns keinen Sinn ergibt, einen höheren Sinn hat - den wir gar nicht zu verstehen brauchen. Merkwürdigerweise können solche Menschen sogar aus Schicksalsschlägen und Unerklärlichem neuen Glauben schöpfen, gerade weil die Vernunft versagt. Es ist eine mir sehr fremde, irrationale Welt, der ich nie angehören kann. Man kann aber solche Leute auch beneiden, weil so manches für sie einfacher ist.

MattF 07.06.2016 15:43

Zitat:

Zitat von Schwarzfahrer (Beitrag 1228043)
Was ich meinte, ist trotzdem bei vielen vorhanden: eine starke innere Überzeugung, daß die eigene Religion allen anderen Überlegen, bzw. die einzig richtige ist.


Man kann in die Köpfe der Menschen nicht hineinschauen, von daher kann ich letztlich nicht beurteilen wie viele das wirklich glauben. 1%, 10%, 50% ?????


Dass viele glauben, dass ihre Kultur anderen überlegen ist, das kann man ja an den Wahlergebnissen der AfD sehen :-(

waden 07.06.2016 19:39

Zitat:

Zitat von trithos (Beitrag 1227745)
Ja, das finde ich auch. Und ich will Euch nicht mit Kalendersprüchen nerven, aber es gibt [...] ein Zitat des französischen Schriftstellers Andre Gide, das ohnehin recht populär ist und daher auch in verschiedenen Versionen kursiert. Ich habe es so kennen gelernt:

Vertraue denen, die die Wahrheit suchen. Aber hüte Dich vor denen, die sie gefunden haben!

Ist es aber nicht so, dass es gerade das Wesen von Religion ist, die unhinterfragbare Wahrheit zu kennen, während Grundsatz der wissenschaftlichen Methode ist, Theorien zu erstellen und sie immer wieder durch neue Hypothesen infrage zu stellen? Oder, noch deutlicher gesagt: sagt dieses von dir geschätzte Zitat nicht: halte dich an dich an die suchende Naturwissenschaft und hüte dich vor den Religionen!?

(Toller Thread - ich lese auch jetzt noch gerne weiter mit)

waden 07.06.2016 19:48

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1227929)
"Es ist leider ganz offensichtlich, dass Ratzinger die Wirkungsweise der Evolution nicht begreift. Oder sie ignoriert. Mich wundert das, denn in den theologischen Bibliotheken, in denen ich bisher war, gibt es mehr als genug wissenschaftliche Literatur zu diesem Thema;
:Cheese:

"

Ratzinger sprach an anderer Stelle auch von "richtig verstandender Naturwissenschaft", die dann aber einfach gar keine Naturwissenschaft mehr ist. Der Versuch, die Glaubensgrundsätze mit den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen in Einklang zu bringen, scheitert daran. Ich denke, es geht einfach nicht bzw. nur auf diesem Weg des Miss- oder Unverständnisses.

Pascal 07.06.2016 19:59

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1227774)
Ich suche ein Kriterium, das es gestattet, Glaube A für wahr zu halten und Glaube B für unwahr, oder zumindest für weniger wahr.

Holzschnitzartig und simplifiziert ist der wesentliche Unterschied zwischen Jesus und Jeremia, Jesaja, Mohammed etc. schlicht, dass der erstgenannte Gottes Sohn ist, während die anderen alle irgendwelche Propheten sind.

Nimmt man Gott (Allah) als gesetzte Größe, steht ihm sein Sohn einfach näher als irgendeine andere Person. Oder wie im Kartenspiel: Ober sticht Unter. Oder Blut ist dicker als Wasser, um noch ein Sinnbild zu gebrauchen.

