Ein kleiner Exkurs:
Als die Europäer Amerika eroberten, ging es wirtschaftlich vor allem um das Erschließen von Gold und Silberminen, sowie Tabak-, Baumwoll- und Zuckerrohrplantagen. Deren Erzeugnisse machten die neu gewonnenen Kolonien lukrativ. Besonders wichtig waren die Zuckerrohrplantagen.
Im Mittelalter gab es so gut wie keinen Zucker in Europa. Erst durch die Zuckerrohrplantagen kam Zucker in immer größeren Mengen nach Europa. Kuchen, Plätzchen, Schokolade, Kaffee und Tee erlebten einen beispiellosen Boom. Dies war allerdings nur möglich, weil das Zuckkerrohr durch Sklavenarbeit angebaut und geerntet werden konnte. Sklaven aus Afrika waren billig, außerdem konnten sie aus genetischen Gründen der Malaria auf den Zuckerrohrplantagen widerstehen. Ohne Sklaven, also mit normaler Lohnarbeit, wäre Zucker viel zu teuer für die europäischen Abnehmer gewesen, schließlich ging es ja nur um ein entbehrliches Luxusgut.
Zwischen dem 16. und dem 19 Jahrhundert wurden 10 Millionen Afrikaner als Sklaven nach Amerika verschleppt. Rund 70% davon arbeiteten auf Zuckerrohrplantagen. Die meisten davon starben bei der Arbeit, etliche aber bereits beim Transport in den Sklavenschiffen.
Bild: Belegplan eines Sklavenschiffes.
Finanziert wurde dieses Geschäft rein privatwirtschaftlich: Private Sklavenhandelsunternehmen verkauften Aktien an den Börsen von Amsterdam, Paris und London. Wohlsituierte Bürger, die eine rentable Geldanlage suchten, erwarben diese Aktien. Mit diesem Geld kauften die Unternehmer Schiffe, fuhren nach Afrika, fingen Menschen ein, verschleppten sie als Sklaven nach Amerika, nahmen von dort Zucker, Tabak und Baumwolle nach Europa mit, verkauften diese und fuhren mit den Gewinnen wieder nach Afrika, um neue Menschen einzufangen.
Im 18. Jahrhundert erzielten diese Aktien eine Rendite von 6%, was ein sehr guter Ertrag ist. Waren die Aktionäre schlechte Menschen? Nein, sie waren ordentliche Bürger und bemühte Familienväter. Hatten sie einen Hass auf die Menschen Afrikas? Keineswegs! Der transatlantische Sklavenhandel hatte seine Ursache nicht im Hass gegen Afrikaner. Die Anleger, Börsenhändler, Plantagenbesitzer und Unternehmer verschwendeten kaum einen Gedanken an sie. Die Millionen Menschen wurden nicht aus Hass, sondern aus Gleichgültigkeit getötet.
In dieser Geschichte, die natürlich skizzenhaft und verkürzt ist, geht es mir um den letzten Satz. Er ist nicht nur das moralische Fazit des transatlantischen Sklavenhandels. Wo immer Unrecht in großem Ausmaß anzutreffen ist, gibt es einige wenige, die es verüben, und eine große Zahl, die es mit ihrer Gleichgültigkeit ermöglichen.
Auch heute ist nicht der Hass einiger Weniger das Problem, sondern die Gleichgültigkeit der Vielen. Ob es um das Schicksal der Menschen in der Stadt Aleppo, um die Chancen der so genannten Dritten Welt geht, oder um unsere relaxte Zuschauerschaft bei der Diskriminierung vieler Menschen durch religiöse Vorstellungen, oder bei den Zuständen in der Massentierhaltung: Überall ist die Gleichgültigkeit und nicht der Hass oder das Profitstreben der gefährlichere Täter. Ich bin keineswegs besser als jeder Einzelne von Euch, doch mir scheint folgendes offensichtlich zu sein: Auf Toleranz, die schöne Schwester der Gleichgültigkeit, muss man sich nicht immer etwas einbilden.
Grüße: Arne