Pascal 07.06.2016 20:26

Zitat:

Zitat von Schwarzfahrer (Beitrag 1228043)
Eine große innere Sicherheit, daß alles nach dem Willen des Allmächtigen geschieht, und alles, was für uns keinen Sinn ergibt, einen höheren Sinn hat - den wir gar nicht zu verstehen brauchen. Merkwürdigerweise können solche Menschen sogar aus Schicksalsschlägen und Unerklärlichem neuen Glauben schöpfen, gerade weil die Vernunft versagt. Es ist eine mir sehr fremde, irrationale Welt, der ich nie angehören kann. Man kann aber solche Leute auch beneiden, weil so manches für sie einfacher ist.

Ich kann mich in die Denkweise die Du nachstellt gut einfühlen. Was wäre die bessere oder richtigere Alternative oder Vorgehensweise bei einem Schicksalsschlag zu agieren? Was tröstet Eltern, die ihr Kind in jungen Jahren verloren haben durch Krankheit oder Unfall ? Die Ratio sich zuzusprechen "Shit happens"? Wie würdest Du solchen Eltern Trost und Beistand zusprechen?

Am Rande sei bemerkt, dass bei einer Vielzahl von Katastrophen und schrecklichen Ergeignissen Notfallseelsorger im Einsatz sind. Darin steckt das Wort Seele. Es scheint also sehr gebräuchlich und vermutlich auch sehr hilfreich zu sein, Menschen die in solchen Situationen bestehen müssen nicht nur einen Naturwissenschaftler beizustellen, der bei einem Unfalltod die physikalischen Gesetzmäßigkeiten erläutert oder bei Krankheitstod einen Mediziner beizubringen, der biochemische Prozesse beschreibt.

Klugschnacker 07.06.2016 20:40

Zitat:

Zitat von Pascal (Beitrag 1228153)
Ich kann mich in die Denkweise die Du nachstellt gut einfühlen. Was wäre die bessere oder richtigere Alternative oder Vorgehensweise bei einem Schicksalsschlag zu agieren? Was tröstet Eltern, die ihr Kind in jungen Jahren verloren haben durch Krankheit oder Unfall ? Die Ratio sich zuzusprechen "Shit happens"? Wie würdest Du solchen Eltern Trost und Beistand zusprechen?

Am Rande sei bemerkt, dass bei einer Vielzahl von Katastrophen und schrecklichen Ergeignissen Notfallseelsorger im Einsatz sind. Darin steckt das Wort Seele. Es scheint also sehr gebräuchlich und vermutlich auch sehr hilfreich zu sein, Menschen die in solchen Situationen bestehen müssen nicht nur einen Naturwissenschaftler beizustellen, der bei einem Unfalltod die physikalischen Gesetzmäßigkeiten erläutert oder bei Krankheitstod einen Mediziner beizubringen, der biochemische Prozesse beschreibt.

Sicher nicht, da hast Du recht. Dafür ist die Wissenschaft oft nicht geeignet. Wohl aber die Philosophie und die Kunst.

Worin besteht religiöser Trost im Kern? Dass Gott es so wollte?

Nehmen wir an, ein Embryo wird noch im Mutterleib von Bakterien befallen und kommt schließlich tot zu Welt. Es ist aus meiner Sicht schwierig, hier die Vorsehung eines gütigen und gerechten Gottes ins Spiel zu bringen. Naturwissenschaft, also das Verständnis über die realen Ursachen dieses Unglücks, kann möglicherweise durchaus zur seelischen Verarbeitung beitragen. Ich würde das nicht per se ausschließen. Philosophie, Kunst und die Begegnung mit anderen Menschen sind mögliche weitere Wege, um so etwas zu bewältigen.
:Blumen:

qbz 07.06.2016 21:26

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1228157)
Sicher nicht, da hast Du recht. Dafür ist die Wissenschaft oft nicht geeignet. Wohl aber die Philosophie und die Kunst.

Worin besteht religiöser Trost im Kern? Dass Gott es so wollte?

Nehmen wir an, ein Embryo wird noch im Mutterleib von Bakterien befallen und kommt schließlich tot zu Welt. Es ist aus meiner Sicht schwierig, hier die Vorsehung eines gütigen und gerechten Gottes ins Spiel zu bringen. Naturwissenschaft, also das Verständnis über die realen Ursachen dieses Unglücks, kann möglicherweise durchaus zur seelischen Verarbeitung beitragen. Ich würde das nicht per se ausschließen. Philosophie, Kunst und die Begegnung mit anderen Menschen sind mögliche weitere Wege, um so etwas zu bewältigen.
:Blumen:

Gerade bei Totgeburten hatten u. haben es katholische Eltern leider sehr schwer bei der religiösen Verarbeitung. Der Embryo hat eine Seele, der, weil ungetauft und mit der Erbsünde behaftet verstorben, die katholische Kirche die kirchliche Friedhofsbestattung sowie den Himmelszutritt (Erlösung) verwehrt(e).

Bei der Notfallseelsorge sehe ich vor allem die psychologische Begleitung und Ausbildung im Vordergrund (weniger die religiöse), d.h. seelische (psychische) Hilfe für akut traumatisierte Menschen.

Schwarzfahrer 07.06.2016 21:38

Zitat:

Zitat von MattF (Beitrag 1228057)
Man kann in die Köpfe der Menschen nicht hineinschauen, von daher kann ich letztlich nicht beurteilen wie viele das wirklich glauben. 1%, 10%, 50% ?????

Kann ich auch nicht; dürfte sich stark unterscheiden, je nach dem ob Du ein Kollektiv an einer naturwissenschaftlichen Uni, Mönche in einem Kloster, oder gar ein Lager der Taliban betrachtest. Einzelfälle dieser Denkweise trifft man aber überall, oft höchst überraschend, da man es den Leuten nicht ansieht, nur wenn zufällig das Thema im Detail diskutiert wird, kommt es raus.

Zitat:

Zitat von MattF (Beitrag 1228057)
Dass viele glauben, dass ihre Kultur anderen überlegen ist, das kann man ja an den Wahlergebnissen der AfD sehen :-(

Und am Gehabe der Taliban und des IS, und, und, und viele Abstufungen dazwischen :-(
Ich halte das für ein zutiefst menschliches Verhalten, womit man leben und immer rechnen muß. Bis zu einem gewissen Maß ist das ein Zeichen für ein gesundes Selbstbewußtsein, aber die Grenze zur Feindseligkeit ist leider schnell überschritten.

Schwarzfahrer 07.06.2016 21:55

Zitat:

Zitat von Pascal (Beitrag 1228153)
Ich kann mich in die Denkweise die Du nachstellt gut einfühlen. Was wäre die bessere oder richtigere Alternative oder Vorgehensweise bei einem Schicksalsschlag zu agieren? Was tröstet Eltern, die ihr Kind in jungen Jahren verloren haben durch Krankheit oder Unfall ? Die Ratio sich zuzusprechen "Shit happens"? Wie würdest Du solchen Eltern Trost und Beistand zusprechen?


Es gibt keine allgemein "bessere" oder gar "richtigere" Vorgehensweise, nur eine, die zum Betroffenen paßt, ihm hilft, ihm gerecht wird. Ich kann mit der Art Trost und Halt, wie es tief religiöse Menschen in Gott finden, nichts anfangen - wer aber darin Trost und Halt findet, bewältigt seine Krise ggf. leichter, als ich, das mag ja sein. Aber es entzieht sich meiner Vorstellungskraft, wie man als Eltern schwerkranker, schwertsbehinderter Kinder darin ein Beweis für die Güte eines höheren Wesens sehen kann, und es nicht als Zeichen einer vollkommenen Gleichgültigkeit der Menschheit gegenüber, vorausgesetzt es gibt dieses höhere Wesen.

Ich habe selbst einen behinderten Sohn. Ich habe durch meinen Sohn gelernt, die Prioritäten im Leben zu verschieben, sich über Sachen zu freuen, die andere nicht mal bemerken, Sorgen, die anderen schlaflose Nächte verursachen, als lächerliche Kleinigkeiten zu betrachten. Mir hat Trost und Beistand gegeben, mich mit anderen Betroffenen auszutauschen, und zu erkennen, daß man immer etwas bewegen, etwas ändern, etwas tun kann - ich finde meinen Halt darin, daß ich die Möglichkeit habe, etwas zu tun und zu gestalten, und wenn es noch so wenig ist. Ich bin nicht hilflos einem bösen Schicksal ausgeliefert.

Ich habe durch meinen Sohn sehr viele verschiedene Menschen kennengelernt mit ähnlichen, oft viel schlimmeren Geschichten. Viele finden ihren Halt in einer (für mich unverständlichen) Verzerrung der Realität: das behinderte Kind sein ein besonders Geschenk (Gottes), das das Leben bereichert. Sie betrachten ihr Leben oft als "wertvoller" als das normaler Familien, es wird alles schöngeredet, und dabei sogar oft das Leiden des Kindes ausgeblendet. Diese Sichtweise wird oft aggressiv verteidigt, mir wurde oft eine bedindertenfeindliche Gesinnung vorgeworfen, weil ich die Behinderung als solche betrachte.

Was ich damit sagen will: jeder muß seinen eigenen Weg finden, mit sowas fertig zu werden. Die Kunst von Seelsorgern muß es sein, für jeden die richtigen Worte, richtigen Ideen zu finden - ich glaube, es gibt kaum einen schwereren Beruf, mit einer größeren Verantwortung.

waden 07.06.2016 21:57

Zitat:

Zitat von Pascal (Beitrag 1228153)
Ich kann mich in die Denkweise die Du nachstellt gut einfühlen. Was wäre die bessere oder richtigere Alternative oder Vorgehensweise bei einem Schicksalsschlag zu agieren? Was tröstet Eltern, die ihr Kind in jungen Jahren verloren haben durch Krankheit oder Unfall ? Die Ratio sich zuzusprechen "Shit happens"? Wie würdest Du solchen Eltern Trost und Beistand zusprechen?

Es ist selbstredend ungeheuer schwierig, in einer solchen Situation die passenden Worte zu sprechen("Shit happens" gehört nicht dazu). Trost zu spenden geht aber auch ohne Religion. Seelischer Beistand gelingt auch ohne Transzendenz, von Mensch zu Mensch in aller Diesseitigkeit.

zappa 07.06.2016 22:35

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1228157)
Nehmen wir an, ein Embryo wird noch im Mutterleib von Bakterien befallen und kommt schließlich tot zu Welt. Es ist aus meiner Sicht schwierig, hier die Vorsehung eines gütigen und gerechten Gottes ins Spiel zu bringen. Naturwissenschaft, also das Verständnis über die realen Ursachen dieses Unglücks, kann möglicherweise durchaus zur seelischen Verarbeitung beitragen. Ich würde das nicht per se ausschließen. Philosophie, Kunst und die Begegnung mit anderen Menschen sind mögliche weitere Wege, um so etwas zu bewältigen.
:Blumen:

Weißt Du eigentlich worüber Du da schreibst?

Mein Sohn ist 1 Woche vor dem geplanten Geburtstermin gestorben. Einfach so. Die Woche davor war beim großen Ultraschall noch alles OK.

Das ist ein recht seltenes Phänomen und nur für einen kleinen Teil, etwa 20 % der Fälle, gibt es eine Erklärung. Ähnlich wie beim "plötzlichen Kindstod". Die Wissenschaft hilft da nicht weiter.

In dieser konkreten Erfahrung waren es insbesondere religiös geprägte Menschen, die sofort, umfassend und langfristig konkreten praktischen und moralischen Beistand geleistet haben, während das wissenschaftlich ausgebildete medizinische Personal vollkommen überfordert war, mit der Situation umzugehen.

Das ist eine meiner persönlichen und konkreten Erfahrungen, an denen zumindest ich festmachen kann, dass eine religiöse Prägung bei diesen Menschen deren Nächstenliebe und Mitgefühl sehr konkret ausgebildet hat Aus meiner Wahrnehmung über das Maß hinaus, wie es ausgebildet wäre, wären sie nicht so tief religiös.

Das ist zwar sicher nicht der "Beleg" dafür, dass es systematisch so ist. Ich denke aber, es wird viele weitere solche Geschichten geben. Und im Konkreten ist es ziemlich wurscht, ob das Beleg ist oder nicht.

Es hilft.

Klugschnacker 07.06.2016 22:48

zappa, das tut mir leid, wenn Du einen Schicksalsschlag zu verkraften hattest, der sich mit meinem obigen Beispiel zufällig deckt. Ich wusste es nicht. Ich hatte dieses Beispiel gewählt, weil ungeborene Babys keine Sünden begangen haben können, und deren gottgewollter Tod daher besonders schwer zu verstehen ist.

Nehmen wir an, religiöse Überzeugungen hätten einen starken positiven Einfluss auf die Hilfsbereitschaft mancher Menschen in bestimmten Situationen. Mir sind keinerlei Belege dafür bekannt (ich hatte mehrfach darum gebeten), aber nehmen wir jetzt einfach an, das sei so.

Hat das irgendeinen Einfluss darauf, ob diese Überzeugungen wahr sind?

Klugschnacker 07.06.2016 23:23

Zitat:

Zitat von trithos (Beitrag 1227745)
Ja, das finde ich auch. Und ich will Euch nicht mit Kalendersprüchen nerven...

"Vertraue denen, die die Wahrheit suchen. Aber hüte Dich vor denen, die sie gefunden haben!"

Ich habe auch noch einen: "The easiest person to fool is yourself".

keko# 08.06.2016 07:59

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1228157)
Sicher nicht, da hast Du recht. Dafür ist die Wissenschaft oft nicht geeignet. Wohl aber die Philosophie und die Kunst.

Worin besteht religiöser Trost im Kern? Dass Gott es so wollte?

z.B. als Prüfung Gottes. So erlebt bei der Familie einer muslimischen Nachhilfeschülerin, die ich betreute und die von Geburt an 100% blind ist und vor ein paar Wochen ein ziemlich gutes Abi geschrieben hat. Wenn´s hilft, ist´s doch ok. Wo ist das Problem?

Vicky 08.06.2016 08:10

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1228195)

Hat das irgendeinen Einfluss darauf, ob diese Überzeugungen wahr sind?

Nein ich glaube da kann es keinen Zusammenhang geben. Wahrheit ist aus meiner Sicht das, was der einzelne für Tatsache hält. Deshalb muss es aber längst nicht der Wahrheit entsprechen. Wenn die Weltbevölkerung postuliert, dass die Erde eine Scheibe ist, hält man das allgemein für wahr.

Ich bin der Auffassung, dass es keinen Zusammenhang gibt zwischen dem Glauben und der Hilfsbereitschaft. Im Gegenteil. Wenn jemand an eine höhere Macht glaubt und aufgrund dessen sein Engagement an Hilfsbereitschaft erhöht, weil es der Glaube so will, dann tut diese Person dies wohl nicht, weil sie altruistisch veranlagt ist, sondern eher, weil der Glaube es vorschlägt (die Person so erzieht). Das ist ja auch ok so. Vermitteln von gesellschaftlichen Werten. Ich denke nicht, dass das dazu führt, dass man Überzeugungen für erwiesen hält, nur weil man bestimmte Wertevorstellungen lebt.

qbz 08.06.2016 08:39

Das Problem, das sich orthodox religiösen Menschen im Verhältnis von Wissenschaft zum Glauben manchmal stellt, ist, darf die Medizin, Wissenschaft eingreifen, um eine Behinderung zu lindern, heilen, wenn in der Behinderung des Kindes Gottes Wille gesehen wird. Die Jugendämter kennen regelmässig solche Fälle, wo sie zum Schutz der Kinder aktiv werden müssen, auch heute noch.

Ich betreute mal eine arabische Großfamilie, welche mir erklärte, dass bei jedem epileptischen Anfall ein guter Geist aus ihrem Sohn zu den Menschen sprechen will, was man dem Geist durch eine Behandlung nicht verweigern dürfe, weil er und Gott sonst verärgert wären. Dadurch erhalten Epilepsie-Kranke eine besondere, positive Rolle in der Familie und im Dorf. Es hätte aber bei Epilepsie auch ein böser Geist sein können --> Vertreibung. Es brauchte längere Überredungskünste und Tricks (incl. Rücksprache mit dem Iman), den Vater dazu zu bringen, die Behandlung zu erlauben, welche dann die älteste Schwester überwachen durfte (Tabletteneinnahme). Ähnliche Fälle von Behandlungsverweigerung gibt es manchmal bei Zeugen Jehovas, die bis zur zeitweiligen Unterbringung der Kinder in Heimen führ(t)en.

MattF 08.06.2016 10:02

Zitat:

Zitat von Schwarzfahrer (Beitrag 1228175)

Und am Gehabe der Taliban und des IS, und, und, und viele Abstufungen dazwischen :-(
Ich halte das für ein zutiefst menschliches Verhalten, womit man leben und immer rechnen muß. Bis zu einem gewissen Maß ist das ein Zeichen für ein gesundes Selbstbewußtsein, aber die Grenze zur Feindseligkeit ist leider schnell überschritten.


Zu Sebstbewusstsein, muss Selbtkritikfähigkeit und Ironie kommen, sonst wird es gefährlich. Das fehlt leider manchem.

Ich bin z.b. Fussballfan und freue mich tierisch wenn Deutschland gewinnt, ich sag auch mal im Spass, dass "wir" natürlich die viel bessere Fussballnation sind als die Holländer, nur rational weiß ich auch dass das nicht stimmt, dass der Deutsche an sich der bessere Fussballer ist, das ist Unsinn.

Manche bleiben aber in dem Deutschnationalen stecken und meinen es letztlich Ernst, dass sie was besseres sind.
Dabei muss man ja nicht besser sein als Andere, wenn man gute Leistungen egal in welchen Bereich erzielt. Wenn andere dann noch besser sind als ich oder wir, freut mich das auch, für die.

Klugschnacker 08.06.2016 10:20

Zitat:

Zitat von keko# (Beitrag 1228237)
z.B. als Prüfung Gottes. So erlebt bei der Familie einer muslimischen Nachhilfeschülerin, die ich betreute und die von Geburt an 100% blind ist und vor ein paar Wochen ein ziemlich gutes Abi geschrieben hat. Wenn´s hilft, ist´s doch ok. Wo ist das Problem?

Im Christentum hat das Leid mehrere Bedeutungen. Zum Beispiel Prüfung und Weg zu einer Erkenntnis, aber auch Strafe. Die Bibel ist voll von Geschichten, wo Menschen aufgrund harmloser Sünden schlimme Dinge widerfahren. In den 10 Geboten stellt Gott gleich im 2. Gebot klar: "... Bei denen, die mir Feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen, an der dritten und vierten Generation...".

Also ist es nach christlichem Glauben ebenso denkbar, dass vier Generationen vor dem Mädchen jemand gesündigt hat (Alkohol, Selbstbefriedigung, Homosexualität), und ihre Blindheit die Strafe dafür ist. Ist das tröstlich?
----

Diese Überlegungen führen letztlich auf ein Hauptproblem aller großen Religionen mit Ausnahme des Buddhismus. Die Vermischung von "Ursache" einerseits und "Bedeutung" oder "Sinn" andererseits.
Beispiel: Warum gibt es Menschen? Für Wissenschaftler ist es eine Frage nach der Ursachenkette, die letztlich bis zum Homo Sapiens führt. Für religiöse Menschen ist es (auch) eine Frage nach dem Sinn ihrer Existenz.

Zweites Beispiel: Warum ist das Mädchen blind zur Welt gekommen? Auch hier kann man mit der Ursache oder dem "Sinn" antworten.
Fragen nach dem Sinn haben häufig keinen vernünftigen Inhalt. Zur Verdeutlichung wieder ein Beispiel: "Leben Einhörner vegetarisch?" – Diese Frage hat nur dann eine Antwort, wenn es Einhörner gibt. Falls es sie nicht gibt, lässt sie sich nicht beantworten. Nicht weil wir die Antwort nicht kennen, sondern weil der Gegenstand der Frage nicht existiert.

Bei der Frage, welches der Sinn einer Sache sei, müssen wir zunächst klären, ob diese Sache überhaupt einen Sinn hat. Erst danach können wir untersuchen, welcher das sei.

Warum existiert der Kilimandscharo? Die Frage nach seinen Ursachen können wir klären, aber die Frage nach seinem Sinn ist nonsense. Warum existieren Zebras? Warum existieren Menschen? Warum existieren Bakterien, die bei Embryos Blindheit hervorrufen?

Alle diese Dinge haben Ursachen, aber keinen "Sinn". Aus genau diesem Grund finden wir auch keinen, wenn wir nach dem Sinn des Erblinden eines Mädchens suchen. Außer dem, den wir ihm selbst geben.

trithos 08.06.2016 10:21

Zitat:

Zitat von waden (Beitrag 1228134)
Ist es aber nicht so, dass es gerade das Wesen von Religion ist, die unhinterfragbare Wahrheit zu kennen, während Grundsatz der wissenschaftlichen Methode ist, Theorien zu erstellen und sie immer wieder durch neue Hypothesen infrage zu stellen? Oder, noch deutlicher gesagt: sagt dieses von dir geschätzte Zitat nicht: halte dich an dich an die suchende Naturwissenschaft und hüte dich vor den Religionen!?

Das ist sicher eine mögliche Interpretation, wenn man davon ausgeht, dass jeder religiöse Mensch die unhinterfragbare Wahrheit zu kennen glaubt. Ich kenne aber zahlreiche religiöse Menschen (z.B. regelmäßige Kirchgänger), die ganz anders gestrickt sind und sich überhaupt nicht einbilden, die göttliche Wahrheit zu kennen.

Natürlich stellt sich dann die Frage, warum diese Menschen überhaupt gläubig sind, wenn sie mit ihrem Glauben Probleme haben? Offenbar gibt der Glaube ihnen fürs Leben mehr, als ihnen die Zweifel wegnehmen.

Ich interpretiere das Zitat allerdings ohnehin anders, weil ich es nicht an Institutionen gerichtet sehe, sondern an Menschen. Dass eine Institution wie die Kirche, aber auch ein totalitärer Staat oder eine hierarchische Firma, gerne allzeit und unter allen Umständen gültige "Glaubensregeln" aufstellt, ist das eine. Wie die Menschen damit umgehen, das andere.

MattF 08.06.2016 10:34

Zitat:

Zitat von trithos (Beitrag 1228298)
Das ist sicher eine mögliche Interpretation, wenn man davon ausgeht, dass jeder religiöse Mensch die unhinterfragbare Wahrheit zu kennen glaubt. Ich kenne aber zahlreiche religiöse Menschen (z.B. regelmäßige Kirchgänger), die ganz anders gestrickt sind und sich überhaupt nicht einbilden, die göttliche Wahrheit zu kennen.

Natürlich stellt sich dann die Frage, warum diese Menschen überhaupt gläubig sind, wenn sie mit ihrem Glauben Probleme haben? Offenbar gibt der Glaube ihnen fürs Leben mehr, als ihnen die Zweifel wegnehmen.


Ein wichtiger Aspekt wieso jemand in die Kirche geht ist in meinen Augen die Gemeinschaft der Gläubigen. Man hat eine Gemeinschaft ist vielleicht aktiv in der Krichengemeinde usw usw. Man ist einfach nicht allein.
Das könnte man auch im Sportverein haben, viele sind aber traditionell in der Kirche aktiv.

So einfach kann das Leben manchmal sein. Ich denke 95% aller Christen machen sich die Gedanken von Arne nicht, sondern haben da ganz individuelle und teilweise einfach Vorstellungen, wieso sie in die Kirche gehen, an Gott glauben usw usw.

MfG
Matthias

keko# 08.06.2016 11:02

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1228297)
Alle diese Dinge haben Ursachen, aber keinen "Sinn". Aus genau diesem Grund finden wir auch keinen, wenn wir nach dem Sinn des Erblinden eines Mädchens suchen. Außer dem, den wir ihm selbst geben.

Eben! Ich kann doch einer Sache selbst einen Sinn geben. "Die Erblindung meiner Tochter ist eine Prüfung Gottes". Sinn ist, dass ich diese Prüfung, die mir Gott auferlegt hat, bestehe und dann daraus gestärkt hervorgehe. Ich glaube daran, finde mich mit dem Schicksal ab und verzweifel nicht an der Suche nach einem anderen Sinn. Die Familie hält zusammen, das Mädchen macht ein tolles Abi usw...
Ähnlich wie in Mathe kann man "Die Erblindung meiner Tochter ist eine Prüfung Gottes" als ein Axiom ansehen, das nicht weiter hinterfragt oder bewiesen werden muss. Wenn damit mein Leben besser funktioniert, ist auch das Axiom ("mein" Sinn) ok und muss nicht weiter hinterfragt werden.

Klugschnacker 08.06.2016 11:25

Zitat:

Zitat von keko# (Beitrag 1228326)
Sinn ist, dass ich diese Prüfung, die mir Gott auferlegt hat, bestehe und dann daraus gestärkt hervorgehe.

Man kann ja auch ungestärkt daraus hervorgehen. In dem Fall wäre das Erblinden daher sinnlos, richtig?

MattF 08.06.2016 11:32

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1228340)
Man kann ja auch ungestärkt daraus hervorgehen. In dem Fall wäre das Erblinden daher sinnlos, richtig?

Nein, ich hätte dann die Prüfung nicht bestanden.

Gott hat mir die Schance gegeben mich zu stärken und ich habs verbockt.

keko# 08.06.2016 11:34

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1228340)
Man kann ja auch ungestärkt daraus hervorgehen. In dem Fall wäre das Erblinden daher sinnlos, richtig?

Das kann ich nicht sagen. Vielleicht wäre ich dann zu schwach und müsste an mir arbeiten.
Ich will ja auch nicht sagen, dass ich in so einem schlimmen Fall auch i.S.v. "Gott prüft mich" denken würde oder könnte. Ich hatte aber den Eindruck, dass dies im Falle der türkischen Familie funktioniert hat und somit ihr Glaube in meinen Augen seine Ligitimtät hat ohne dass ich das weiter hinterfrage.

Klugschnacker 08.06.2016 11:39

Zitat:

Zitat von MattF (Beitrag 1228345)
Nein, ich hätte dann die Prüfung nicht bestanden. Gott hat mir die Schance gegeben mich zu stärken und ich habs verbockt.

Nein, Gott ist allwissend und kannte das Ergebnis der Prüfung bereits vorher. Dass Du die Prüfung nicht bestehen würdest, war ihm bekannt, als er sie Dir stellte.

Falls der Sinn der Prüfung darin bestand, dass Du gestärkt aus ihr hervorgehen kannst, dann weiß Gott bereits vorher, ob Du das hinbekommst, oder nicht. Falls Du es nicht hinbekommst, hat er Dir eine sinnlose Aufgabe gestellt.


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